Ubatuba, ist eine Stadt an der brasilianischen Südost-Küste. Doch damit hat die neue Formation der Saxophonistin Ingrid Laubrock nichts zu tun. „Ubatuba“ ist offensichtlich ein Hinweis darauf, dass die deutsche Jazzmusikerin, die nach einer Stippvisite in Großbritannien jetzt in New York wohnt, in ihrem Quintett den Bass durch eine Tuba ersetzte. Die inzwischen etablierte Künstlerin hat nach unterschiedlichen Gruppierungen ihre eigenständige sowie unverwechselbare Saxophon-Stimme auf ein ganzes Quintett ausdehnt. Sie setzt mit „Ubatuba“ auf die Mehrstimmigkeit von Blech- und Holzinstrumente, lässt das Schlagzeug beide Gruppen verbinden und harte Akzente setzen sowie eine pulsierende Basis bilden. Das Ergebnis ist eine Musik, die trotz der vielblättrigen Notation ihre improvisatorische Vitalität bewahrt. „Ubatuba“ steckt voller Kontraste, voll trügerischer Sanftheit, flächiger Sound sowie auf- und abschwellender Intensitäten. Die Musik atmet wie ein lebendiger Organismus, wie auch der Titel des abschließenden Stückes im Konzert, „Amy breathing organismn“, verrät.
Manche Kompositionen sind so neu, dass sie noch keinen Titel haben, anderen hat die 45 jährige Saxophonistin aus Stadtlohn im Münsterland nur Nummern gegeben. Und so beginnt das Konzert auf der Hinterbühne des Rüsselsheimer Theaters mit einem palavernden Geschnatter der Holz- und Blechinstrumente, einem Duo von Dan Pecks Tuba und Laubrocks Tenorsaxophon, das Drummer Tom Rainey jeweils mit einer Explosion auf Fellen und Becken abschließt.
Solche Knaller sind immer wieder in diesem aufregenden Konzert zu hören. So beginnt nach der Pause die Komposition „No. 8“ mit einem eruptiven Akkord auf dem Tenorsaxophon, bevor der Unisono-Part von Saxophonen, Posaune und Tuba melodische Flächen vorgaukelt, die von harten Drum-Breaks eingerahmt werden. Ben Gerstein an der Posaune windet sich und steigt manchmal mit Überblastechnik in überspitzte High-Notes.
Diese schwebende Mehrstimmigkeit mit den teilweise cantablen und fließenden Linien des Altsaxophons von Tim Berne wird dann ausnahmsweise von Rainey mit den Besen auf dem Becken und Trommeln begleitet. In andere Stücken besticht er mit virtuosen Stakkato-Läufen. einmal geht ein etwas langatmiges Duo von Altsaxophon und Tuba zur pulsierenden Rhythmusarbeit des Schlagzeugers in ein aufregendes Solo Laubrocks auf dem Tenorsaxophon über, bevor es in ein Duo mit dem Tubisten Peck mündet.
Die Tuba sorgt für eine fortlaufende rhythmische Basis, und spielt zugleich die Melodie. Dan Peck geht in seiner Rolle so auf, dass er auch nach dem Konzert in der Garderobe weiterspielt. Im Konzert antwortet er auf das fast gehauchte Spiel Laubrocks. Dazu lockert Rainey mit dem Schlagzeug die teilweise zerdehnten Läufe der Blasinstrumente auf.
Pulsierende und percussive Stimmungen prägen das Spiel von „Ubatuba“. „Homo Diluvii“ und „Masterisk“ sind wie die anderen Kompositionen der Saxophonistin polyphon und linear zugleich, Dichte und Raum kommen zum Klingen, Balance und Polarität erzeugen Spannung, die sich auf die Zuschauer überträgt. Die vielschichtige Musik ist reich an Überraschungen, die auch in Momenten des Relaxens für Aufregung sorgen. Mit experimentellen Sounds färbt das Quintett Klänge, hangelt sich mit flächigen Teppichen an endlos wirkenden ostinaten Rhythmusfiguren Raineys entlang, die dieser mut unbeweglicher Miene schlägt. Nur in der Zugabe greift Ingrid Laubrock dirigierend ein, ansonsten funktioniert die sensible Kommunikation der fünf Musiker traumhaft.
Es ist der inneren Spannung zu verdanken, dass selbst sanft wirkende und sich wiederholende Passagen nicht langweilen. Immerhin, so die Saxophonistin nach dem Konzert, sind trotz der weitgehenden Notierung nahezu zwei Drittel der Stücke improvisiert.