Irmin Schmidt / Interview und alle Fotografien: Hans Kumpf
Neugierig ein ganzes Leben lang
Irmin Schmidt – Nicht nur die Rockgruppe CAN und Filmmusiker
im Interview mit Hans Kumpf
Irmin Schmidt – das ist nicht nur der Gründer und Keyboarder der legendären Kölner Krautrock-Gruppe „CAN“ (1968-1978) oder ein viel beschäftigter Filmkomponist, der zuletzt durch den Wim-Wenders-Streifen „Palermo Shooting“ (mit Campino in der Hauptrolle) Aufsehen erregt hat und aufhorchen ließ. Der 1937 in Berlin geborene Allround-Künstler beschäftigt sich auch intensiv mit Klassik, Neuer Musik und Jazz. Außerdem hat er sich vielfach als Dirigent hervorgetan. Zusammen mit dem englischen Elektronik-Spezialisten Kumo alias Jono Podmore im Duo präsentiert sich Schmidt als Pianist der Öffentlichkeit – in Konzerten, auf CDs und auch bei „YouTube“. Seit 1981 hat er in Südfrankreich ein eigenes Tonstudio. Am 31. Juli 2010 widmeten ihm in Ludwigsburg die renommierten Schlossfestspiele und die ortsansässige Filmakademie eine Filmmusik-Gala, wobei das Orchester der Schlossfestspiele unter Leitung von Irmin Schmidt auftrat. Als furios agierende Solisten und jazzende Improvisatoren stachen hier Markus Stockhausen (Trompete und Flügelhorn) sowie Gerd Dudek (Sopran- und Tenorsaxofon) heraus. In einem Gespräch mit Hans Kumpf erläuterte Irmin Schmidt seine Intentionen.
Sie studierten einst bei Karlheinz Stockhausen, jetzt arbeiten Sie mit seinem Sohn Markus als Trompetensolisten zusammen – wie Ende Juli in Ludwigsburg bei der Filmmusik-Gala. Hatten Sie die ganzen Jahre hinweg immer Kontakt zur Familie Stockhausen?
Nein überhaupt nicht, ich habe Stockhausen selten getroffen. Es gab über die CAN-Jahre Momente, wo wir miteinander zu tun hatten, auch hat er uns mal sehr geholfen. Übrigens hat er die Musik von CAN sehr akzeptiert und gemocht. Da muss ich Ihnen eine Geschichte erzählen: Er machte mal in der 70ern mit einer Zeitung einen Blindtest mit neuer Rockmusik. Er fand das alles ziemlich bescheuert und hat sich nicht gerade freundlich über die meisten Sachen geäußert. Und dann haben sie ihm „Aumgn“ aus „Tago Mago“ vorgespielt. Das fand er ganz toll. Ihm wurde dann verraten, dass dies CAN sei. Dann meinte er: „Kein Wunder, das sind auch meine Schüler!“
Karlheinz Stockhausen
Dann haben Sie mit Stockhausen auch nicht über Filmmusik gesprochen…
Nein. Ich traf ihn zuletzt im Jahre 2001 in London, wo ich im Barbican Centre eine riesige Soundinstallation mit Kumo machte – im Rahmen des „Elektronic“-Festivals. Im Mittelpunkt des Festivals stand das frühe elektronische Werk von Stockhausen, und da war er zugegen. Nach einem Konzert haben wir im Restaurant geredet und hinter der Bühne gesprochen. Wir unterhielten uns da aber über technische Dinge, und er berichtete über die Schwierigkeit, seine alten Tonbänder zu restaurieren.
Haben Sie bei Karlheinz Stockhausen etwas gelernt, das Sie dann direkt in ihre Filmmusik oder für CAN übernehmen konnten?
Ich bin ja nur zu einem Teil Filmmusiker, das ist ja nicht mein Hauptberuf – ich bin Komponist. Ich habe nicht die ganze Zeit meines Lebens mit unendlich viel Filmmusik verbracht, ich komponiere auch alles mögliche andere. Ich kann sagen, dass ich eigentlich von ihm den Anstoß zur Beschäftigung mit Elektronik bekommen habe. Das war die große Faszination. Er war der erste, der mit Elektronik wirklich Musik gemacht hat. „Der Gesang der Jünglinge“ ist ein Stück, das mich ungeheuer beschäftigt hat, weil es wirklich ein tolles, faszinierendes Musikstück ist. Deshalb wollte ich immer wieder mit ihm etwas zu tun haben. Dann hat es sich am Ende meines Studiums ergeben, dass er diese Kurse für Neue Musik in Köln abgehalten hat und nicht nur in Darmstadt, wo ich auch war…
… also bei den Ferienkursen in Kranichstein…
Genau! Da habe ich bei ihm auch die Analyse von seinen „Gruppen“ und solche Sachen erlebt. Das war ja Unterricht in Klassen, nicht Einzelunterricht. Das war aber sehr spannend. Ich habe auf der anderen Seite auch revoltiert gegen seinen sehr rigiden Serialismus damals. Ich bin dann auch mit Cage bekannt geworden, der hat mich, was die Philosophie betraf, auch sehr geprägt.
Markus Stockhausen und Irmin Schmidt
Wie sind Sie dann auf Markus Stockhausen gestoßen?
Das war jetzt ganz kürzlich, als ich die Musik zu dem Wim-Wenders-Film „Palermo Shooting“ machte, wir hatten noch nie miteinander zu tun. Ich wollte einen absolut wunderbaren Trompeter haben. Ich kannte seine Platten und habe ihn auch mal live gehört. Ich habe einfach angefragt, ob er Lust hätte, und die hatte er.
Im Großraum Köln ist man auch geografisch beieinander…
Nein, wie Sie ja selber merken – Sie rufen mich ja nicht in Köln an….
… die Vorwahlnummer ist von Marseille…
In der Provence bin ich eine Stunde von Marseille entfernt und habe da mein Tonstudio. Ob der eine in Köln und der andere bei Avignon wohnt, das ist ziemlich wurscht heutzutage. Ich habe auf meiner Filmmusikplatte mehrere Trompeter. Der eine ist ein Amerikaner, der in San Francisco wohnt, der andere wohnt in Australien. Wenn man wirklich etwas miteinander machen will, spielt heutzutage der Wohnort keine Rolle.
Manfred Schoof
Sie arbeiteten bei Filmmusiken auch mit dem Trompeter Manfred Schoof zusammen. In seiner Band spielte Mitte der 60er Jahre der Schlagzeuger Jaki Liebezeit, der dann zu CAN kam. Standen Sie mit Schoof fortwährend in Verbindung?
Noch vor CAN bin ich wegen der Kurse für Neue Musik nach Köln gezogen und habe noch Musikethnologie an der Universität studiert. Da blieb es nicht aus für jemanden, der sich für alle spannende neue Musik interessiert hat, dass er auf das Schoof-Quintett stieß. Die waren die spannendste Jazzgruppe weit und breit, die habe ich oft gehört. So habe ich Manfred Schoof und Gerd Dudek kennen gelernt. Irgendwann machte ich eine Filmmusik, da haben die, und auch Jaki Liebezeit mitgespielt. Das war ein, zwei Jahre vor CAN
Als Kapellmeister an der Oper in Aachen habe ich damals auch die Bühnenmusik am Theater betreut und konnte die Tontechnik benutzen. Da haben wir nachts die Aufnahmen auf der Bühne gemacht. Jaki war mit dabei. Als ich auf die Idee kam, eine Gruppe zu gründen, fragte ich Jaki, ob er einen guten Jazzschlagzeuger kennt. So in der Art wie Max Roach. Jaki meinte, er würde sich mal umschauen, und irgendwann haben wir uns getroffen
und Jaki sagte, er würde dies gerne selber machen.
Jaki Liebezeit
Jaki Liebezeit ist ja äußerlich und musikalisch jung geblieben. Ich habe ihn vor zwei Jahren in Donaueschingen gehört, das war schon beeindruckend. Sie haben ja auch bei György Ligeti studiert…
Ligeti hat damals Kurse an der Folkwangschule…
… in Essen ….
… abgehalten. In seiner Klasse fanden sich zunächst zehn, zwölf Leute ein. Nach zwei, drei Unterrichtsstunden war ich mit einem anderen alleine. Was Ligeti von uns verlangte, war für alle anderen unheimlich und total langweilig. Er hat gesagt: „Jetzt machen Sie mal ein Stück von zwei Minuten auf einem Ton, das aber rhythmisch und klangfarblich interessant ist!“ Das fand ich irrsinnig spannend. Ich habe wahnsinnig viel gelernt über Instrumentation. Er hat mich gezwungen, mich über jedes Instrument zu informieren. Er fragte mich: „Was weißt Du eigentlich über den Kontrabass? Hier gibt es doch jede Menge Studenten, die es studieren. Lasse Dir zeigen, was da alles für Töne auf seinem Instrument machen kann!“. Man hat gelernt, jedes Instrument ganz neu zu entdecken. Das war natürlich ein Kurs für’s Leben. Und dann gab es Analysekurse über Anton Webern, die kaum jemanden außer mir interessierte. Die waren schon anstrengend, man musste eben nachdenken.
György Ligeti
Er wurde ja ganz berühmt und reich, weil Stanley Kubrick in seinen Filmen Musik von ihm übernommen hat.
Kubrick hat ja einfach von ihm ein Stück von ihm für den Film „A Space Odyssey“ benutzt. Das war ja ein ungeheuer revolutionäres Stück…
… „Atmosphéres“…
…die Klangfarbenkomposition für großes Orchester. Ligeti hat meiner Kenntnis nach nie explizit Filmmusik gemacht
Sie konnten damals ja in Deutschland nicht Filmmusik studieren?
Das gab es damals überhaupt nicht. Ich habe sehr früh als Student schon Theatermusik gemacht: am Bochumer Theater. Ich habe auf diese Weise sehr viel über Dramaturgie, über Sprache auch im Zusammenhang mit Musik, gelernt. Das war meine Schule. Und dann habe ich irgendwann mal, auch noch als Student, ziemlich viele „Kulturfilme“, so nannte man es damals, vertont. Da habe ich das Handwerk gelernt.
Sie haben auch an der Filmakademie in Ludwigsburg etwas unterrichtet. Wie kann man heute Filmmusik komponieren erlernen?
Natürlich kann man gewisse handwerkliche Kenntnisse über Filmmusik erwerben. Vieles kann man als Lehrer vermitteln – wie dramaturgische Regeln und Strukturen, und wie man in die Architektur und die Dramaturgie eines Films als Musiker eingreift. Man kann lernen, durch welche Mittel man im Film Emotionen verstärken oder verbinden kann. Letzten Endes ist man dann doch Komponist. Für einen Komponisten ist dann Filmmusik, wenn sie gut sein soll, so wie jede andere Musik.
Ich glaube nicht, dass das, was man heute lernen kann über Filmmusik, sich wesentlich unterscheidet von dem, was Nino Rota oder Ennio Morricone oder die Amerikaner wie Max Steiner und Bernard Hermann getan haben. Im Wesentlichen ist es eine Musik, die einen Film mitstrukturieren und den Ausdruck verstärken soll. Das war seit eh und je so. Das passiert auf so viel verschiedene Weisen. Wenn man bedenkt, was Nino Rota für Musik gemacht hat und was Tōru Takemitsu gemacht hat – beides sind einfach wunderschöne Musiken, auch ohne den Film. Die Qualität der Musik ist entscheidend.
Dass Henry Mancini’s Filmmusik toll ist, liegt daran, dass er eben ein guter Komponist war, einfallsreich und mit eigenem Stil. Das kann man natürlich nur bedingt vermitteln und lehren. Man kann auf die großen Komponisten und ihre Ausdrucksmittel aufmerksam machen.
Wim Wenders & Irmin Schmidt
Der polnische Jazzgeiger und Filmmusikkomponist Krzesimir Debski erzählte mir, wie er in Hollywood das System von „shadow composers“, also für billiges Geld angeheuerte Schattenkomponisten, kennen gelernt hat. Gibt es eine solche Praxis auch in Deutschland?
Ich beschäftige mich damit nicht, ich mache mein Ding. Das Fernsehen ist ja nicht voll von rasend guter Musik. Vieles wird ja als Konserve eingekauft. Viele Produzenten finden nicht, dass es wert ist, viel Geld und viel Mühe für die Filmmusik zu verwenden. Nicht nur in Hollywood, sondern überall auf der Welt. Das bringt diese Industrie ja mit sich, die ja auch viel Schrott produziert und nicht nur tolle Filme. Das ist normal. Was im Moment in der Filmmusik gängige Mode ist, ist die Vorliebe, den Film mit Sound zu überschwemmen. Das führt dazu, dass die großen „Soßen“ einfach keine Ausdruckskraft haben, weil sie den Film nicht mehr strukturieren. Diese Modeerscheinung ist weltweit. Hollywood macht das andauernd vor.
Früher ist man aus dem Kino gegangen und hatte eine Melodie im Kopf, oder einen Sound oder einen Rhythmus, was Spezifisches. Szenen hat man da nicht von der Musik trennen können. Das war eine bestimmte Ästhetik, im Moment ist diese etwas weniger gängig. Ich bin in meiner Filmmusik immer noch dieser Ästhetik verpflichtet, dass die Musik die Dramaturgie strukturieren soll, dass sie auch eine eigene Erzählung sein kann und über weite Bögen Szenen zusammenfasst und noch mal eine neue Erzählperspektive herstellt.
LB Orchester unter Leitung von Irmin Schmidt
Bei der Filmmusik-Gala in Ludwigsburg spielten Sie auf einem Konzertflügel. Gewinnt nach langjähriger Tätigkeit das akustische Instrument bei Ihnen seinen Reiz zurück – so wie auch bei Wolfgang Dauner, der in den 70er Jahren viel mit Synthesizern arbeitete?
Das hat sich in den 70er Jahren bei mir bei CAN so ergeben, da hatte ein Flügel keinen Platz. Bei der Arbeit mit Kumo habe ich bei Konzerten und bei CDs das Klavier wieder entdeckt. Das heißt aber nicht, dass ich jetzt die Elektronik oder das Komponieren für Orchester, oder für beides zusammen, aufgebe. Meine bisher umfangreichste Arbeit war es, eine Oper zu schreiben, in der großes Sinfonieorchester mit Elektronik und Opernsängern zusammengeführt wird, in der Techno und großer Orchesterklang miteinander verschmolzen werden, und darüber singen wunderschöne Opernstimmen.
Ich habe mein ganzes musikalisches Leben lang versucht, das was im 20. Jahrhundert an neuer Musik entstanden ist, und darunter habe ich nicht nur die Neue Musik aus unserer klassischen Tradition verstanden, sondern auch den Jazz, die Rockmusik und außereuropäische Musik, miteinander zu verbinden. Für mich war die Rockmusik spätestens seit Jimi Hendrix genauso wichtig wie Stockhausen, und die Jazzmusik – mit Max Roach zum Beispiel – war für mich auch Neue Musik. Ich wollte auf eine neue Weise diese Elemente miteinander verbinden und eine eigene Musik daraus machen, CAN war eine davon, meine Oper „Gormenghast“ ist eine andere.
Wie groß ist Ihr Bedürfnis „live“ und relativ spontan zu musizieren?
Ich bin unheimlich gerne auf der Bühne, egal wie. Zum Beispiel hat es mir großen Spaß gemacht, zu dirigieren. Ich würde gerne wieder mal eine Sinfonie von Schumann, Tschaikowski oder Brahms dirigieren.
Ich bin gerne auf der Bühne, aber auch gerne im Studio und sitze auch gerne am Schreibtisch und schreibe für Orchester – wie vor zwei Jahren die Ballettmusik „La Fermosa“. Es gibt keine eindeutigen Vorlieben. Mit einem so fantastischen Trompeter wie Markus Stockhausen im Studio zu arbeiten, ist wunderbar. Mit so tollen Musikern zusammen zu arbeiten, gehört zum Schönsten, Musiker von denen man lernt, wo man das Gefühl hat: „Mensch, der kann was – was ich nicht kann!“. Dann macht es großen Spaß.
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