Hans Kumpf über Joëlle Léandre bei den Donaueschinger Musiktagen

Donaueschinger Musiktage - Foto: Hans Kumpf

Zupackende Frauenpower aus Frankreich

Das Joëlle Léandre Tentet und “Iana” beim Jazzabend der Donaueschinger Musiktage

Mit „Vive l‘improvisation!” war die jüngste Donaueschinger „NOWJazz Session“ betitelt, die sich aktueller Musik unseres großen westlichen Nachbarlandes widmete (so wie bereits 1978 geschehen). Freilich postulierte diese Benennung nicht den Tod des Kompositorischen an sich – penibel konzipierte Parts hatten in der Turnhalle der Gewerblichen Schulen immer wieder ihren Platz . Übertragen wurde das von Julia Neupert organisierte und angesagte Konzert „live“ vom Südwestrundfunk.

Von jeweils extrem links bis ganz rechts – diesen Bogen spannten über 42 Minuten hinweg stoisch Christine Wodrascka und Betty Hovette, die sich an zwei Flügeln gegenüber saßen. Deren seit erst relativ kurzer Zeit bestehendes Piano-Duo „Iana“ durfte in Donaueschingen seine Deutschlandpremiere feiern. Etwaige (amüsante) Überraschungsmomente, wie sie beispielsweise derzeit bei Michael Wollny in Dialogen mit Instrumentalkollegen entstehen mögen, sind hier nicht zu erwarten. Eine Musik wie aus einem Guss – bei aller propagierten Janusköpfigkeit.

 

Leandre - KumpfBeginn mit Bassgebrummel und brachialgewaltigem Brausen: Hauend, hackend, hämmernd. Die beiden Damen reiferen Alters lassen zunächst keine Zierlichkeiten aufkommen, meist motorisch und maschinenhaft erklingt ihre Variante von „minimal music“. Akustisch konnte man sich da an die 1994 im gleichen donaustädtischen Bildungstrakt erfolgte Uraufführung der bizarren „Study No. 40 for two Player Pianos“ von Conlon Nancarrow erinnert fühlen, die mit ihren Klavierautomaten keinerlei menschliche Interpreten benötigte.

Völlig alternativlos bleibt das disziplinierte Pattern-Verfahren von „Iana“ jedoch nicht. Den Saiten werden Geräusche entlockt – ein Zirpen und Zerren, ein Schaben und Scheuern, ein Quietschen und Quetschen. Punktuelles im mikrotonalen Touch und mezzopiano werden zwischenzeitlich erlaubt. Langes Verharren in der Mittellage, Terry Riley und Steve Reich lassen grüßen. Dann doch vereinzelte Free-Jazz-Attacken, Lyrismen verlieren sich, Generalpausen. Im hölzernen Diskant endet das Stück, das vor allem aktionistische Frauenpower offenbarte. Andauernder Beifall und vereinzelte Bravo-Rufe vom Publikum im Saale. Der aufs Dach prasselnde Herbstregen sorgte für ein zusätzliches adäquates Hörerlebnis.

Joëlle Léandre, wie Christine Wodrascka aus Aix-en-Provence stammend, erfreut sich seit Jahrzehnten weltweiter Anerkennung – und hatte schon mit solchen „seriösen“ Koryphäen wie Boulez, Bernstein und Cage zusammengearbeitet. Als „work in progress“ wird ihr Projekt „Can You Hear Me?“ verstanden, das die schaffige Kontrabassistin genau eine Woche vor Donaueschingen in Warschau mit polnischen Musikern praktiziert hatte. In der Fürstenburg-Metropole trat die 66-Jährige aber mit einem rein französischen Tentett an: Jean-Brice Godet (Klarinette), Jean-Luc Cappozzo (Trompete), Christiane Bopp (Posaune), Alexandra Grimal (Saxophon), Théo Ceccaldi (Violine), Séverine Morfin (Bratsche), Valentin Ceccaldi (Cello), Guillaume Aknine (Gitarre) und Florian Satche (Percussion).

Die Streicher wurden von der universellen Kontrabassistin Léandre in die „front line“ placiert, sie beherrschten auch vielfach das klangliche Geschehen und stellten somit einen klaren Bezug zur Klassischen Musik dar. Und wann schon ertönt im Jazzumfeld eine leibhaftige Viola? Auch vokal hatten die zehn Instrumentalisten zu agieren. Man weiß ja: Joëlle Léandre hinterfragt rebellisch eingefahrene musikalische Konventionen.

Anfangs also eine scheinbare Tohuwabohu-Glossolalie, Gemurmel und Gebrabbel, homophone Figuren, Glissandi. Metrisches Kontinuum, Obertonchangierungen der Becken. Posaunistin Christiane Bopp und Trompeter Jean-Luc Cappozzo zeigen sich in ihren Solobeiträgen überaus zungenfertig. Cluster werden aufgeschichtet, Klänge profilieren sich mit innerer Textur – und gemahnen an Helmut Lachenmann, erst recht, wenn die Atmosphäre sehr luftig und ausdifferenziert wirkt. Klarinettist Jean-Brice Godet glänzt mit Zirkularatmung und fegt über alle Register hinweg. Keineswegs herrscht ein Primat der Improvisation, wenn homophone Sequenzen in quasi romantischem Habitus ertönen. Besonders die Streicher, mit ohne Flageoletts, legen gemeinsam viel Präzision an den Tag. Bei all dem vielbeschriebenen revoluzzerhaften Aufbegehren von Joëlle Léandre finden sich „per arco“ genügend Heile-Welt-Klänge. Traditionelle Jazz-Sentencen werden nicht verschmäht, Blues-Feeling ist erlaubt, zu improvisatorischen Interaktionen wird animiert. Insgesamt eine kurzweilige Angelegenheit von „Can You Hear Me?“.

Alle Jahre wieder: Auch bei „normalen“ Konzerten der Donaueschinger Musiktage tauchten mitunter Bezüge zum Jazz auf. So bei Bernhard Langs „DW 28 – Loops for Davis“ für Bassklarinette und Orchester. Der Engländer Gareth Davis, Schüler des Holländers Harry Sparnaay, fungierte hier als absoluter Solist und raunzte und rotzte ins Instrument wie etwa Michel Pilz. Da geriet das fusionierte SWR-Symphonieorchester und auch Kontrabassist Veit Hübner, wie Davis auf einem Podium inmitten der Zuhörer postiert, geradezu ins Hintertreffen.

Für das dritte Oktober-Wochenende 2018 ist in Donaueschingen erstmals die swingfähige SWR-Big-Band angekündigt. Unter Erwin Lehn hegte und pflegte diese Großformation ja sporadisch ziemlich neutönerisch den Third Stream. Man darf gespannt sein.

 

 

Jazzpages Logo
ruler1
Text und Fotografie von Hans KumpfKumpfs Kolumnen

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner