Franz Hautzinger im Gespräch mit Frank Schindelbeck

Franz Hautzinger - Foto: Schindelbeck

Franz Hautzinger – Foto: Schindelbeck

Den Auftakt zum Hauptprogramm des Jazzfestival Saalfelden 2010 bestritt der österreichische Trompeter Franz Hautzinger mit seiner Formation „Third Eye“. Die Festivalleitung vertraute ihm eine Auftragskomposition an und ermöglichte ihm die Zusammenstellung einer Wunschformation mit Hayden Chisholm (sax), Hilary Jeffrey (tb), William Buck (dr), William Parker (b) und Franz Hautzinger selbst, an der Vierteltontrompete. Ich konnte am Rande des Festivals mit Franz Hautzinger am Tag nach der Aufführung seines Projektes sprechen.

Du hast das offizielle Hauptprogramm in Saalfelden beim Jazzfestivaleröffnet, mit einer Auftragskomposition, kannst du dazu ein paar Worte sagen?

Es war eine Einladung von Michaela Mayer und Mario Steidel, den künstlerischen Kuratoren des Saalfeldener Jazzfestivals im März, und ich habe mich sehr, sehr, sehr gefreut. Auch gewundert, weil ich zwar in den letzten Jahren einige mal hier gespielt habe – eigentlich relativ oft – da ich mich aber grundsätzlich eher nicht zur Jazz-Szene zähle, war das für mich wirklich eine sehr große Überraschung, eine Positive!

Da ich hier beim Festival in verschiedenen Bereichen, in elektronischen, in avantgardistischen, abstrakten Geschichten vertreten war, aber nie eigentlich als Jazztrompeter, war die Einladung, sozusagen auf dem „ersten Platz“, für mich eine sehr Wunderbare. Die beiden hat mich auch irgendwie in eine Fragestellung gebracht. Alle meine Sachen, die ich auch in Saalfelden immer wieder unternommen habe, die waren immer ein Blick von außerhalb des Jazz in den Jazz hinein. Und nach zwei Wochen Überlegen dachte ich mir: so, jetzt muss ich das mal umgekehrt machen.

Der Gedanke war: „Ich fange das noch einmal genau an“. Und bin ja sehr glücklich, dass es YouTube gibt. Man kann wirklich alle großen Trompeter sehen und hören. Also, ich habe angefangen von vorne mit Louis Armstrong, Bix Beiderbecke, Dizzy Gillespie, Miles Davis, Woody Shaw, Bill Dixon, die ganzen Europäer …Palle Mikkelborg (FS: spielte auch in Saalfelden) meine ganzen verehrten „Masters“: Hannibal Marvin Peterson, Clifford Brown…Ach, es gibt so viele…Ich überlege gerade wer fehlt…Lee Morgan, Kenny Dorham, Leo Smith

Don Cherry…

Don Cherry, natürlich! Oh, es fehlen noch sehr viele.

…und ich wollte ein echtes Jazz-Projekt machen. Wie es halt bei mir so ist – ich bin schon ein schräger Typ – dann eher ein Abstraktes, von meiner Musik her. Ich habe Jazz studiert, ich habe Komposition studiert , ich habe ganz viele Arten von Musiken geschrieben und auch gespielt und so habe ich mir gedacht, das nehme ich mir jetzt, aus meinem Leben und gehe noch einmal ganz tief in diese Musik, die ich so sehr liebe. Und der Titel von dem Projekt war dann für mich „Third Eye“

Ich hatte ein bisschen ein Problem ab den 80ern mit Jazz. Es kam auf einmal zu – so wie auch in der Gesellschaft insgesamt – einem Wandel zur „Image-Gesellschaft“, des Business, des Managements, des Marketings; und die Musik, finde ich, hat nicht mehr „das“ gehabt – jetzt verändert es sich wieder – also, „das“ nicht mehr gehabt, was wir früher so gut daran fanden. Dieses Inspirative, das Innovative, das Sich-Versenken, dieses „Coltrane“, dieses „Miles Davis“, dieses „Ding“, dieses wirklich Tiefe.

Darf ich hier einmal einhaken? Auf der anderen Seite gab es doch parallel immer Leute wie – ich nenne jetzt mal bewusst deinen Mitspieler beim„Third Eye Projekt“, William Parker – großartige Musiker…

…sowieso.

Natürlich gab es einen Ornette Coleman, immer, und hoffentlich noch ganz lange – das heißt, es hat nicht aufgehört. Aber was in den 80er Jahren doch passiert ist: Der Free Jazz war noch gar nicht weg und alle haben sozusagen aus der eigenen Musik heraus auf diese Musik geschimpft.

Es war die eigene Tradition! Ich habe das bis heute nicht verstanden, dass das Große aus den eigenen Reihen nicht geschätzt wird. Die eigenen Leute schimpfen und machen das schlecht. So war das nun einmal, und ja, das habe ich nie richtig verstanden. Ich habe den Pat Metheny und die Yellow Jackets auch geliebt aber das war dann „woanders“.

Im Nachhinein habe ich mir gedacht: jetzt weiß ich, warum ich da ausgestiegen bin. Es war vorher eine andere Tiefe – nein – es war eher eine Höhe. Es ging mir darum, diesen besonderen „Spirit“ für mich zu beleben und ich glaube auch, das ist ein sehr sozialer Geist. Der entwickelt sich im Moment wieder etwas, finde ich. Wir haben gesehen, was uns die 80er Jahre, an Entwicklung in wirtschaftlicher und geistiger Hinsicht gebracht haben. Es brennt überall, ja? Die Welt ist am Ende…

…ich wollte es gerade sagen: Im Moment haben wir keine positive Entwicklung…

Das ist meiner Meinung nach alles in den 80er Jahren entstanden. Natürlich im besten Willen, klar. Aber es ändert sich. Ich glaub‘ es wird sich total ändern; dass das Soziale wieder eine größere Rolle spielt. Davor hörte ich seit Jahren immer nur : „Hast du eine Band?“, „Hast du ein Projekt?“ Es waren dauernd fünf Solisten auf der Bühne…

Im Prinzip siehst du also jetzt eine positive Entwicklung im Jazzbereich. Dass der Zusammenhalt eher wieder wächst und man wieder mehr auf Qualität und Kooperation achtet?

Ich kann‘s nicht sagen, ob das bereits wirklich so ist. Mir ist es immer wieder passiert, dass ich so etwas für mich gesagt habe und dann habe ich gesehen – aha – ich bin da zwei Jahre vor dieser allgemeinen Entwicklung. Ich fühle es in mir…nein, man sieht es tatsächlich rundherum…

Wir haben es gesehen, 2002, bei der Überschwemmung, wie die Leute zusammenkommen, ja, in Deutschland, Österreich – überall: Oder jetzt, heuer in Polen – das macht sozial. Wenn es noch so schlimm ist, dass es am Ende nicht über den Kopf geht sondern über den Tod…

Vielleicht liegt es auch an diesem ganzen Wirtschaftschaos – von dem man mehr oder weniger mitbekommt – dass sich da eine andere Einstellung entwickelt? Dass man gewisse Sachen mehr Wert schätzt, dass es weniger um Hochglanz geht, sondern eher um den Kern auch von Musik oder Jazz.

Ja, das finde ich. Ich glaube, dass es so ist und dass es so sein wird, in den nächsten Jahren, es wird so anders werden. Ich bin mir sicher! Ich habe so gern diese Musik gehabt, diesen Coltrane Geist, Albert Ayler, dieses Tiefe, diese Inspiration, „the Spirit“.

Dein Projekt „Third Eye“ hier in Saalfelden fand ich großartig. Ein echtes Highlight des Festivals. Es war lebendig, es war komponiert aber voller Improvisation und du hattest tolle Mitspieler. Vielleicht könntest du ein paar Worte zu denen sagen. Eine großartige Besetzung mit William Parker, Hilary Jeffrey, Tony Buck und Hayden Chisholm – ein enormer Saxophonist, der sich in den letzten Jahren unglaublich entwickelt hat…

Ich habe zu meinem 40. Geburtstag vor 7 oder 8 Jahren beschlossen – es war natürlich früher schon immer ein bisschen so – aber ich habe damals endgültig beschlossen: Ich spiele nur mehr mit Leuten, die ich verehre. Die ich schätze, die ich liebe, deren Musik und deren Fähigkeiten ich einfach groß finde. Hayden – wir lieben uns seit vielen Jahren – ja, alle zwei Jahre haben wir die Chance einmal zusammen zu spielen.

Das gleiche mit Hilary. Wir sind einfach „two brothers“ im Sound, im Fühlen und ich wollte immer mit im spielen – aber verdammt nochmal – wer gibt uns die Möglichkeit – den Hayden und den Hilary zusammen zu bringen und ich darf dabei sein. Und dann mein alter Freund Tony Buck, mit dem ich musikalisch durch – man sagt, durch dick und dünn, nein, immer fett gegangen bin (lacht) – also jetzt menschlich und musikalisch…

…und nun hatte ich die Gelegenheit!

Dann war ich in New York und es gab ein Trumpet Summit, das font music – Festival for New Trumpet, mit unter anderem Dave Douglas und Joe McPhee, Herb Robertson und vielen anderen und ich war noch eingeladen, und John Betsch und Willam Parker haben gespielt und da hat es bei mir mal wieder gefunkt.

Da bin ich so erwacht, dieser Musik bezüglich, und ich habe gedacht: „Nein, das gibt’s gar nicht! Es lebt weiter, es ist total da und es ist so stark“. Und so habe ich mir gedacht, ich frage William Parker einfach. Er ist relativ jung, dafür, dass er echte „Jazz-Geschichte“ ist. Und er ist ein wirklicher Wächter und Träger von diesem „Gold“ und ich habe mich wahnsinnig gefreut, wie er ja gesagt hat. Und wir hatten hier auch wahnsinnig schöne Konditionen, nämlich eine Woche lang in den sonnigen Bergen zu üben und zu diskutieren. Niemand sonst war hier, wir hatten wirklich eine tolle Woche und so war das wahnsinnig schön.

Da drängt sich natürlich die Frage auf, ob „Third Eye“ ein einmaliges Projekt bleibt.

Es hängt damit zusammen, dass ich kein Mitglied der „Image-Gesellschaft“ werden will: Ich rufe niemanden an. Ich habe auch keine Agenten oder so… Ich spiele trotzdem sehr viele Konzerte und deswegen war das immer in den letzten Jahren einfach so: Ein Projekt und dann das Nächste. Aber ich würde es mir wünschen, dass wir das wieder machen können. Und ich glaube auch, dass würden alle gern…

Mein Satz war eigentlich zur Musik: Ich möchte aufhören mit diesem Wettbewerb. Ich möchte nicht an diesem Wettbewerb teilnehmen, den Festivals bieten. Den sehe ich auch gar nicht so: das ist eine Werkschau, es ist alles Mögliche, es gehört zum Ganzen. Aber ich wollte herkommen mit dem „dritten Auge“ und dem „offenen Herzen“, das war mein Wunsch und das ist gelungen. Das war wahnsinnig schön.

Es ist wirklich gelungen und es ist ja trotzdem auch ein ökonomisches Thema und es gibt die Notwendigkeit für Musiker „verbreitet zu werden“ oder sich „auszubreiten“, im allerbesten Sinne. Wie kommt man über die Runden? Ganz trivial gefragt: wie funktioniert das bei dir?

Ich spiele immer sehr viel. Normalerweise spiele ich im Jahr mindestens hundert Konzerte, das heißt, jeden dritten Tag und in Wien ist es so, dass ich alles Mögliche mache. Das ist meine echte Übe-Baustelle…

Jetzt bin ich gerade mit Liedermachern unterwegs, das spielt sich nur in Wien ab, dann hatte ich ein paar Jahre arabische Musik, dann – in Wien gibt‘s ja gute Elektroniker – sehr viel elektronische Musik und all die Mischformen – außer Jazz. Ich habe da niemanden gefunden, der das so existenziell sieht wie ich.

Es gibt vielleicht ein paar, aber.. …naja für mich gilt einfach „gut spielen“. Ich glaube, dass das wichtig ist – das machen eh alle… (lacht). Auch das Soziale. Ich merke oft – ja, jetzt kommen wir wieder auf dieses Image-Thema – da kommen Kollegen und sind einfach „besser“ oder sind „mehr“ als die anderen.

Das geht nicht, ja? Ich meine, das geht vielleicht bei Miles Davis, wenn es dann völlig „Fantasy“ ist, dann ist es etwas anderes – aber ich finde der Respekt zu den eigenen Leuten, der muss da sein.

„Besser“ oder „schlechter“ ist ja auch ein unglaublich blödes Kriterium. Wenn wir über einen Trompeter wie Don Cherry sprechen, das war technisch sicher kein grandioser Instrumentalist, darum geht es ja eigentlich auch nicht. Und auch Miles Davis – jeder klassische Trompeter oder ein Wynton Marsalis würde sagen, wenn er nicht ein wenig Respekt hätte…

…ja zum Glück ist das so, weißt Du, das finde ich so schön: Eine Trompete ist nur ein Metallding, das ist gar nichts, das hat nichts mit Kunst, nicht mit Musik eigentlich zu tun. Das ist ein Ding. Und wenn man da herein blast, kommt halt etwas raus. Beim einen ist es Kunst, beim anderen ist es Musik, beim anderen sind’s Töne. Ich finde es gut, dass es so bleibt. Und ob der Herr Don Cherry mit dem Arsch oder mit dem Ohr oder dem Mund reinblast – es war immer genial.

Ich durfte auch noch ein paar seiner Konzerte erleben. Es war einfach toll, wobei viele Leute nur den Kopf schüttelten. Aber das ist immer so und bei besonders guter Musik scheinbar besonders so…

Ja, aber wenn wir uns einmal ein Symphonieorchester mit deren Dirigent anschauen schüttelt man auch den Kopf und das macht auch nichts… Ich finde das gut (lacht) – das macht Bewegung…

Eine technische Frage: Du spielst eine Vierteltontrompete und auch Hayden Chisholm ist ja ein Vierteltonkünstler. Vielleicht ein paar Worte zu diesem Konzept? Ist das mehr als eine Modeerscheinung?

Keine Ahnung.

Dumme Frage?

Nein, nein gute Frage. Ich weiß nicht, ich stecke ja immer in etwas drin und sehe nicht so sehr, was um mich herum passiert. Ich hatte dieses Instrument gekriegt. Das hatte der Franz Weber aus Inzell am Chiemsee gebaut, für einen Freund von ihm mit einer arabischen Freundin mit der er arbeiten wollte. Dann hat es so lange gedauert bis das Instrument fertig war, dass sich die beiden bereits getrennt hatten und dann wollte er dieses Instrument am Arsch nicht mehr haben. Ich habe das zufällig gehört, von einem Kollegen, und habe angerufen und er hat sie mir verkauft. Ich glaube er hatte sie dann damals in eine Plastiktüte gepackt und geschickt, und ich hatte den Eindruck, dass er wollte, dass die kaputt geht. Nein, sie kam an und so kam ich zu diesem Instrument. Ich habe dann lange Zeit herum probiert.

Ich habe keinen richtigen Ansatz gefunden wie ich Vierteltöne spielen konnte. Ich war damals sehr mit neuer Musik beschäftigt, der abstrakten Musik, ich dachte so im Frequenzdenken aber es ist mir nicht gelungen, weil ich doch mein Herz für die Musik brauche. Den Kopf schon aber zuerst das Herz und dann den Kopf. Und dann habe ich mit den Arabern, mit ein paar Freunden, palästinensische und arabische Musik gemacht und habe langsam begonnen zu hören. Ich wollte zuerst nicht in den ethnischen Bereich gehen, weil, wenn man so etwas macht, das bleibt dann hängen. Ich wollte diesen Einfluss nicht, sondern wollte sozusagen das Intellektuelle aus der neuen Musik – so hatte ich mir das gedacht. Das hat dann nicht funktioniert und ich bin in die Ethnomusik gegangen und habe dann ein paar Töne gelernt, die ich wirklich höre.

Im Vierteltonbereich… mit Hayden, so alle paar Jahre haben wir uns getroffen, Hayden und der Nils Wogram. Mit denen habe ich gespielt, vor ein paar Jahren, der Frank Gratkowski hat mich damals eingeladen – das sind alles ehrenwerte Kollegen, das sind echt Supertypen – tja, so hat es sich ergeben. Hayden ist ja eine ganz andere Generation und Nils, die sind da einfach so reingegangen. Und dem Hayden zuzuhören, wie er das so macht, das ist echt außergewöhnlich. Der Hayden, der kommt noch einmal ganz groß raus, das hoffe ich zumindest für ihn.

Man hat den Eindruck, obwohl manche Leute ja lange in diesem Zustand verharren. Es ist auch schwierig…

…außerdem: Was heißt schon „groß rauskommen“… sein jetziges Leben ist schon groß raus…

Wohl wahr. Gestern Abend hat er ein Solo gespielt, das habe ich gedacht „Charlie Parker, zieh dich warm an“…

Ja – wow – also jetzt in diesen fünf Tagen Proben er hat es wirklich – hmmmm – super gemacht, und er war bei der Aufführung am besten von all den Tagen – er hat so gut gespielt. Am liebsten wäre es mir ich könnte überhaupt nur zuhören.

Eine andere Frage – weg von Saalfelden. In Wien gibt es ja seit einiger Zeit die Jazzwerkstatt Wien. Hast Du dazu auch einen Bezug?

Ja, ja ich habe 20 Jahre unterrichtet in der früheren Musikhochschule, danach an der Universität für Musik und Darstellende Künste. Da waren ganz viele: Ich habe 20 Jahre gearbeitet und ich glaube die Hälfte war bei mir zu irgendwelchen Arrangement- oder Improvisationskursen: Ja, die sind super. Weltklasse. Es ist eine total gute Chance.

Man weiß nie, was zehn Jahre später ist. Es gibt Generationen, da gibt es überhaupt keine Bildung; wie es war bei Puschnig in dieser Generation – da sind nur vier, fünf übrig geblieben. Der Wolfgang Reisinger, Wolfgang Mitterer natürlich und ein paar mehr noch, aber das sind die „Heights“. Und in meiner Generation fast niemand, Wolfgang Muthspiel, Christian Muthspiel, meine alten Schulfreunde und so…

Bei denen (FS: Jazzwerkstatt) ist es so, die sind jetzt etwa 50 Leute. Ich kenne sie alle – nein, von den 50 kenne ich wahrscheinlich 40 sehr, sehr genau. Die machen das wahnsinnig gut und ich hoffe, dass da mehr als fünf übrig bleiben, weißt du. Irgendwann wird es dann echt eng, wenn es um das „Eigene“ geht. In den Kollektiven ist es immer sehr nett aber was dann echt über bleibt, an Essenz im Kompositorischen, im Klang, in der Musik, im Können, im Spirit, da hoffe ich doch sehr für alle. Weil: das wäre für Wien wahnsinnig gut.

Meine Generation waren seit den 80ern die erste „Ausgebildeten“ – mit ganz schlechten Lehrbedingungen. In Graz ist eine Schule gewesen, die haben ja alles selbst erfunden, das waren zwei, drei Leute und die meisten haben ihre Lehrmethoden selbst erfunden. Da wäre es gescheiter gewesen, ein Buch zu lesen, das muss ich ehrlich sagen. Also, was an meiner Lippe verbrochen wurde – …das waren echte Dilettanten.

Meine Generation, die haben das dann gelernt und ich habe selbst 20 Jahre unterrichtet und das genau mit verfolgt. Auch im pädagogischen Austausch – ich bin immer sehr viel getourt – das heißt wir haben nichts selbst erfunden sondern aufgenommen, was wir echt gesehen haben. Das war ja auch nicht nur bei uns so, sondern seit den 80ern allgemein.

1981 gab es in Hilversum eine Schule und in Graz. Und dann kam Köln und jetzt gibt es in jedem Bezirksdorf eine Jazz-Schule. Es gibt ja keine Jobs, keine Clubs, es gibt kein Publikum eigentlich. Ja, das heißt sie müssten alle irgendwie zuhause spielen – das ist ja keine Musik!

Insofern finde ich diese Bewegung OK. Wenn wir alle zuhause sitzen, ein jeder da, ist‘s blöd aber wenn wir gemeinsam zuhause sitzen und einen Schritt weiter gehen, dann hat man die Jazzwerkstatt. Dann gehen wir alle raus und jeder bringt zwei Freunde mit und dann sind wir hundert und hundert ist voll.

Ich bin froh, dass die etwas machen und so wundere ich mich nicht, das finde ich ganz normal. Wenn’s nicht wäre – wir würden es nicht vermissen, wir würden uns nicht wundern, aber wie es so ist, empfinde ich das total logisch und so kann man endlich mal etwas Positives sagen.

Zu dem „positiv sagen“, zur Jazzausbildung. Das kam ja jetzt so rüber, dass es letztlich eine gute Sache ist. Aber wie sieht es mit dem „Spirit“ aus, denn du angesprochen hast – den lernt man dort doch nicht. Wie finde der „Output“ der Jazzstudiengänge denn zu diesem Spirit?

Für die Hasenfüße ist das sowieso nichts, die gehen in die Schule und üben alles und haben am Ende ihren Schein. Miles Davis, übrigens, hat auch studiert. Ganz viele, Dave Liebman, alle, alle, nein, nicht alle aber ganz viele und fast alle Maler haben studiert, weißt du – und dann gibt’s dann die, die zuhause malen und alle anpissen und dann gibt es die „Echten“.

Ich finde es so: Je mehr es gibt, desto mehr Chancen hat das Ganze. Und die, die dann nur mit „ihrem Schein“ herumlaufen, na ja, die waren immer schon egal. Ich finde je mehr es gibt, desto besser. Es ist ja so: Niemandem bleibt es erspart, die Entscheidung, nein, es gibt nicht mal eine Entscheidung finde ich, sondern: „ist“ man, wächst in einem was, was ich wieder gehen lasse oder nicht?

Je mehr Bildung, desto mehr wird verstanden, desto mehr übersieht man keine Talente mehr. An jeder Ecke gibt’s jetzt einen Trompetenlehrer. Und wenn ich das bei einem nicht gut finde, dann kann ich den Nächsten probieren und nicht nur einen gibt’s – und das ist ein Wappler*, wie wir bei uns sagen, sondern es gibt dann hunderte und die Möglichkeit den Richtigen zu finden, die richtige Begleitung für ein paar Jahre, das sehe ich total positiv. Als Ex-Pädagoge ich habe mir natürlich diese Fragen über 20 Jahre gestellt… Nein, letztendlich ist es super. Und die Wappler, die braucht man manchmal, um zu sagen „Aaah – so geht’s nicht“. Das ist total geil, ja (lacht).

Wir zählen eigentlich nur die, „die an der Wand hängen“ und das sind lauter Individuelle, die haben alle sehr viel gelernt, wie der Charlie Parker. Wir wissen wie sehr er den Schönberg und das alles geliebt hat. Das heißt: diese Bildung! Und wenn man jedem alles erklärt, naja, dann hat er alles im Kopf.

Aber wir wissen auch: die Kunst und die Musik und die Tiefe und den Spirit, das kann man nicht lernen. „Cool“ kann man nicht lernen.“

*Österreichisches Schimpfwort für Personen, die vorgeben kompetent und fähig zu sein, in Wirklichkeit aber komplett unfähig sind

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