Fotografie und Interview: Klaus Mümpfer
Kai Schumacher im Interview mit Klaus Mümpfer
Den ersten Klavierunterricht erhielt Kai Schumacher mit fünf Jahren. Mit sieben trat er erstmals öffentlich auf und mit 15 Jahre debütierte der junge Pianist in einem Orchester mit Schostakowitschs 2.Klavierkonzert. Nach dem Abitur wurde Kai Schumacher, der bis dato eher Rock und Punk gehört, als klassische Konzert besucht hatte, in der Essener Folkwang-Schule aufgenommen, Dort erhielt er 2007 den Folkwang Klavier-Sonderpreis und wurde noch im selben Jahr als Preisträger der Köhler Orsbahr-Stiftung ausgezeichnet. Sein Studium bei Professor Till Engel schloss er im vergangenen Jahr mit Auszeichnung im Konzertexamen ab. Weitere musikalische Erfahrungen sammelte er in Amsterdam bei dem amerikanischen Pianisten Guy Livingstone sowie kammermusikalisch bei Professor Andreas Reiner.
Ein Schwerpunkt seines Solo-Repertoires ist die zeitgenössische amerikanische Klaviermusik. Seine Debut-CD beim Wergo-Label des Mainzer Schott-Musikverlages wird international von Kritikern hoch gelobt. Kai Schumacher wagte sich erfolgreich an ein Meisterwerk der modernen Klavierliteratur: an Frederic Rzewskis „The people united will never be defeated“ – einen abendfüllenden Variationszyklus über das chilenische Revolutionslied „El pueblo unido jamas sera vencido“.
Frage: Wie kam es zum Cross Over von Klassik sowie Jazz, Rock und Punk ?
Kai Schumacher: Das kommt daher, dass mein Geschmack in der Zeit meiner musikalische Sozialisation weniger von der Klassik als von Rockmusik und Punk geprägt war. Für mich war immer wichtig, dass Musik einen Ausdruck hat und ganz klar politische Stellung bezieht.
Frage: Wie wichtig war der politische Aspekt bei der Interpretation von Rzewskis Komposition.
Kai Schumacher: Das war für mich auch absolutes Neuland. Ich habe klassische Klaviermusik, auch neue Musik, kennengelernt als eine, die ohne Ideologie auskommt. Deswegen war es, als ich vor etwa zehn Jahren auf das Stück von Rzewski gestoßen bin, so eine Art Erleuchtung, als ich gesehen habe, dass eine Musik über 60 Minuten ohne zu sprechen eine so klare Haltung vermitteln kann.
Frage: Bleiben wir bei dieser Einspielung. Es heißt, dass es musikalische und pianistische Hürden gibt, dass diese 36 Variationen schwierig sind. Was hat Dich daran gereizt und wie hast Du die Schwierigkeiten bewältigt?
Kai Schumacher: Gereizt hat mich, wie ich schon gesagt habe, die Erkenntnis, die ich durch das Stück gewonnen habe. Dass politische Inhalte durch eine rein instrumentale Musik vermittelt werden können.
Frage: Du hast Rzewski vor der Einspielung nie getroffen?
Kai Schumacher: Das war einfach eine Frage der Zeit und der Gelegenheit. Ich hatte das Stück eigentlich für mein Konzertexamen an der Folkwang-Schule in Essen ausgewählt. Dann hatte ich aber die Gelegenheit, vor dem Konzert das Studio der Schule zu nutzen und diese Chance wahrgenommen.
Frage: Was hat Rzewski bei den späteren persönlichen Treffen zu der Interpretation seines Werke gesagt?
Kai Schumacher: Er hat sich inhaltlich nicht dazu geäußert, etwa, dass er es gut findet oder im Detail anders interpretiert sehen möchte. Er lässt den Künstlern freie Hand.
Frage: Eine der Herausforderungen eines Solisten bei einem einstündigen Stück ist das Aufrechterhalten der Spannung. Wie kann dies gelingen?
Kai Schumacher: Im Fall von „People united“ arbeitet die Komposition eigentlich durch ihre Struktur für den Pianisten. Ich sehe die 36 Variationen als kleine Geschichten, die ich als Interpret mit Inhalt füllen kann und deren Verlauf ich gewissermaßen lenken kann. Dass diese einzelnen Geschichten dann miteinander verknüpft und im Laufe des Werks zu einem großen Handlungsstrang zusammengefügt werden, sich die Spannung also immer mehr verdichtet, erledigt Frederic Rzewski als Komponist durch die formale Anlage quasi selbst.
Frage: Du erprobst derzeit neue Formen der Konzertpräsentation, indem Du klassische und zeitgenössische Musik mit Jazz, Rock und Elektronik verbindest, Loops, Soundverfremdungen und Klangschichtungen integrierst.
Kai Schumacher: Bei diesem Projekt werden live auf der Bühne Klavierpattern, die ich nacheinander spiele, vom DJ gesampelt, geloopt und mit Effekten und Filtern bearbeitet, so dass nach und nach ein kompletter Club-Track inklusive Drumsounds nur durch Klavierklänge live produziert wird.
Frage: Eines Deiner Projekte ist „Darling I´m indeed useless to you“?
Kai Schumacher: Dies ist ein Variationswerk, das ich für mein Konzertexamen 2009 in Auftrag gegeben habe. Dabei haben 12 verschiedene, hauptsächlich amerikanische, Komponisten je eine Variation über ein Thema von mir geschrieben. Die Stilistik reicht dabei von Neo-Klassizismus über Jazz bis Avantgarde. Das Werk gibt also gleichzeitig einen kleinen Überblick über die verschiedensten Stilrichtungen innerhalb der „Neuen Musik“. Ich führe das Stück das nächste mal in Kaiserslautern am 3.September auf. Für dieses Konzert hat der deutsche Komponist Moritz Eggert extra noch eine „Zugaben-Variation“ geschrieben…
Frage: Wie hältst Du es mit dem Jazz?
Kai Schumacher: Mein alter Klavierlehrer an der Musikschule Baden-Baden hat sich, trotz klassischer Ausbildung, hauptsächlich als Jazzpianist gesehen, daher kam ich schon mit 14oder 15 Jahren mit Jazz in Verbindung. Wir haben parallel zum klassischen Repertoire auch oft mit Stücken aus dem Real-Book gearbeitet, und damit meine Fähigkeit zur Improvisation schon früh geschult. Eine Fähigkeit, die bei vielen klassischen Musikern leider zu kurz kommt, da diese in ihrer Ausbildung nie gelernt haben, losgelöst von einem festgeschriebenen Notenbild Musik zu machen
Frage: Die Solo-Konzertkarriere ist ein Standbein, das elektronische Experimentder Jazz und die Rockmusik ein anderes. Kann man damit seinem Lebensunterhalt bestreiten?
Kai Schumacher: Ich hoffe, dass dies in den nächsten Jahren so weit sein wird. Gegenwärtig spiele ich – wie schon während des Studiums – nebenbei als Pianist bei Veranstaltungen.
Frage: Sozusagen als Barpianist. Das ist keinesweg ehrenrührig. Berühmte Jazz-Pianisten in den Staaten kann man beim Brunch oder Lunch in guten Hotels hören.
Frage: Wie kam es zum Vertrag mit Wergo?
Kai Schumacher: Ich habe wie üblich Demo-Versionen verschickt. Wergo war wegen seines Programms für mich die erste Adresse und es hat glücklicherweise geklappt.
Frage: Abschließend die Frage nach der Musik, die Du privat hörst?
Kai Schumacher: Stimmungsabhängig… Ich bin recht häufig im Internet auf der Suche nach neuen Bands oder interessanten jungen Komponisten (myspace, youtube etc.). Wenn ich Lieblingsbands nenne müsste, dann unter anderem Muse, Tocotronic, The Killers, Amanda Palmer oder aktuell gerade Mumford&Sons. Wenn ich am Wochenende in Clubs unterwegs bin, dann meistens auf Indie- oder Electroparties.
CD: Kai Schumacher: „The people united will never be defeatde“ (Frederic Rzewski), Wergo (WER 6730-2)
Internet: www.kaischumacher.com
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