Geburtstage, Tanz, Poetry und noch viel mehr
Die Theaterhaus Jazztage währten in ihren Jubiläumsfeierlichkeiten zur 30. Ausgabe mit 21 Veranstaltungen eine ganze Woche lang – so ausgedehnt und besuchsfreudig wie nie zuvor. Erstmals gab es in Stuttgart einen Osterjazz 1985 – im Mittelpunkt stand damals das zehnjährige Bestehen des (von Hausherr Werner Schretzmeier mitinitiierten) United Rock + Jazz Ensembles, angeführt von Wolfgang Dauner und Albert Mangelsdorff. Aus misslichen Finanzierungsschwierigkeiten mussten die Jazztage seither zwei Mal total abgeblasen werden oder sich auch mal mit einem spätabendlichen Rumpfprogramm zufrieden geben.
Nun also mit 7 500 Besuchern insgesamt der beste Publikumszuspruch aller Zeiten. Eigentlich kein Wunder, wurde das Festival doch mit populärer bis populistischer Musik begonnen und beschlossen: Ausverkaufte Konzerte mit dem legendären Gesangsquartett „The Manhattan Transfer“, bei dem der verstorbene Tim Hauser nun mit Trist Curless einen würdigen Nachfolger hat, und bei Trompeter Till Brönner, der seinem aktuellen CD-Erfolg „The Good Life“ frönte. Zudem liefen im Theaterhaus bis zu vier Veranstaltungen gleichzeitig ab, einschließlich einer Jazzfilmreihe von Julian Benedikt. Auf- und anregend gerieten erneut die gewitzten Jazz-Poetry-Slams und das ambitionierte Tanz-Projekt um den Saxophonisten Magnus Mehl.
Eine typische Tradition pflegt das Theaterhaus mit mehr oder weniger pompösen Geburtstagskonzerten liebgewordener Musiker. Heuer fing es eigentlich ganz jung an mit zwei 50-Jährigen. Der umtriebige Ulmer Trompeter Joo Kraus lud sich alte Freunde als Gäste ein, vorneweg den kubanischen Pianisten Omar Sosa, die aus Malawi stammende Vokalistin Malia und den Maceo-Parker-Saxophon-Kollegen Pee Wee Ellis. Als Sahnehäubchen-Plüsch gönnte er sich die Stuttgarter Arcata-Streicher, die zuweilen von seinem regulären Pianisten Ralf Schmid dirigiert wurden. Von Experimentell bis Edelkitsch, die stilistische Spannbreite des rappend singenden Trompeters ist bekannt. Schließlich kam noch Gregor Hübner, der Bruder des Kraus-Bassisten Veit Hübner, auf die Bühne und geigte zugeneigt ein Geburtstagsständchen.
Gregor Hübner, geboren am 23. Mai 1967, feierte tags darauf vor Publikum seinen eigenen Fünfzigsten – zusammen mit seinem vertrauten Pianisten Richie Beirach, 70. Auch diesmal durfte beim swingenden Duo-Format Johann Sebastian Bachs „Siciliano“ in Es-Dur (BWV 1031) nicht fehlen. In das Hübner-Quintett (Veit Hübner, Bass, Michael Kersting, Schlagzeug) integrierte sich unspektakulär US-Trompeter Randy Brecker, der seine frühere elektronifizierte Disco-Phase vergessen machte.
Beweisen muss sich und anderen Tomasz Stańko nichts mehr. Am 11. Juli 1942 geboren, hat der polnische Trompeter längst Weltgeltung erlangt. Da sitzt der alsbald 75-Jährige auf einem Stuhl und intoniert inbrünstig Melancholisches in moderat abwechselnden Tempi. Mitunter stößt Stańko noch atonale Klangströme heraus. Sein stimmungsvolles Recital unterbricht er nicht durch (letzten Endes unnötige) Ansagen. Die Vortragsfolge entspricht seiner aktuellen CD „December Avenue“, die er mit seinem „New York Quartet“ in Frankreich aufgenommen hat. Im Stuttgarter Theaterhaus ist er jedoch von hoffnungsvollen polnischen Newcomern umgeben, die ihre Sache überaus gut machen: Łukasz Ojdana (Piano), Maciej Garbowski (Bass) und Krzysztof Gradziuk (Schlagzeug).
Polnische Beteiligung auch an den beiden Gipfeltreffen von Stimm- und Tastenkünstlern. Beim reaktivierten „Vocal Summit“ war Urszula Dudziak wie die Amerikanerin Jay Clayton von der Urbesetzung mit dabei. Als Neuzugänge bewährten sich Norma Winstone und Michele Hendricks. Die Stücke wurden von den alten Damen sorgfältig einstudiert, und wie ehedem ging Urszula Dudziak souverän mit ihrer elektronischen Trickkiste um. Als Zugabe Ellingtons „C-Jam Blues“ – nicht ganz frei von Klischees.
Es muss ja nicht unbedingt die edle Berliner Philharmonie sein, auch im großen schwarzen Saal T1 des Stuttgarter Theaterhauses demonstrierten Leszek Możdżer, Iro Rantala und Michael Wollny variantenreich unbändige Spiellust. Zwei Flügel und ein Keyboard waren auf dem Podium postiert, und vom individuell geprägten Solo bis zum interaktiven Trio kamen sämtliche Besetzungsvarianten zum Einsatz. Langweilig wurde es bei diesem internationalen „Piano Summit“ nie.
Der Violinist Adam Baldych fügte sich elegant und mit Verve in das Quintett des Bassisten Dieter Ilg ein, der nach Verdi, Wagner und Beethoven nun dem – vor genau einem halben Jahrhundert verstorbenen – Jazz-Klassiker John Coltrane huldigte. Als vor über drei Jahrzehnten der Saxophonist Christof Lauer im Stuttgarter Theaterhaus (damals noch im Stadtteil Wangen) auftrat, war bei ihm sein Idol John Coltrane nicht zu überhören. Nun war Lauer eine gute Wahl für die Hommage, ohne freilich in Epigonentum zu verfallen.
Am allerersten Tag des Jahres 1930 wurde Ack van Rooyen in Den Haag geboren, 1985 spielte er bei der Premiere der Theaterhaus-Jazztagen, und heuer überraschte er beim Oster-Festival, wie er mit 87 noch fabelhaft fit ist. Singen, um Lippen und Lungen zu schonen, ist für ihn keine Option. Im gleichen Konzert trat auch sein niederländischer Landsmann Jasper van‘t Hof auf. Der muntere Keyboarder, der inzwischen 70 Lenze zählt, präsentierte ein internationales Instrumentalquartett plus die Vokalistin Angelique Kidjo aus Benin.
In einer „Britjazz Night“ erinnerte der Altsaxophonist Soweto Kinch an das Geschichte machende Ornette Coleman Trio und vereinnahmte zudem Musikströmungen des 21. Jahrhunderts.
Aber auch das Schwabenländle kam zu Ehren. Star-Koch Vincent Klink trat schon oft als Vorleser eigener Literatur zusammen mit dem Pianisten Patrick Bebelaar vor vollen Häusern an, jetzt stand und saß dem agilen Küchenmeister eine Big Band zur Seite, die von dem Posaunisten Eberhard Budziat formiert wurde. Das neueste Opus nennt sich „Remstalsinfonie“. Da sinniert er über die Historie der östlich von Stuttgart gelegenen achtzig Kilometer langen Weinkulturlandschaft, berichtet über Erlebnisse aus seiner „Jugendstadt“ Schwäbisch Gmünd und knüpft kritische Verbindungen zu Tagesaktualitäten. Stilistisch vielfältig inszenierte Budziat die Musik dazu, ohne das choralhafte Volkslied „Im schönsten Wiesengrunde“ zu verschmähen.
Mit unkonventionellen Großformationen ließen zwei junge Frauen aufhorchen. Die Klarinettistin Rebecca Trescher und die Gitarristin Monika Roscher studierten einst bei Gregor Hübner in München und organisieren nun Genregrenzen überschreitende Orchestermusik, Harfe und Violoncello inklusive.
Auch die Schweiz kam zum Zuge – mit dem mystischen Keyboarder Nik Bärtsch und dem zünftigen Oktett „Alpenjazz“, bei dem u.a. der fantastische Stimmakrobat Andreas Schaerer mitmischte, der zuvor mit eigenem Quartett zu erleben war.
Text und Fotografie von Hans Kumpf – Kumpfs Kolumnen