Ein nordafrikanisches Land fasziniert die Musiker


Fotografien: Hans Kumpf 

Nie verging ein Konzert von Dizzy Gillespie (1917-1993), in dem der amerikanische Trompeter nicht die die nächtlichen Stunden eines nordafrikanischen Landes beschwor: „A Night in Tunisia“.


Dizzy Gillespie

Das Land mit der großen Geschichte fasziniert mit seiner multikulturellen Gesellschaft nicht nur die Elite der Jazzmusiker. Eine große Anzahl junger Bands – darunter das Landesjazzorchester Nordrhein-Westfalens 1983 – unternahm ausgedehnte Gastspielreisen durch Tunesien. Vor vierzig Jahren wurde an authentischen Orten der Film „Noon in Tunisia“ gedreht. Die musikalische Gesamtleitung hatte der Schweizer George Gruntz. Joachim-Ernst Berendt war Produzent und Peter Lilienthal führte Regie. Ein Jazz-Quintett (mit Gruntz am Piano, dem Trompeter Don Cherry, dem Saxophonisten Sahib Shihab alias Ed Gregory, dem Bassisten Henri Texier und dem Schlagzeuger Daniel Humair) arbeitete mit einem Beduinen-Quartett unter Leitung 5alah El Mahdi zusammen.


George Gruntz

Der Jazz traf da nicht nur auf die homophone und vom europäischen wohltemperierten Tonsystem abweichende Musik des westarabischen Raumes. Das bei Tunis gelegene malerische Städtchen Sidi Bou Said hat musikalisch sein andalusisches Erbe bewahrt. Trotzdem bleibt die Stammesmusik des schwarzen Afrika ganz nahe. Die improvisatorische Zwiesprache begeisterte die Jazzer genauso wie die Beduinen.

Was ein Tourist in Tunesien hört? Im Palmengarten des Hotels, in dessen Rezeption der diktatorische Staatpräsident Ben Ali bildhaft auf das Volk herunterschaut, hängen Lautsprecher von den Bäumen und nehmen akustisch Rache an den französischen Kolonialherren: Sidney Bechets „Petite Fleur“ erklingt da im Sound der Valse-Musette, welk und nicht ganz taufrisch aus der Ziehharmonika gepresst. Aus dem Radio etwas ganz Exotisches: Ein argentinischer Tango auf Arabisch mit ungewohnter polyphoner Durchstrukturierung. Im Restaurant dann zum Abendmahl ein Alleinunterhalter, auf dessen japanischem Keyboard das Firmenschild auch im arabischen Schriftzug prangt. Längst gibt es für den riesigen arabischen Kulturraum Synthesizer – spezifische Rhythmen, Skalen und Instrumente sind vorprogrammiert.

Mit wechselnden Attraktionen versucht die Hotel-Disco, Gäste anzulocken. Da flötet ein Schlangenbeschwörer sein Reptil an oder eine Bauchtänzerin schwingt ihre Hüften zu einer Musik, die eine reizvolle Synthese von spanischem Flamenco und orientalischer Rhythmik darstellt.

Sang und Klang auch in den Straßen der Stadt: Ein Bauarbeiter, ein Straßenpassant – sie singen vor sich hin, einfach so, sich selbst zur Freude. Ein Familienfest wird in einem Haus an der Hauptstraße gefeiert: Ein fröhlicher Chor von Frauen, begleitet von Trommelschlägen. Nebenher tönt der Ruf des Muezzins wie Musik in den Ohren. Aus jedem Geschäft plärrt eine andere Musikkonserve heraus – meist ein männlicher Gesangssolist, noch unverfälschte Folklore. 


Don Cherry

Am Straßenrand werden Musikinstrumente angepriesen. Für wenige Dinar ist eine Darbouka (eine Trommel mit einem Keramikkorpus) zu haben, die einfache Bambusflöte namens Nai gibt es schon für einen Dinar. Bei dem Oboeninstrument Zoukra ist Feilschen ratsam. Die Qualitätsunterschiede und die Preisvorstellungen der cleveren Trödler sind mitunter recht hoch.

Als mir eine schreckliche Diarrhoe den Schlaf raubte, wurde mir unmissverständlich klar, wie Gillespies „Night in Tunisia“ zu interpretieren ist: Schnell und flüssig…

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