Klarinettist Johnny Mince (1912–1997) sorgte erstmals für den berühmten Sound
Vor 25 Jahren sprach Hans Kumpf mit dem legendären Jazzer
Schwäbisch Hall. Beliebt sind seine Melodien immer noch, seine Schallplatten werden nach siebzig Jahren weiterhin bestens verkauft: Glenn Millers Ruhm bleibt unsterblich. Udo Lindenberg ließ bekanntlich auf die bekannte Melodie von „Chattanooga Choo Choo“ seinen „Sonderzug nach Pankow“ abfahren, für der Show-Star Joe Jackson war „Tuxedo Junction“, ebenfalls ein der Eisenbahn gewidmetes Stück, wieder ein Renner. Allerorten imitieren heutzutage mehr oder weniger lizenzierte Revival-Bands den berühmten Glenn-Miller-Sound. Und die Schwäbisch Haller Freilichtspiele bringen jetzt “Glenn Miller – Ein Leben für den Swing” auf die Treppe. Die Premiere der von Intendant Christoph Biermeier und seinem Dramaturgen Georg Kistner sowohl geschriebenen als auch erfundenen Revue ist auf den 17. Juli 2008 angesetzt. Für die Musik wird dann die Big Band Schwäbisch Hall unter der Leitung des Posaunisten Armin Scheibeck sorgen.
Der Name Glenn Miller gerät seit Jahren mit schöner Regelmäßigkeit in die Boulevard-Schlagzeilen. Eine Sonntagszeitung tischte beispielsweise eine neue Version von Millers Tod auf. Mitte Dezember 1944 soll nicht ein Flugzeugabsturz über dem Ärmelkanal dem Leben des Posaunisten und Bandleaders ein Ende gesetzt haben, sondern eine Krankheit.
Glenn Miller soll diesem Gazettenbericht zufolge – ganz unheroisch – in England an Lungenkrebs verstorben sein. Die amerikanische Army, für die der Posaunist mit seiner Big Band aufmunternde Unterhaltungsmusik spielte, habe mit der Legende vom verschollenen Flieger ihm und seiner Fangemeinde einen würdigen Abgang vortäuschen wollen. Hatten die Alliierten in der Endphase des Zweiten Weltkriegs wirklich nichts Wichtigeres zu tun, als einen angeblich schwer kranken Bandleader in ein Flugzeug steigen zu lassen, um ihn bei einer heimlichen Zwischenlandung wieder in ein Hospital zu bringen, wo er, diesem Bericht zufolge, gleich am nächsten Tag gestorben sein soll? Dann wurde mal eine Story verbreitet, Glenn Miller habe in den Armen einer Prostituierten den Tod gefunden. Vielleicht war es aber wirklich so, dass der kommerziell erfolgreiche Swing-Mann wirklich im Flieger verschied – durch „friendly fire”. Bomberpiloten hätten, so wird neuerdings spekuliert, vom Rückflug aus Deutschland nicht mehr benötigte Munition über dem Ärmelkanal abgeworfen, wobei diese versehentlich das Flugzeug von Glenn Miller samt Besatzung vernichtete.
Was lag daher näher, als mal einen Jazzer zu befragen, der schon 1934 mit dem damals noch nicht so populären Mann aus Iowa musizierte?
Anfang März 1983 trat der Klarinettist Johnny Mince (1912–1997) zusammen mit „The Great Eight“ der Swing-Epoche im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle auf. Als Spielpartner standen ihm so bedeutende Künstler wie der Benny-Goodman-Pianist Teddy Wilson und der trickreiche Trompeter Clark Terry zur Seite. Da nutzte ich die Gelegenheit zu einem ausführlichen und kurzweiligen Gespräch. Zunächst erzählte mir Johnny Mince, wie er Miller kennenlernte.
Als Johnny Mince nämlich ein halbes Jahrhundert zuvor in New York den Broadway hinuntergeschlendert sei, habe er zufällig den Big-Band-Boss Tommy Dorsey getroffen. Dieser wollte ihn flugs als Vertreter für seinen Klarinette spielenden Bruder Jimmy anheuern. In wörtlicher Rede und schauspielerisch gekonnt wiederholte mir Mince das, was der Trompeter und Posaunist Dorsey ihm zurief: „Johnny, was machst du hier? Es ist fünf Uhr, und wir fangen um acht Uhr an. Besorge dir einen Smoking, bring deine Klarinette und dein Saxophon mit und ersetze meinen Bruder Jimmy!“
Der damals 22-jährige Johnny Mince war mächtig aufgeregt, dass er für dieses bedeutende Jazz-Orchester engagiert wurde und informierte mich weiter: „In der Band war Glenn Miller der Posaunist und Arrangeur. Nach zwei Wochen kam Jimmy zurück, und ich wurde entlassen. Ich sagte dann Glenn Miller, dass ich arbeitslos sei. Er zeigte mir eine Liste der Leute, die er für die neue Band von Ray Noble ausgesucht hatte – ich war dabei. Eines Tages hielt er uns beim Warmspielen die Partitur eines Musikstücks unter die Nase.. .“ Johnny Mince sang mir die Melodie vor: die romantisch-einschmeichelnde „Moonlight Serenade“.
Glenn Miller hatte sie für seinen Unterricht bei dem Komponisten und Musiktheoretiker Joseph Schillinger geschrieben und wollte hören, wie die “Moonlight Serenade” wirklich klingt. Es war das erste Mal, dass der spätere Millionen-Hit ertönte. Und Johnny Mince fühlte sich richtig stolz, dass er davon die allererste Aufnahme mit Miller gemacht hatte.
Was hielt Johnny Mince von den Gerüchten, Glenn Miller sei nicht mit dem Flugzeug abgestürzt, sondern an Lungenkrebs gestorben? Er wunderte sich: „Ich kann das überhaupt nicht glauben. Glenn Miller ging es nicht schlecht. Er wollte nach Frankreich gehen, um für die Arbeit seiner Band dort Unterbringungsmöglichkeiten zu erkunden. Er war ein guter Bandleader, der sich sehr um das Wohl seiner Musiker kümmerte. Er startete bei sehr schlechtem Wetter und fühlte sich wohl!“
Mit dem Klarinettisten Peanuts Hucko und dem Saxophonisten Al Klink, die in Millers Army Band mitwirkten, habe er gesprochen. Diese erwähnten nichts von einer etwaigen Krankheit ihres Chefs. Schließlich ergebe es auch keinen Sinn, dass Glenn Miller in ein Flugzeug gestiegen sei, nur um zu sterben. So das Resümee von Johnny Mince.
In diesem Punkt scheint der 1953 gedrehte Film „The Glenn Miller Story“ (mit James Stewart als Hauptdarsteller) also doch noch der Wirklichkeit zu entsprechen. Freilich sind viele andere Episoden darin reine Fiktion und nicht authentisch. Beispielsweise soll der typische Glenn-Miller-Sound erst 1938/39 „erfunden“ worden sein, als sich der Lead-Trompeter sich zufällig einen Zahn ausgeschlagen habe und deshalb ausgefallen sei. Im Hollywood-Schinken wird gezeigt, wie Glenn Miller angeblich die Trompetenstimme in einer nächtlichen Kraftanstrengung umgehend für die Klarinette transponierte. Dies ist absoluter Blödsinn, da Trompete und Klarinette ja normalerweise B-Instrumente sind und somit ohnehin von den selben Notenblättern spielen können.
Johnny Mince – die Haare des damals 70-Jährigen waren noch füllig und schwarz, und auch das Gesicht des agilen Musikers ähnelte dem des seinerzeitigen USA-Präsidenten-Darstellers Ronald Reagan – fragte mich, ob ich an einer anderen guten Geschichte interessiert sei, und er schoss gleich los: „In der Ray Noble Band hatten wir eine Probe von Glenn Millers Arrangements. Pee Wee Erwin blies normalerweise die hohe Trompete über dem Saxofonsatz. Doch er war an diesem Tag krank und nicht da. So sagte Glenn Miller zu mir: ,Könntest du nicht den Part von Pee Wee übernehmen? Du kannst ja die gleichen Noten verwenden.‘ Er hörte das, und er bekam die Idee, die Klarinette führen zu lassen.” Der berühmte und unverwechselbare Glenn-Miller-Sound war geboren…
Außerdem erinnerte sich Johnny Mince: „Als Glenn Miller dann seine eigene Band hatte, wollte er den gleichen Sound. Er fragte mich, ob ich dabei mitmachen wolle. Er bot mir einen Vertrag an, nach dem ich 25 Prozent der Schallplatteneinnahmen bekommen sollte. Ich bat um Bedenkzeit. Eine Woche später erklärte ich ihm, ich könne das nicht tun. Er war sauer. Ich dachte: Warum soll ich etwas mit Miller machen? Wer, zum Teufel, ist Glenn Miller? Das ist der Grund, warum ich heute kein Millionär bin!“
Johnny Mince lachte dabei, die Selbstvorwürfe konnte er zu Lebzeiten wohl überwinden. Von New York aus schickte mir der alte Herr noch einen feinsäuberlichst handgeschriebenen Brief, in dem er um die Zusendung des Originalnegativs eines Fotos bat, das ich von ihm gemacht hatte. 1990 wollte ich eigentlich meinen geschätzten Klarinetten-Kollegen in in der Ostküsten-Metropole treffen, doch irgendwie klappte es nicht. John Henry Muenzenberger, der allererste Klarinettist von Glenn Miller, starb dann 1997 – 85-jährig. Die Millionen hätte er sowieso nicht mit ins Grab nehmen können…
Text und Fotografie von Hans Kumpf – Kumpfs Kolumnen