Interview und Fotografie: Klaus Mümpfer
Gaia Mattiuzzi
im Interview mit Klaus Mümpfer
Auf faszinierende Weise setzt die Vokalistin Gaia Matiuzzi ihren Kehlkopf instrumental ein. Sie krächzt, knurrt und knarrt, schleift die Töne und scatted rasend wie ein Saxophonist im expressiven Stakkato. Dann wiederum tönt ihre ausdrucksstarke und gefühlvolle Stimme wie bei einem verruchten Weib, um im nächsten Song mit kindlich schlichter Naivität oder quängelnd wie ein Gör zu klingen. Kaum zu glauben, wie eine gerade 24 Jahre junge Sängerin mit Leichtigkeit ihre Stimme exakt kontrolliert über Oktaven hinweg in die höchsten Lagen schraubt, kraftvoll shouted sowie im Diskant brechen oder im Finale eines Songs die Melodie schwebend verhauchen lässt.
Dass Gaia Mattiuzzi bei den außergewöhnlichen Interpretationen von Gospel und Worksong oder bei Villa Lobos´ „Xango“ mit dem sizilianischen Schlagzeuger Francesco Cusa kommuniziert, ist ein Glücksfall. Das Ruf-Antwort-Spiel des Duos ergänzt sich ebenso sicher wie in den parallelen Linien. Es entwickelt sich eine Musik, die sowohl kraftvoll als auch zerbrechlich, noise-artig als auch sensibel ist. Cusas verschmitzter Humor sorgt für Kurzweile und ebenso für Spannung wie die auf- und absteigenden Ostinati der Sängerin. Cusa, der die Tradition der italienischen Bandas mit Freejazz-Percussion verbindet und selbst im freiem Spiel einen unterschwelligen „Pulse“ durchlaufen lässt, nutzt praktisch alles, was ihm in die Hände kommt zur Geräuscherzeugung: Töpfe und Deckel, Kunststofftücher und Glocken. Er trommelt auf seinen Oberschenkeln, reibt die Becken mit den Sticks, schlägt Wirbel auf den Metallrändern des Drumsets.
„Skinshout“, so der Name des Duos, steht für die Felle der Trommeln und das Shouting im expressiven Gesang. Das Duo schöpft aus der reichen Quelle des Musikethnologen Alan Lomax, der das weite Feld der folkloristischen Wurzeln der amerikanischen Musik vom Blues bis zu Cajun und kreolischen Rhythmik bearbeitete. Doch die Adaptionen sind eher archetypischer Art. Die melodische Nähe zum Worksong wie in „Be my husband“ oder zum Gospel in „Go down Moses“ sind die Ausnahme und werden harmonisch variiert. Dennoch swingt die Musik vehement, wenn Cusa die Felle mit den Besen streichelt, groovt, sobald er drängend trommelt und Mattiuzzi durchdringend shouted. Fernöstliche Stimmungen bestimmen „Ba ba orio“, wenn die Sängerin über einer Synthesizer-Grundierung krächzt und seufzt, bevor sie plötzlich hymnische Sounds intoniert.
Im Interview spricht Gaia Matiuzzi über ihren musikalischen Weg, ihre Gesangstechnik und ihre Projekte.
FRAGE: Wie hast Du zunächst zur Musik und dann zum Jazz gefunden?
GAIA: In meiner Familie hat es nie an Musik gefehlt, meine Eltern sind davon begeistert und zu Hause wurde jede Art von Musik gehört, vom freien Jazz über Klassik bis zur Folklore aus aller Welt. All dies war für mich Quelle und Ansporn zugleich. Ich wurde von Kindheit an erzogen, unbefangen Musik zu hören. Ich befasste mich näher mit Musik, als mit ungefähr 8 Jahren begann, Klavier zu spielen. Danach fing ich mit der Gesangs- und Stimmausbildung an und mit der Zeit wurde die Stimme zu meinem Hauptinstrument. Meine ersten Erfahrungen sammelte ich als Solosängerin im Folk und Rock mit einem gewissen Interesse auch an der Populär- und Volksmusik. Aber als ich Aufnahmen von Billie Holiday hörte, weckte dies mein Interesse für den Jazz. Ihr intensiver, authentischer und ausdrucksvoller Gesang war für mich eine überwältigende Entdeckung. So habe ich das Studium des traditionellen Jazz und der Improvisation vertieft. Vor einigen Jahren ist in mir das Bedürfnis einer noch freieren und kreativeren Ausdrucksform gewachsen . So habe ich mich der Improvisationsmusik und dem avantgardistischen Jazz genähert.
FRAGE: Du singst traditionelle Balladen und Jazz-Standards, aber Du sattelst und vokalisierst auch in freien Improvisationen. Wo liegt Deine Vorliebe?
GAIA: Ich liebe die Tradition des Jazz. Dennoch erreiche ich die absolute kreative Intensität und Freiheit erst durch Experimentieren. Das erlaubt mir ein breitgefächertes Spektrum an improvisatorischer Freiheit. Ich dachte nie daran, eine Jazzsängerin zu werden. Ich finde, dass die afroamerikanische Kultur an einen kulturellen und originären Ursprung gebunden ist, der sehr weit entfernt ist von unserer Kultur. Ich empfinde es als unangemessen, dieses musikalische Erbgut zu benutzen. Allenfalls bin ich geneigt, die Stimmtechnik des Jazz zu benutzen, wenn ich in der zeitgenössischen europäischen Musik improvisiere.
FRAGE: Wie ist dann Deine Haltung gegenüber der klassischen Musik oder gar der Oper?
GAIA: Meine große Leidenschaft und Neigung gehört der klassischen Musik, die ich täglich übe. Die Begegnung mit meinem aktuellen Lehrer des lyrischen Gesangs, Michelangelo Curti, war der Grund, das Studium des traditionellen Belcanto zu vertiefen. Dieser Weg begeistert mich sehr und kommt meiner musikalischen Auffassung nahe.
FRAGE: Wie groß ist nach Deiner Ansicht der Einfluss der traditionellen italienischen Folklore – beispielsweise der Banda-Musik auf den heutigen italienischen Jazz?
GAIA: Ich glaube nicht, dass sie einen großen Einfluss hat. Banda ist eine typische Tradition aus Süditalien und viele Jazzmusiker aus dem Süden können durchaus durch sie beeinflusst oder angeregt worden sein, ein Blasinstrument zu lernen. Da ich Südtirolerin bin, aus dem äußersten Norden Italiens, bin ich dagegen immun.
FRAGE: Gibt es einen weiblichen oder männlichen Jazz-Sänger, den Du besonders bewunderst?
GAIA: Ich bewundere sehr die Sängerin Greetje Bijma für ihre Kreativität und ihre ausdrucksvolle Freiheit. Mich fasziniert die Art, wie sie mit ihrer Stimme mit allen Nuancen experimentiert und sich dabei einer großen theatralischen Ausdrucksweise bedient. Auch Cathy Berberian finde ich fantastisch, wegen ihrer verfeinerten Art der Interpretation, aber der “ kreative Minimalismus” von Meredith Monk ist die Hauptquelle meiner Inspiration.
FRAGE: Wie würdest Du Deinen persönlichen Gesangsstil beschreiben?
GAIA: Ich würde mich nicht als Jazzsängerin bezeichnen. Meine Stimme und damit die gesangliche Ausdrucksform steht der freien Improvisation bestimmt sehr nahe, aber sie ist auch der Tradition des “Belcanto” verwandt. Ich begeistere mich für das stimmliche Experimentieren und für die Möglichkeit, einen großen Oktavumfang zu beherrschen, indem ich verschiedene Techniken gebrauche. Auch habe ich viele andere, nicht europäische Techniken und Ausdrucksformen aufgenommen, wie afrikanische, indische, sephardische, pakistanische, griechische, balkanische und weitere. Mein Interesse für die verschiedenen Formen ethnischer Musik ist immer sehr lebendig gewesen und mein Gesang hat von ihnen die Nuancen aufgenommen.
FRAGE: Spielst Du ein Instrument neben dem Gesang?
GAIA: Ich spiele zwar Klavier, aber ich konzentriere mich vor allem auf meine auf meine Stimme.
FRAGE: Spielst oder singst Du außer im Skinshout-Duo in anderen Rock-, Jazz- oder Pop-Formationen?
GAIA: Mein Werdegang beinhaltet viele Erfahrungen in verschiedenen Musikrichtungen: Als ich sehr jung war, habe ich in vielen Pop- und Rockbands gesungen und in vielen Projekten ethnischer Musik, vor allen Dingen in Süditalien. Später habe ich mich immer mehr Projekten gewidmet, die vom Jazz bestimmt sind. Gegenwärtig singe ich in keiner Pop- oder Rockband.
FRAGE: Könntest Du etwas über Maria Pia de Vito sagen, die ich als Mitglied der Skoda International All Stars mehrfach erlebt habe und die schließlich auch zu Deinen Lehrerinnen zählt?
GAIA: Ich verehre Maria Pia de Vito sehr. Ich hatte das Glück, sie in einigen Masterclass/Kursen , die sie am Konservatorium von Turin 2007 hielt, als Lehrerin kennenzulernen. Ich habe mit sehr viel Freude daran teilgenommen. Aber ich habe nie ihre künstlerische Ausdrucksform angestrebt.
FRAGE: Du hat die “functional methods of speech-voice applied physiology” am Konservatorium in Verona studiert. Was steckt dahinter?
GAIA: Im Konservatorium von Verona habe ich viele Jahre Seminare für Stimmbildung nach Lichtenberg bei Martin Landzettel, dem Dozenten und Direktor des Lichtenberginstituts, besucht. Auf der Basis dieser angewandten Philosophie sind Entdeckungen verwirklicht worden, die eine neue Orientierung der Gesangspädagogik und der Musik kreiert haben. Mit dieser Ausbildung erreicht man eine besondere Funktion des Kehlkopfes, die es erlaubt mit besonderer Leichtigkeit und Freiheit zu singen, und das ist nicht abhängig vom Alter der Sängerin.
FRAGE: Also hast Du auch das Lichtenberg Institut für Gesang und Instrumentalspiel nahe Darmstadt besucht.
GAIA: Nachdem ich lange Zeit die Seminare mit funktionaler Methodik in Verona belegt hatte, beschloss ich, mich in “Fortbildung angewandter Stimmphysiologie” am Lichtenberg Institut einzuschreiben. Die Ausbildung dauerte vier Jahre und hat den Zweck, den Schülern die Fundamente des funktionalen Modells der Stimme nach der Methode Lichtenberg zu vermitteln. Die Grundlagen wurden von einer großartigen Sängerin und Lehrerin geschaffen: Gisela Rohmert, im Augenblick eine der Lehrerinnen am Lichtenberginstitut.
FRAGE: Du bist die Sängerin im Skinshout-Duo mit dem PerkussionistenFrancesco Cusa. Welche Intentionen haben Du und Dein Mitspieler?
GAIA: Mit den Duo Skinshout versuchen wir, die Musik auf das Wesentliche zu reduzieren: Melodie und Rhythmus. Bei diesen Experimenten und dank dieses Duos konnte ich meine Vokalität auf Bereiche ausdehnen, die für mich noch vor kurzen unvorstellbar waren.
FRAGE: Gibt es noch andere Gruppe, in denen Du engagiert bist?
GAIA: Ich arbeite mit verschiedenen Gruppen und Musikern zusammen, die einen Jazz-Hintergrund haben, sowohl in Italien als auch im Ausland. Im Augenblick arbeite ich an meinem neuen Projekt “Satiek”, ein Trio, bei dem ich Jazzkompositionen und zeitgenössische Musik einbeziehe, im Charakter bewahre, aber in der Improvisation abwandle. Wir bearbeiten Stücke von Komponisten, die ich sehr schätze, wie Charles Ives, Hanns Eisler, Erik Satie oder Aaron Copland, aber auch Stücke aus der Volksmusik und Folklore. Das Repertoire ist auch zusammengestellt aus poetischen und literarischen Texten. In das Projekt sind zwei großartige Musiker integriert: Francesco Cusa e Giorgio Pacorig. Beide arbeiten mit mir an den Arrangements. Außerdem wurde ich eingeladen, mitzuarbeiten am internationalen Projekt “Meditrio”, welches vom Marseiller Gitarristen Jean Marc Montera geleitet wird. Das Projekt ist ein Balanceakt zwischen antiker traditioneller Musik und zeitgenössischer Improvisation. Ein anderes mir sehr wichtiges Projekt ist das Quartett “Vocal Skrunch” von Francesco Cusa. Die Sängerin Marta Raviglia und ich sollen uns in Kompositionen hineinwagen, die einen sehr interessanten polyrhythmischen und einen sehr melodischen Charakter haben.
FRAGE: Wie unterscheiden sich Deiner Ansicht nach die deutsche und die italienische Jazz-Szene?
GAIA: Ich finde, in Deutschland werden Musikwissenschaft und akademische Ausbildung stärker geachtet, respektiert und gepflegt. In Italien ist fast alles folkloristisch, etwa bei Degustationen oder in touristischen Orten. Ich bewundere jedes mal die Professionalität, wenn ich eingeladen werde, um in Eurem Land zu singen. In Italien gibt es sehr gute Musiker, aber ihre Bestätigung ist der oberflächlichen Bewertung vieler Zuhörer ausgesetzt oder der professionellen sehr weniger und schier unerreichbarer Manager.
FRAGE: Nochmals die Frage nach Auftritten in der näheren Zukunft.
GAIA: Im November habe ich wieder das Vergnügen mit dem großen Musiker Ernst Ludwig Petrowsky in Berlin mit meinem Projekt “Satiek” auftreten zu dürfen. Dieses Jahr wird dieses Projekt auch ins Kulturinstitut nach Kopenhagen eingeladen. Dort findet der “Talent Export” statt, der von der autonomen Provinz von Bozen gepflegt wird. Außerdem arbeite ich weiterhin mit der französischen Gruppe Meditrio zusammen. Die Gruppe setzt sich zusammen aus Jean Marc Montera und zwei klassischen Musikern: Julien Ferrando und Jean Michel Robert. Es sind im Herbst verschiedene Konzerte in Frankreich vorgesehen. Das Projekt basiert auf dem Zusammentreffen zwischen mittelalterlicher und barocker Musik und eine an den Jazz angelehnte Sprache, dem Dialog und der Kommunikation zwischen notierter Musik und Improvisation. Diese Verbindung verleiht all dem eine sehr interessante Klangfülle, die die Musik dazu bringt, verschiedene Bereiche auszuloten. In Kürze werden außerdem zwei CDs veröffentlicht unter dem Label „Improvisatore Involontario“; Die erste ist die CD von Skinshout. Hier wurde ich inspiriert von der karibischen Musik, die von dem berühmten Musikwissenschaftler Alan Lomax in den ersten Jahren des vergangenen Jahrhunderts entdeckt wurde. Die zweite CD heißt “Jacques Lacan: the true musical story” mit der Gruppe “Francesco Cusa Skrunch”.
FRAGE: Abschließend würde ich gerne wissen, was Musik für Dich bedeutet?
GAIA: Für mich ist Musik der Ausdruck unseres Intellekts, unserer Gefühle und unserer Seele. Sie ist eine universale Kunstform, die den Gedanken einen Körper gibt und Gefühle erweckt und damit eine Resonanz unseres Innersten
Internet: http://www.myspace.com/gaiamattiuzzi
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