Schon die Anfahrt nach Saalfelden ist wie Jazz: das Auto swingt sich durch die Kurven, das Nachmittagslicht bricht sich an den Flanken der Berge und improvisiert dort abstrakte Motive mit jedem Perspektivwechsel. Und Perspektivwechsel sind beim Jazzfestival in den kommenden vier Tagen zwischen den Bergen des Steinernen Meers ganz selbstverständlich: Akustik, Location, Stilistik, Licht… Es war voll. Der Kartenverkauf lag nur knapp unter 100%. Im sonnigen Stadtpark amüsierten sich Menschen eher abseits vom Jazz – auch wenn Bands wie Boticelli Baby ihnen eine ordentliche Portion davon unterjubelten. Die kleineren Spielstätten, wie die Buchbinderei Fuchs, geliebt aus den Vorjahren, steuerte ich diesmal wegen Terminkonflikten und Zeitmanagement gar nicht an. Die App signalisierte: frühzeitig wegen Überfüllung geschlossen. Die Festival T-Shirts waren schon am zweiten Tag ausverkauft (Premiere: ein Nachdruck wurde initiiert) und selbst in der großen, vollen Otto-Gruber-Halle stand die Luft über der Zuschauermasse. Viel erfolgreicher kann man ein Festival kaum managen, vermutlich sind für die kommenden Jahre eher Gedanken zur Kanalisierung der Besucher angesagt. Auf der einen Seite freut man sich mit den Veranstaltern über den Zuspruch, auf der anderen erinnert man sich mit etwas Wehmut an die ersten Konzerte im Wald, als noch mehr Bäume als Menschen den Musikern lauschten.
Musikalisch wurden Akzente gesetzt, wie man sie auch aus den Vorjahren kennt und die man als Besucher weiterer Festivals gelegentlich schon gehört hat. Kritisch ist das nicht gemeint: in Saalfelden ergeben sich über die kleineren Ensembles in der Reihe Shortcuts durch ganz neue Zusammensetzungen in Sessions oder bei Flashmobs bis hin zu den Specials wie den Jazzwanderungen oder Konzerten an besonderen Orten oft neu geprägte Wahrnehmungen. Sylvie Courvoisier im Trio mit Ned Rothenberg (reeds) und Nasheet Waits am Schlagzeug im Nexus: ein so frisches Trio, dass es einfach mal als „Trio Shortcuts“ angekündigt werden konnte, und es überzeugte komplett. Sylvie Courvoisier mal subtil impressionistisch an den präparierten Saiten des Flügels, konterkariert von pullenscher Vehemenz, Cluster auf die Tastatur dreschend – kongenial begleitet von Nasheet Waits an den Drums. Ned Rothenberg – zu lange nicht mehr live erlebt – intensiv, explorativ und aufmerksam im Trio-Zusammenspiel. Eine Band, bei der die Chemie so gut passte, dass der „Short Cut“ fast zu kurz war und man sich sofort ein langlebigeres Trio wünschte. Natürlich war Sylvie Courvoisier später auch auf der Hauptbühne im Congress zu hören, in größerer Besetzung mit ihrer Band „Chimaera“.
Auf dieser Hauptbühne gab es in diesem Jahr viele außergewöhnlich gute Konzerte. Weniger Experimentell-avantgardistisches als subtil raffinierte Formationen, was auf der Hauptbühne aber typisch ist. Mary Halvorson mit Tomeka Reid, ergänzt mit Jason Roebke am Bass und Tomas Fujiwara am Schlagzeug – darf man’s sagen? – einfach schön, eingängige Kompositionen elegant und mit luzider Klarheit gespielt. Ähnlich die Formation des Saxophonisten Daniel Erdmann, der ein Sextett paritätisch französisch-deutsch zusammengestellt hat und etwas augenzwinkernd den Bandnamen „Therapie de Couple“ wählte, um eine musikalische Jumelage zu kreieren. Musikalisch war die Therapie hörbar nicht notwendig oder aber schon längst gelungen. Auch in diesem Fall eine melodiebetonte Formation mit weitem improvisatorischem Freiraum, der von allen Bandmitgliedern weidlich genutzt wurde. Treibend und fordernd die „deutsche“ Rhythmusgruppe mit Robert Lucaciu am Bass und Eva Klesse an den Drums. Herausragend der Cellist Vincent Courtois. Courtois und Erdmann bezauberten gegen Ende des Festivals noch einmal im Wald oberhalb des Ritzensees auch viele einheimische Besucher im Duo.
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Fotos Jazzfestival Saalfelden 2024 / Urheberrecht: Frank Schindelbeck Jazzfotografie
Ein Klassiker in Saalfelden ist ein Eröffnungskonzertauftrag mit einem speziellen Projekt und hier wurde es dann doch experimenteller. Die Klarinettistin Mona Matbou Riahi hatte neben dem Wiener Bassisten Manu Mayr den Synthesizer-Spieler und „Elektroniker“ Dorian Concept geladen und die Visual Artist Künstlerin Lou Zon. Deren poetisch-bewegten Großprojektion im Bühnenhintergrund war integraler Bestandteil eines konzeptionell gelungenen Projekts, das sich zwischen sphärischen Klarinettensounds, spoken word Einsprengseln, elektronischer Repetition und lebendigem Bass gut einzusortieren wusste.
Eine besondere Rolle spielte auch Mats Gustafsson, ein alter Bekannter des Festivals, der von der kleinen Nexus-Bühne über die Otto-Gruber-Halle bis zur Hauptbühne präsent war. Die Vielfalt seiner Auftritte in unterschiedlichen Kontexten verdeutlichte seine Variabilität. Im Nexus trat er ebenfalls im Trio auf, mit Jordina Milla am Piano und dib13 an turntables und electronics.
Die österreichische Komponente
Auch wenn man in Saalfelden auf das „international“ aus gutem Grund im Festivalnamen verweist, ist in der Programmierung stets auch ein sehr beachtlicher und wertschätzender Anteil an österreichischen Musikern und Formationen vor Ort. Nicht nur der seit Jahren stets präsente Bassist Lukas Kranzelbinder, als „Bass-Kraxler“ immer beim Musikwandern dabei ist und mit seiner unverzichtbaren Institution, der „Spiritual Unity Session“ in der Bar des Nexus den Zeremonienmeister gibt. Man darf einfach feststellen: es gibt verdammt viele hervorragende österreichische Musikerinnen und Musiker, die auf die Bühne eine Internationalen Jazzfestivals gehören. Der Klarinettist und Rapper Vincent Pongracz mit seinem Synesthetic Octet zählt dazu. Er brachte eine „Austrian Supergroup“ zusammen, mit Meistern aus der Jazzwerkstatt Wien, wie Gitarrist Peter Rom, Bassklarinettist Clemens Salesny und Martin Eberle an der Trompete. Pongracz selbst komponiert, rappt und hält die Gruppe auf ihrer extravaganten musikalischen Reise zusammen. Das klingt anarchisch, ist aber hoch strukturiert in einer fein austarierten Mischung – ein wilder, aber geordneter Mix.
Ein besonderes Projekt fand im weißen Kunstraum des Nexus statt. Aufgebaut war dort in diesem Jahr eine Musik-Installation des Artist in Residence Chris Janka, der auch als Gitarrist Teil des Projekts war. Fünf mechanische aufwendig konstruierte „Musikroboter“, vom E-Gitarrentorso über ein dekonstruiertes Glockenspiel bis hin zu einer Flaschenorgel, die bespielt wurde, wie unsereins gelegentlich Töne mit der Bierflasche erzeugt – allerdings im großen Stil und präzise frequenzdefinierend befüllt und entsprechend beschriftet. Einigen der „Musikroboter“ war die genaue Art der Klangerzeugung kaum anzusehen: geheimnisvoll ineinandergreifende Rädchen, halb befüllte Einmachgläser, in buntes LED-Licht getauchte Gerätschaften. Der Clou des Projekts lag in der Steuerung der Klangmaschinen – die übernahm der Gitarrist Nicola Hein. Nicht als Gitarrist, sondern als Programmierer von künstlicher Intelligenz. Das Konzept ist komplex und einmalig. Und bei genauer Betrachtung ist der Ansatz abgesehen vom intellektuellen Vergnügen in vielerlei Hinsicht auch mit ethischen Fragen verbunden. Interessant ist der Schritt von elektronischer Musik zu einer aktiven Rolle von – in Grenzen – eigenständiger automatischer Klangerzeugung. Wie groß dieses Potential ist, wird man wohl in der nahen Zukunft sehen. In den Händen kreativer Menschen dürften die Ergebnisse spannend bleiben. Jedenfalls erzeugte die KI sowohl eigenständige Sounds (die Musikroboter musizierten auch ohne ihr menschliches Personal), war aber auch integrierter Mitspieler mit Janka und verschiedenen Gastmusikerinnen und Musikern wie Judith Schwarz oder Mona Matbou Riahi. Im Grund ist der Schritt zur KI nur konsequent. Elektronik hat in Jazz und improvisierter Musik auch in Saalfelden ihren Platz längst fest besetzt, gefühlt in jeder zweiten Formation. Bislang gesteuert von menschlicher Intelligenz über manuell angesteuerte Effekte oder über Synthesizer, immer mit einer stark mechanistisch, rhythmischen Komponente. Faszinierend in dieser Hinsicht das diesjährige Projekt der Schlagzeugerin Judith Schwarz. other:M:other mit Arthur Fussy am Synthesizer und Jul Dillier am präparierten Flügel. Hier werden die Grenzen aufgehoben und dagegen angespielt: Schwarz als menschlicher Puls am Schlagzeug, das präparierte Klavier nähert sich den Synthie-Klängen an und die elektronische Musik wird gelenkt und gezähmt von Fussy.
Einfachere Freuden: Musik in der Natur – oder auch einfach nur die Natur selbst – gehören zur DNA des Jazzfestivals in Saalfelden. Hier bleibt die Elektronik im Tal, und mehr als ein paar tragbare akustische Instrumente sind nicht nötig, um einprägsame Musikerlebnisse zu schaffen. Ein Beispiel: Der Weg zur Einsiedelei oberhalb der Stadt am Sonntagmorgen, wo Martin Eberle (Trompete) und Alois Eberl (Posaune) ein intimes Konzert spielten, inklusive eines „Happy Birthday“ für den Einsiedler, der an diesem Tag seinen 66. Geburtstag feierte.
Und die Sessions…
Ich habe sie schon in den Vorjahren gelobt, die Sessions im Nexus. In diesem Jahr eine von Vincent Pogracz organisierte und die „Spiritual Unity Session“ von Lukas Kranzelbinder. Spielfreude, Musikerinnen und Musiker auf Armlänge, doppelt besetzte Schlagzeuge und Musiker, auch von den Hauptbühnen, die einfach Spaß am jammen haben. Auch in diesem Jahr gespickt mit Highlights. Jazz: die Musik der Nähe und Leidenschaft. Was tun im nächsten Jahr? Schon im Januar gibt es wieder das „kleine Saalfelden“ bei „3 Tage Jazz“ vom 24. bis 26. Januar 2025, und im Sommer folgt dann die 45. Ausgabe des Jazzfestivals Saalfelden vom 21. bis 24. August.
| Jazzfestival Saalfelden 2023 – Jazzthetik Artikel von Gert Filtgen / Photos: Schindelbeck
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