Noch ins Dunkel getaucht, lässt Erika Stucky stimmlich den Mikrofongalgen quietschen, immer und immer wieder, während Christy Doran mit dem Bogen die Saiten der E-Gitarre zum Aufschrei zwingt, Jamaladeen Tacuma schier endlos Akkord-Ostinati auf dem Bass anreißt und Fredy Studer unglaublicherweise subtile Klangnuancierungen in ein Schlagzeug-Crescendo einbettet. Mit „Spanish Castle Magic“ eröffnet die Schweizer Vokalistin in der betonkargen früheren Opel-Werkshalle A1 ihr Jimi Hendrix Project.
Es ist nach elf Jahren der Rüsselsheimer Jazz-Fabrik das letzte Konzert in diesem Raum, der bald der Abrissbirne zum Opfer fällt, doch eine gewaltige Klangorgie wischt an diesem Abend jegliche Sentimentalität beiseite.
Ein leises Duo mit filigran gezupften Singelnote-Linien und Akkordreihen auf der akustischen Gitarre sowie der folkloristisch angehauchten balladesken Stimme in „Little Wing“, ein späteres sanftes Schlagzeug-Solo mit kreisenden Besen auf Fellen und Becken, aber mit Dynamiksprüngen bei härter werdenden drivenden und groovenden Schlägen der Sticks oder das getragene „Hey Joe“ mit der überdehnten Stimmführung, dem ostinaten Bass-Fundament und der in den Mittellagen vibrierenden Gitarre sind die Ausnahmen in diesem hart rockenden Programm zwischen Avantgarde, Free-Blues und Noise-Jazz. Jimi Hendrix hätte „If 6 was 9“ gemurmelt, sich lustvoll die Locken gezwirbelt und die Gitarre übers Knie gebrochen, wäre ihm dieses Geburtstagsständchen zu hören vergönnt gewesen.
Man kann Jimi Hendrix nicht kopieren, ist die einhellige Meinung der Fans. Aber man vermag ihn und die jung gebliebenen Songs in seinem Geiste neu erfinden. Wer könnte dies besser als der irische Schweizer Christy Doran, der mit aberwitzigen Ideen die Klangmöglichkeiten der elektronischen Verfremdungen auskostet, das Instrument kreischen, jaulen, schreien lässt, vieles was aus Erika Stucky mit ihrer Stimmakrobatik ebenfalls vollendet herausbricht, so dass manchmal nicht zu sagen ist, ob die Gitarre die menschliche Stimme, der jene die Gitarre ersetzt – oder beide im Unisono erklingen.
Doran übersetzt die Licks und Melodien des legendären Hendrix in den freien Jazz. Tacuma wirkt mit seinen groovenden Basslinien dagegen fast konventionell. Und Stucky widersetzt sich jeglicher Kategorisierung. Es ist weniger ihr oktavenüberschreitender Stimmumfang als die ausgefeilte eigenständige Verbindung von Jodeln, Scatten, Singen und ironischer Überspitzung, die das Publikum in atemlose Faszination versetzt. Ganz abgesehen vom schauspielerischen Talent, mit der die Sängerin ihre Performance abrundet – in die sich selbst das vokale Zwischenspiel mit einem Kinder-Rekorder passend einfügt. Ihre eigenwillige Klangästhetik fördert immer wieder neue Erkenntnisse zu Tage. Auch darin gleicht sie Hendrix.
So explodiert eine Klangwelt, wenn Doran die Stratocaster verzerrt aufschreien lässt, wenn Studer den Drum-Beat gegenläufig zu dem Bass-Ostinati setzt, um dann mit harten Trommelschlägen die andere voranzutreiben und Erika Stucky mit ihren vokalen Exzessen diesen orgiastischen Kosmos vollendet. Solch intuitive Musik trifft das Publikum in voller Breitseite. „Ihr seid wie ein Schwamm“ lobt sie die Zuhörer. Kein Wunder, dass diese frenetisch Zugaben forderten.