Fotografie und Interview: Klaus Mümpfer
„Passport“ und das „Symphonic Project“
Klaus Mümpfer spricht mit Klaus Doldinger
Mit dem „Jazzconcertino“ eröffnet die neue CD „Symphonic Project“ des Musikers und Komponisten Klaus Doldinger. Das „Jazzconcertino“ stand auch am Beginn des orchestral-kompositorischen Weges des inzwischen 77-Jährigen in der zweiten Hälfte der 60er Jahre. Das „Symphonic Project“ wurde inzwischen in mehreren Städten mit Doldingers Jazz-Formation „Passport“ und wechselnden Sinfonie-Orchestern erfolgreich aufgeführt.
Das sechsteilige Werk enthält neben der Ursprungskomposition eine Suite aus der Filmmusik „Die Unendliche Geschichte“, eine Suite der Musik aus dem Film „Das Boot“ sowie eine sinfonische Fassung der Tatort-Erkennungsmelodie.
Alle drei Bearbeitungen sind noch eindeutig zuzuordnen und jederzeit identifizierbar. Doldinger verschmilzt das „Jazzconcertino“, die Neubearbeitungen sowie zwei zusätzliche Kompositionen in einem fein abgestuften und verwegen gestalteten Soundkosmos, das heißt den Jazz von Passport mit den instrumentalen Möglichkeiten eines großen Klangkörpers. Hier geht es ganz offensichtlich nicht um ein eher unverbindliches Nebeneinander, sondern um die Integration beider musikalischer Welten. Combo und Orchester begegnen sich als gleichberechtigte Partner, die in der Symbiose dennoch ihren Grundcharakter bewahren dürfen.
Überzeugend gelingen die nahtlosen Übergänge von Orchester-Parts zu swingenden Band-Passagen. Getragene Balladen wechseln mit treibender Orchesterwucht und emotionalen, singenden Saxophonsoli, in denen das Blasinstrument zugleich ein Teil des großen Klangkörpers wird. Ein Beispiel für abrupte, aber intelligente Wechsel ist die sinfonische Fassung des Tatort-Themas. Klaus Doldinger ist wohl nur als ganzheitliches Phänomen zu fassen. Über sein „Symphonic-Project“ sprach mit ihm Jazzpages-Mitarbeiter Klaus Mümpfer.
KM: Das „Symphonic Project“ hat eine Vorgeschichte. Was kannst du dazu sagen?
Doldinger: Die Uraufführung des „Jazzconcertinos“ fand im Jahr 1968 statt. Der damalige Dirigent der Nordwestdeutschen Philharmonie, Werner Andreas Albert, hatte angefragt, ob ich nicht einmal Lust hätte eine Komposition für eine orchestrale Jazzaufführung zu schreiben. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt meine ersten vier Klaus Doldinger-Quartett-LPs herausgebracht und war bekannt als ein Jazzmusiker, der seine eigenen Stücke schreibt. Weil ich zudem bereits Erfahrungen mit Orchestern gesammelt, auch Musicals am Schauspielhaus dirigiert hatte, war es nicht ganz so abwegig, mich zu dem Thema anzusprechen. Das war 1967. Ich habe das Werk dann geschrieben. Die Aufführung mit der Nordwestdeutschen Philharmonie fand in Herford statt. Diese `Auftragskomposition ehrenhalber`, vom WDR aufgenommen, war insgesamt gesehen, ein großer Erfolg. Wir haben das Stück später mit Eberhard Schoener, der es dirigierte, und dem Münchner Kammerorchester so um 1970 herum in München aufgeführt. Dann kam hinzu, dass der Dirigent Andreas Albert mit dem Werk nach Australien ging, wo er es in Sidney aufführte. Zur Vorgeschichte gehört, dass ich es später einmal mit den „Old Friends“ bei einer Tour durch Südamerika in Montevideo auf die Bühne brachte. Außerdem konnte ich hin und wieder in Konzerten mit der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz zusammen arbeiten, bei denen das„Jazzconcertino“ ebenfalls gespielt wurde.
KM: Worin liegt der besondere Reiz einer solchen Verbindung von Jazz-Formationen und klassischem Sinfonieorchester? Ist es eine Abrundung des bisherigen Komponierens für Film, Fernsehen und Konzerte?
Doldinger: Na Ja. Der besondere Reiz des Ganzen ist wohl darauf zurückzuführen, dass ich während meiner Schulzeit sehr lange Klassik-Klavierunterricht hatte. Später studierte ich am Robert Schumann-Konservatorium in Düsseldorf Klavier. So hatte ich die Möglichkeit, mit einem Orchester zu spielen, eigentlich als ganz normal empfunden. Meine Entwicklung war also zunächst durch die Schule und das Konservatorium beeinflusst. Daneben ich hatte schon damals mehrfach mit Projekten und Musikern außerhalb der Jazzszene zu tun. Nach dem Abitur war ich außerdem ein Jahr lang mit Profibands unterwegs. Da lernte ich das Zusammenspiel in der Band von Dr. Roland Kovac, der damals als der führende Cool Jazz Pianist in Europa galt und unter anderem lange mit Hans Koller, Lee Konitz sowie anderen gespielt hatte. Das alles hatte mich, als einer der ursprünglich in den 50er Jahren vom Dixieland und vom Blues herkam, stark geprägt.
Vor allem hatte ich einen eigenen Weg gefunden. Und da war es gar nicht so abwegig, mal in eine Richtung zu gehen, die sich vom normalen Mainstream entfernte. Meine ersten Quartett-Aufnahmen waren ja auch von einer gewissen Weltoffenheit geprägt. So entstand zum Beispiel das dritte Album 1965 anlässlich einer Südamerika-Tour – und belegt die gewaltigen Einflüsse aus ganz anderen Ecken der Welt. Ich habe mich sowieso immer gerne Tendenzen gewidmet, die außerhalb des normalen Jazz lagen – zumal auch der Idee, mit Musikern auf der Bühne zu stehen, die aus anderen Teilen der Welt kommen, aber die Musik lieben. Vor allem ging es darum, einen Klangkörper zu bilden, der nicht ganz alltäglich ist. Dies ist etwas ganz Besonderes und ich habe das sehr genossen.
KM: Dennoch hast Du auf der CD bekannte Erfolgsmelodien versammelt?
Doldinger: Vor dem genannten Hintergrund war es natürlich, dass ich im Laufe der Jahre einige Filmmusiken geschrieben habe, die auch mit großen Orchestern entstanden. Da entwickelte ich die Idee, ob man nicht einmal ein Album produzieren sollte, das die erfolgreichsten Filmsuiten vereinigt. Wobei ich allerdings nur einen Teil meiner Werke erfasst habe. Zum Beispiel „Das Boot“ und die „Unendliche Geschichte“. So lag es auf der Hand, dass ich diese für das Album hernehmen würde. Denn das Publikum, das in so ein Konzert geht, ist natürlich beglückt, wenn es Stücke in einer anderen Version hören kann, als es sie etwa aus Spielfilmen kennt. Nachdem ich diese Suiten bereits hatte und mit verschiedenen Orchestern aufführen konnte, war dies eine entscheidende Überlegung, die uns bewogen hat, dieses Album einzuspielen. Natürlich vorneweg das „Concertino“. Dann aber auch die „Unendliche Geschichte“, „Das Boot“ sowie eine sinfonische Fassung der Tatort-Melodie und eben auch sinnvollerweise zwei neue Werke: „Altokumulus“ und „Cantilene for Saxo Tenor“.
KM: Was ist die besondere Herausforderung eines solchen symbiotischen Werkes?
Doldinger: Natürlich ist es eine Herausforderung, wenn man normalerweise nur mit einem Trio oder Quartett auf der Bühne steht und plötzlich sind es 70 oder 80 Musiker. Und außerdem ein Dirigent und eine Partitur. Das ist ein Riesenunterschied. Schließlich muss alles Sinn und Verstand haben. Du kannst nicht einfach zu den Musikern sagen: Nun spielt mal, was ihr wollt. Ein solcher Opus ist natürlich durchkomponiert. Dennoch gestatte ich mir, einige Soli zu spielen – zum Beispiel in der Suite zur „Unendlichen Geschichte“ ein Solo auf dem Sopransaxofon bei dem Auryn-Thema. Auf der Bühne spielen wir natürlich etwas freier als auf der Platte. Aber ich glaube schon, dass es eine große Herausforderung ist, immer wieder die Musiker zum Swingen zu bringen und zugleich so zu spielen, dass sie sich angenehm und inspiriert fühlen.
KM: Welche Schwierigkeiten müssen bewältigt werden. Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, dass Orchester oft sogar als süßliche Begleitung missbraucht werden. Dir geht es aber offensichtlich um Integration und Verschmelzung.
Doldinger: Natürlich gibt es gewisse Schwierigkeiten, so etwas überhaupt auf die Bühne zu bringen. Aber ich glaube, dass es heute einen Bedarf für Alternativprogramme gibt. Wenn ich mir anschaue, was so im Großen und Ganzen angeboten wird, so sind unsere normalen Konzertveranstaltungen doch sehr mainstreamig. Das Publikum ist dankbar, wenn mal crossover-mäßig etwas präsentiert wird, das auch ein breiteres und jüngeres Publikum anspricht. Dennoch macht es für mich keinen besonderen Sinn, ein Stück mit Changes à la „Body & Soul“ zu orchestrieren und auf der Bühne darzubieten. Das kann man natürlich machen. Aber ich hatte mir eigentlich vorgestellt, etwas zu komponieren, das aus verschiedenen Teilen besteht, die vernünftig zusammen passen. Dem Orchester und der beteiligten Band muss Gelegenheit geboten werden, in Erscheinung zu treten – doch so sinnvoll, dass es auch eine glaubhafte Darbietung ist. Ich mag es nicht, wenn dabei die Grenzen zu eng gezogen werden.
Warum die Musik so gestaltet wurde, wie sie ist, hat natürlich mit dem Umfeld zu tun. Ich habe in den 50er Jahren auch Partiturkunde gelernt – es gab ja damals noch keine Jazzkurse oder Filmmusik-Unterricht. Ich brachte mir dies alles als Autodidakt selbst bei. Ich habe neben dem Klavierstudium die eine oder andere Partitur von Strawinsky, Bela Bartok und anderen in der Hand gehabt. Auch das Komponieren habe ich eigentlich nie studiert. Da habe ich mich auf meine Eingebungen verlassen. Ich stellte mir einfach vor, dass wir beim Proben mit dem Orchester das Jazzkonzert regelrecht gemeinsam erarbeiten – was dann tatsächlich so geschah. Wir haben das Projekt inzwischen mit verschiedenen Orchestern aufgeführt. In München beispielsweise mit einem jungen, fast spontan zusammengestellten Orchester. Es hat mich sehr gefreut, dass dies möglich war, denn bislang hatten wir stets mit fest installierten Orchestern gespielt. Und jetzt so in einer ganz anderen Weise. Das bereitete großen Spaß und entsprach auch gewissermaßen dem, was ich mir vorgestellt hatte.
KM: Wo setzt Du die Schwerpunkte dieser kompositorischen Arbeit?
Doldinger: Ich hatte keinesfalls vor, dem Orchester jetzt jazzartige Phrasierungen „ aufs Auge zu drücken“. Ich habe die Musik für das Orchester in der Stilistik dessen belassen, was man so als Orchestermusik versteht. Ich habe also nicht versucht, irgendwelche swingende Versionen dem Orchester vorzuschreiben. Wir („Passport“) haben diesen Anteil von uns aus geliefert. Ich glaube, dass diese Art von Zusammenspiel ganz sinnvoll ist.
KM: Es war notwendig, zusätzliche Stücke für das Symphonic-Project zu schreiben
Doldinger: Klar. Das Programm wäre sonst zu kurz. Das Publikum erwartet ein Konzert von mindestens eineinhalb Stunden. Wir fügen schon deshalb einige Passport-Stücke hinzu, die wir in das Programm so einfügen, dass es Sinn macht. Man kann da nicht x-beliebige Stücke nehmen. Wir wollen schließlich ein homogenes vernünftiges Programm präsentieren.
KM: Wieso fiel bei der Einspielung die Wahl auf die rheinland-pfälzische Staatsphilharmonie mit dem Dirigenten Bernd Ruf?
Doldinger: Der damalige Intendant hatte angefragt, ob wir nicht einmal etwas zusammen machen könnten. Das haben wir natürlich gerne wahrgenommen. Das war – glaube ich – 2006 oder 2007. Wir haben das Projekt gemeinsam einstudiert und dann aufgeführt. Die Jazzconcertino–Version unseres Albums ist ein Live-Mitschnitt des Konzertes in Trier, aus dem wir die Publikumsreaktionen herausgeschnitten haben. Später ergab sich ein Konzert mit den Ulmer Sinfonikern und mit dem Kieler Sinfonie-Orchester mit dem bemerkenswerten Dirigenten Leo Siberski, den wir uns auch für das Münchner Konzert erbeten haben. Siberski spielt übrigens auch ganz vorzüglich Trompete. Es würde sicher großen Spaß bereiten, wenn wir zum Schluss zusammen musizieren könnten.
KM: Gibt es bereits Projekte für die Zukunft?
Doldinger: Projekte für die Zukunft gibt es immer. Ich plane zur Zeit ein neues Album für „Passport“. Nachdem wir gerade zwei Alben gleichzeitig vorgelegt haben, nämlich „Symphonic Project“ und „Inner Blue“, ist es jetzt an der Zeit, ein Zeichen zu setzen mit einer neuen Passport-Aufnahme – aber da arbeite ich momentan noch dran.
CD
Klaus Doldinger
Symphonic Project
Warner Music 5052498-2612-2-2
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