Moers Festival 2018 (mit Fotos)

Eines der mit Spannung erwarteten Highlights des Moers Festivals 2018 wurde leider abgesagt: unglücklicherweise musste die komplette Band bei einem Flugzeugabsturz dran glauben. So blieb „Lester Mitchell’s Fantasy Starship Orchestra“ das, was es eh schon war: eine Steinlaus im Moerser Jazz-Programm. Ein prägnantes Beispiel für den erfreulich skurrilen Humor von Festivalchef Tim Isfort. Gartenzwerge auf der Bühne, Unterwasserkonzerte, Pianisten, die auf Elektrobaufahrzeugen durchs Festivaldorf gekarrt wurden…

Auch sonst alles gut: ein vielfältiges Musikgemenge vom – gefühlt – das komplette Festival in unterschiedlicher Gesellschaft durchtrommelnden Kevin Shea (Talibam!), über den vom ersten Ton unverkennbaren Brötzmann, mit einem berührenden Soloauftritt an historischer Moers-Spielstätte im Schlosshof, mit Slidegitarristin Heather Leigh, und als special guest der Noise-Rockband Oxbow, war er hochpräsent.

Und sogar die WDR Bigband füllte die große Bühne. Die war für musikalisch avantgardeverseuchte Jazz-Hirne ein eher groß geratener Fremdkörper im Programm, tanzen konnten einige Damen in der Halle trotzdem, zum gediegenen und perfekt gespielten Bigbandjazz. Gut funktioniert hat allerdings auch die kleine Mittelbühne in der Halle. Abgesehen davon, dass diese Umbauzeit sparte, standen die Konzerte dort ganz im Wortsinn im Mittelpunkt des Geschehens und schöne Rücken können bekanntlich auch entzücken…  Interessant auch die Option der Interaktion zwischen Mittelbühne und Mainstage wie beim abschließenden Schlagzeugspektakel „Talibam! Big Imapakt“: im Saalmittelpunkt Keyboarder Matt Mottel und auf der Bühne Kevin Shea, der mit seinen Sticks ein Drumpad traktierte und eine Horde weiterer Schlagzeugerkollegen furios dirigierte.

Das Konzept, die Veranstaltung weiter in die Stadt zu tragen, ging auf. Die Moersification, das Spiel an vielen öffentlichen Orten auch in der Stadt, mit annähernd 140 Veranstaltungen, bedeutete nicht nur Vielfalt, sie zwang auch zum selektiven Wählen und Hören.

Jazz in Moers bleibt vorwiegend Männersache

Vielleicht war das rein männliche Drummerspektakel beim Finale typisch: der Frauenanteil im Festivalgeschehen war überschaubar. Das liegt nicht zuletzt an der Ausrichtung des Moers Festivals, bei dem die freien Töne im Vordergrund stehen, und dort der Frauenanteil noch einmal kleiner ist, als im Jazz insgesamt. Man darf es durchaus positiv sehen, dass trotzdem nicht zwanghaft Quotenfrauen ins Programm gehievt wurden, denn die Musikerinnen vor Ort konnten sehr überzeugen. Sei es die hellwache Improvisatorin am Cello, Elisabeth Coudoux, die Artist in Residence Josephine Bode, die mit ihrer Flötenkollegin Dodó Kis ein ebenso außergewöhnliches wie stimmiges Konzert mit dem Pianisten Ethan Iverson spielte, und dabei mit Verve wilde Improvisation mit barocken Untertönen verband. Großartig auch die Vokalistin Camae Ayewa, die mit intensiver Kraft aus ihrem Buch „Fetish Bones“ sprechsang, und mit den Kollegen der Band „Irreversible Entanglements“ (Keir Neuringer sax, Luke Stewart bass, Aquiles Navarro tp, Tcheser Holmes dr) nicht nur einen der musikalisch tiefsten Beiträge des Festivals beitrug, sondern den am deutlichsten politischen dazu.

Der Kit des Moers Festivals waren die großartigen Improvisatorinnen und Improvisatoren, die in verschiedensten Kombinationen zu hören waren: der omnipräsente Schlagzeuger Kevin Shea, die Flötistinnen Dodó Kis und Josephine Bode, der Trompeter Bart Maris, Bassist Wilbert de Joode, Pianist Ron Stabinsky, Elisabeth Coudoux am Cello, Schlagzeuger Tcheser Holmes, Matthias Müller an der Posaune – und da sind nur wenige genannt – sie alle waren nicht nur auf den Hauptbühnen zu hören, sie spielten hier und dort und eben auch bei den von Jan Klare zusammengestellten Sessions.

Hier verdichtetete sich Moers auf das, was seit Jahrzehnten Essenz des Festivals ist. Freie Improvisation, Aufbruch ins Unvorhersehbare und gehirnkitzelnde musikalische Eskapaden.

Einer der Höhepunkte des Festivals, der Auftritt von Sebastian Gramss‘ Projekt „States of Play“ vereinte freien Jazz mit Gestaltungskraft. Ein Brückenschlag zwischen freier Improvisation und Komposition mit einem Konzept, das traditionelle Kompositionsstrukturen und Songschemata auflöst und in einer Art von musikalischer Cut-up-Technik wieder zusammensetzt. Das könnte auch das Sinnbild für dieses bunte Festival sein – im zweiten Jahr unter der Regie von Tim Isfort scheint es auf einem guten Weg.

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