Patrick Bebelaar / Interview und alle Fotografien: Hans Kumpf
Als Jazzlehrer bei der Regenbogennation
Pianist Patrick Bebelaar unterrichtete in Südafrika
Der 1971 in Trier geborene Patrick Bebelaar unterrichtet mittlerweile im „Institut Jazz & Pop“ der Stuttgarter Musikhochschule Klavier und Ensemble. Doch das Interesse des schaffensreichen Komponisten geht weit über den „reinen“ Jazz hinaus. Bebelaar darf man getrost als „Weltmusiker“ bezeichnen, der sich mit den vielfältigen Kulturen unseres Planeten kreativ auseinandersetzt und sich auch des Erbes von Bach und Beethoven bewusst ist. Erneut weilte er in Südafrika. Hans Kumpf befragte ihn nach seinen Erfahrungen dort.
Du warst 1995 erstmals in Südafrika und zuletzt im Oktober 2010. Hast Du beobachtet, dass das Selbstbewusstsein der Menschen infolge der Fußballweltmeisterschaft gestiegen ist?
Die WM hat verschiedene Auswirkungen auf das Land. Sicherlich gab es einen Schub an Selbstbewusstsein, denn zu Beginn der Sache hatte ja niemand den Afrikaner zugetraut, dass sie in der Lage seien, ein solches Großprojekt durchzuführen. Ich habe da nie daran gezweifelt. Aber es gab noch einen anderen sehr guten Effekt. Als ich mir in Durban das Eröffnungsspiel im Fan-Park direkt am Strand des Indischen Ozeans ansah, fiel mir auf, wie wir alle, egal ob Zulu, ob Inder, egal ob Weißer, Christ oder Moslem die südafrikanische Nationalhymne sangen und uns in den Armen lagen, als es noch nach einem ersten Sieg für Südafrika aussah. Nach all dem, was in diesem Land geschehen ist, wundert es mich bis zum heutigen Tag, dass es so ruhig geblieben ist. Als ich 1995 zum ersten Mal am Strand in Durban stand, wäre eine solche Szene noch vollkommen undenkbar gewesen. Aber es gibt auch viele traurige Situationen: Nun haben gerade die Lehrer gestreikt, weil der Staat sie nicht mehr ordentlich bezahlen kann, das Stadion in Kapstadt wird wahrscheinlich wieder abgerissen, weil man sich die Instandhaltung nicht leisten kann.
Hierzulande wurde immer wieder von der dortigen Straßenkriminalität gewarnt. Hast Du selbst böse Erlebnisse gehabt?
Ich habe im europäischen Ausland größere finanzielle Einbussen aufgrund von Kriminalität gehabt als in Südafrika. Aber auch dort hatte ich bereits zwei Mal kritische Situation und einmal war immerhin auch ein Messer im Spiel und am Hals meines Kollegen. Aber wenn man sich an einige Regeln hält, kann man sich recht gut durch das Land bewegen.
Du bist als Jazzmusiker ja schon auf der ganzen Welt herumgetourt. Wie kamst Du auf und nach Südafrika?
Zwischen den Länder Baden-Württemberg und dem Kingdom of Kwazulu Natal gibt es eine Partnerschaft und diese hat dann letztlich auch zu einem Partnerschaftsvertrag zwischen der Uni in Durban und der Musikhochschule geführt. Ich war dann 1995 der erste Austauschstudent, der auf Grund dieser Partnerschaft nach Durban ging und sich dann gleich auch in das land verliebt hat. Damals ging ich auch (als weißer Europäer) sehr unvoreingenommen in die Townships und habe bereits angefangen, mich in entsprechenden Musikschulprojekten einzubringen. Nach den vielen Jahren der Apartheid war ein musikalischer Ansatz, der nicht rein amerikanischen Jazz unterstützt sondern sich vielmehr mit dem zusammenbringen der verschiedenen Musikkulturen auseinandersetzt und somit das Potenzial der Regenbogennation auch zu nutzen weiß, als musikalische Antwort gefragt. Hier liegen wohl auch meine Stärken.
In Europa gilt Dollar Brand alias Abdullah Ibrahim als der bekannteste Jazzmusiker Südafrikas. Welche Rolle spielt er in seiner Heimat?
Man schätzt ihn als einer der ersten „Brüder“, die international auf die afrikanische Kultur aufmerksam gemacht haben, aber man geht ihm aus Gründen seiner Allüren auch aus dem Weg.
Gibt es in Südafrika junge viel versprechende Musiker, die vor einer Weltkarriere stehen?
Das Land leidet nach wie vor sehr an seiner geografischen Lage: “links – rechts – unten“ nur weites Wasser und nach Norden Savanne, Regenwald und dann noch unendliche Wüste. Man muss schon sehr bewusst nach Südafrika fahren, um zu konzertieren. Somit fehlt die Konkurrenz, die den Standart nach oben treibt. Allerdings gibt es natürlich trotzdem sehr gute und eigene Musiker. Aber die haben das Problem, dass der Markt sie nicht entdeckt hat und wohl auch nie entdecken wird, da wir gerade wieder eine große Welle musealen Jazz durchleben. Ich habe mich oft genug über die positiven wie negativen Folgen des Neoklassizistischen ausgelassen, habe oft genug darüber berichtet, dass wir uns immer noch gen New York wenden, wenn wir um neue Jazzinspirationen beten. Die Innovationen gibt es allerdings anderswo zu finden. Aber die Suche ist mühseliger und nicht so kommerziell nutzbar. Daher wird es wohl noch eine Zeit dauern, bis die guten südafrikanischen Jazzmusiker hier wahrgenommen werden. Anders ist es mit dem südafrikanischen Pop, der ja auch in Europa (seit Paul Simons „Graceland“) wahrgenommen wird.
Wie sieht es in Südafrika mit der Jazz-Szene aus? Gibt es Clubs, regelmäßige Konzerte? Welche Bevölkerungsschichten interessieren sich für den Jazz?
Zwar gibt es Jazzclubs, aber meist findet der Jazz im Hintergrund von Kneipen statt. Konzertanter Jazz hingegen gibt es in erster Linie in den Universitäten, die auch öffentliche Konzerte machen. So bei der Uni in Durban, wo es das „Center for Jazz and Popular Music“ gibt. Einmal die Woche gibt es da Konzerte. In Joeburg hat sich gerade eine Gruppe von Jazzliebhabern zusammengetan und den Club „Four Degrees“ gegründet. Wir waren mit die ersten, die dort spielten. Mögen tun Jazz alle durch sämtliche Bevölkerungsschichten. Da die Spielorte (zumindest bei Konzerten) aber in der Regel weiter außerhalb liegen und bei Dunkelheit kaum öffentliche Verkehrsmittel zu finden sind, ist man auf Autos angewiesen. Somit ist das Publikum dann meist doch ab der gehobenen Mittelschicht aufwärts.
Gibt es in Südafrika noch einen musikalisch-kulturellen Einfluss von Indern?
Natürlich! In Durban wohnen inzwischen über 2 Millionen Inder. Das bleibt nicht unbemerkt. Außerdem pflegen die Inder auch ihr ganz eigne indische Kultur in Konzerten und Veranstaltungen. Indien gehört mit zu Südafrika, wie die vielen unterschiedlichen Stämme, wie die Coloured oder die Engländer und Buren.
Wie kommen ärmere Musiker an Instrumente?
Das ist natürlich immer ein Problem. In dem Township-Projekt, in dem ich mich engagiere ist es so, dass Kinder/Jugendliche ein Instrument bekommen, solange sie sich eben auch entsprechend einbringen und üben.
Wer reiste mit Dir im Oktober 2010 mit nach Südafrika?
Vier Studenten der Jazzabteilung der Stuttgarter Musikhochschule. In allen vier Fällen handelt es sich um wirklich hervorragende junge Musiker, die sich unglaublich gut in das Projekt, in die Konzerte und das Unterrichten eingefühlt haben. Am Bass war Sebastian Schuster, am Sax war Christoph Beck, die Drums bediente Thomas Wörle und an der Tuba war Matt Bookert, der für seine Unterrichtstätigkeit an der University Of Cape Town sogar von der „Association of Jazz Education South Africa“ ausgezeichnet wurde.
Habe ich da bei dem Konzert in der Stuttgarter Musikschule richtig gehört – ließ sich Schlagzeuger Thomas Wörle von den „talking drums“ beeinflussen?
Ich denke, dass Thomas alles, was ihm begegnet, in sein Spiel einzubauen weiß. Letztlich ist er ein Schüler Manfred Kniels und dessen Philosophie. Diese hat er allerdings nicht einfach übernommen, sondern hat einen ganz eigenen und individuellen Sound am Schlagzeug entwickelt, der auch in Südafrika immer wieder bestaunt und bewundert wurde.
Was für Vorfahren hat der Tubist Matthew Bookert? Wurde er von den Afrikanern leichter akzeptiert?
Matt kommt aus den USA. Er wurde genauso akzeptiert wie wir alle. Der einzige Vorteil, den er genoss, war der seiner Rastalocken, die immer für großes Aufsehen sorgten. Ansonsten waren wir ja als Musiker unterwegs und da ist es seine außergewöhnliche Art, mit seinem Instrument umzugehen. Da ich selbst ja seit über zehn Jahren mit Michel Godard zusammenarbeite, weiß ich schon recht gut, was auf diesem Instrument möglich ist, aber Matt schafft es dann immer wieder, neue Klänge zwischen Luft und Wasser aus seinem Ungetüm zu entlocken, die selbst mich überraschten.
Mit welchen Schwierigkeiten muss ein Pianist oder Keyboarder in Afrika kämpfen?
Das ist sehr unterschiedlich: Ich hatte auf dieser Tour nur ein einziges Mal ein E-Piano. Da hing die F-Taste runter. Aber ansonsten hatte ich immer einen gut gestimmten Flügel, der auch voll funktionsfähig war. Das war nicht immer so, ist aber bereits seit einigen Jahren besser geworden. Schwieriger ist es für die Holzbläser, auch wenn die ihr eigens Instrument dabei haben, machen die Blättchen bei der hohen Luftfeuchtigkeit in der Regel sehr schnell schlapp. Da bei unserer Tour dieses Mal allerdings das Wetter ziemlich schlecht war, tauchte dieses Problem nicht so sehr auf.
Im Jahre 2005 fand als Auftragswerk der Stuttgarter Bachakademie die Uraufführung von „Pantheon“, das sich ja auf Bachs h-moll-Messe bezieht mit größerer Besetzung statt. Was hast Du für das Quintett umarrangiert?
Nichts! Wir haben zwei Teile weglassen müssen. Ansonsten hat die Band das Stück erst einmal analysieren müssen. Dann war allen klar, wie es sich aufbaut und was wichtig ist. In der Probenarbeit ergaben sich dann hier und da kleine Probleme, da natürlich ein Kontrabass nicht einfach so tun kann, als sei er ein Cello. Da haben dann schon mal hier und da die Instrumente eine Stimme getauscht. Aber alles in allem war es recht unkompliziert. Wir haben es gemeinsam entwickelt und versucht, ein eigens Stück zu machen.
Ich wollte nicht alles vorgeben. Jeder sollte sich mit seinen individuellen Fähigkeiten, so gut es geht, einbringen können. Dabei musste die Struktur des Werks erhalten bleiben, aber die instrumentale Persönlichkeit steht immer im Vordergrund, wie bei all meinen Kompositionen.
Wo hast Du dieses Werk in Südafrika gespielt? Wie wurde es von den Zuhörern aufgenommen?
Wir haben es überall gespielt, wo man uns hat spielen lassen. In der University of Kwazulu Natal und Durban, in der University of Capetown, in der Music Akademy of Gauteng, in einem Jazz Club bei Johannesburg… Aufgenommen wurde das Werk immer mit Begeisterung, was aber natürlich auch an den ausgezeichneten Leistungen meiner Mitmusiker lag.
Kann ein solches Projekt auch in der Jazz-Pädagogik und somit der Ausbildung des mitgereisten Studenten eine Rolle spielen?
Natürlich! Ich denke, dass gerade ein solches Projekt viel von dem bietet, was in der universitären Ausbildung oft zu kurz kommt. Ich habe ja bereits zuvor erwähnt, dass schon die Art und Weise, in der wir meine Komposition erarbeitet haben, sehr viel stärker die Instrumentale Persönlichkeit der Spieler fördert und in den Vordergrund rückt. Darüber hinaus sind es auch die Eindrücke, die eine neue Kultur auf uns macht und das, was sie bei uns hinterlässt, was nachhaltig die Persönlichkeit (und natürlich auch musikalisch) prägt. Und am stärksten ist sicherlich die Erfahrung in dem Township. Hier begegnet man den extremen sozialen Unterschieden und Spannungen, trifft auf Kollegen, die aus eigener Kraft niemals – und das, trotz Talents – das Geld für ein Instrument und eine Ausbildung hätten. Es ist die soziale Ungerechtigkeit, gegen die wir „anunterrichten“, es sind die kulturellen Unterschiede und wie man ihnen pädagogisch am besten begegnen könnte, die ganze Nächte durchdiskutiert wurden. Und es ist der Wunsch entstanden, ein solches Projekt fortzuführen: Ehrenamtlich, mit eigenen Mitteln und auch auf eigene Kosten. Dieses Feuer, diese Leidenschaft bei meinen mitreisenden Studenten bewirkt zu haben, erfüllt mich mit Stolz und Zufriedenheit. Dem Jazz etwas von seiner politischen Wirkung zurückgegeben zu haben und das in die Ausbildung junger Musiker integriert zu haben, während wir ansonsten weltweit immer wieder an der starken Akademisierung und Kommerzialisierung der universitären Jazzausbildung leiden, war Sinn und Zweck dieses Projekts. Und das ist geglückt!
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