Al Jarreau: Ein Stimmakrobat singt nicht mehr – Hans Kumpf

Foto: Kumpf

Al Jarreau verstarb 76-jährig – Erinnerung an ein Konzert im Mai 2000

Als Al Jarreau vor vier Jahrzehnten der Beginn einer Weltkarriere vergönnt war, staunte man nicht schlecht über das Stimmwunder: ein enormer Tonumfang, eine ungeheure Improvisationslust, eine breite Ausdrucksskala, eine phänomenale Flexibilität, verblüffende Instrumentalimitationen – ein gewitzter Entertainer. Anfang der 1980er Jahre präsentierte sich dann Bobby McFerrin auf der Jazzszene und schien zunächst nur ein Epigone von dem am 12.3.1930 in Milwaukee geborenen Jarreau zu sein. Auch nach seinem Kommerzhit „Don’t Worry – Be Happy“ blieb McFerrin trotz alledem ein kreativer Jazzer, der ganz solo achtzig Minuten lang für Hochspannung sorgen konnte. Dies geschah beispielsweise 1988 beim Festival „JazzGipfel“ im Stuttgarter Beethovensaal. Im gleichen Raum trat nun Al Jarreau auf, doch statt leiser Zwischentöne dröhnte es bei dem Grammy-verwöhnten Star pop- und rockmäßig laut.

„Tomorrow Today“ hieß damals die neue Jarreau-CD. Seine Musik sei „frisch“ und „urban“ betonte der Vokalist, der Sound sei „black and funky“. Doch bei der Performance in der Liederhalle geriet diese hochpegelige Musik in Permanenz leicht zum diffusen Einerlei. Mehr Differenzierung in der Dynamik – und auch mal eine ganz schlichte Ballade, mit nur einem oder gar keinem Instrument begleitet, hätten für die nötige Abwechslung sorgen können. Auf die Dauer wirkte dann auch Jarreaus leichtgängige Intervallsprunghaftigkeit mit dem schnellen Changieren zwischen sonorem Bass und nasaler Kopfstimme stereotyp.

Faszinierend war die Beweglichkeit des Energiebündels – freilich musste man dabei nicht gleich wie Chuck Berry entenmäßig über die Bühne hopsen. Zur Show gehörte zudem, dass immer wieder der Saxofonist Joey Sorano mit an die Rampe kommt und – mit der PA drahtlos verbunden – auf Sopran und Alt einheizt. Ebenfalls professionell die Band um den Keyboarder Freddie Ravel – und die Background-Sängerin Debbie Davis, die sich mehrmals in den Vordergrund stellen durfte. Wenn sie „We’re in the world together“ trällern und dann Männer der „Security“ geradezu polizeistaatsmäßig gegen Fotografen vorgehen und die Kamerausrüstung beschlagnahmen wollen, bekommt die heile Welt allerdings einen schmerzlichen Kratzer ab…

Vergnüglich freilich der akrobatische Jarreau-Hit „Mornin'“ und die ausgedehnte Version von „My Favorite Things“. Free-Jazz-Innovator John Coltrane machte den Walzer jazzfähig; Al Jarreau jodelte jetzt adäquat über die phrygische Skala und legte zusammen mit Debbie Davis einen klassischen „belcanto“ hin – zur zum Musical „Sound of Music“ hochstilisierten österreichischen Trapp-Familie, die in den USA eine neue Heimat gefunden hatte, eine stimmige Sache.

Beethovens „Elise“ ließ Jarreau im Hauptprogramm erklingen, seine zungenbrecherische Adaption von Chick Coreas „Spain“ leitete planmäßig die Zugabenrunde ein. Seine Version von „Take Five“ durfte da nicht fehlen. Am 12. Februar verstarb Al Jarreau in Kalifornien, wenige Tage, nachdem er seinen Rückzug von der Bühne bekanntgegeben hatte.

 

Jazzpages Logo
ruler1
Text und Fotografie von Hans KumpfKumpfs Kolumnen

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner