Dieter Glawischnig – Ein Leben nicht nur mit Chet, Ernst und einer Lady

Am 7. März 2008 feierst Du Deinen 70. Geburtstag. Eigentlich bist Du ja seit fünf Jahren in Rente. Was hast Du in dieser Zeit alles gemacht?

‚In Rente’ – wie das klingt! – bin ich, soweit es meine Tätigkeit an der Hochschule für Musik und Theater betrifft, aus der ich im Sommersemester 2004 endgültig ausgestiegen bin. Natürlich bin und bleibe ich der Hochschule ‚im Geiste’ verbunden; ich hatte auch die Ehre, von der Hochschule in den ersten Hochschulrat entsandt zu werden, dessen Amtsperiode im Herbst 2007 geendet hat. Eigentlich wollte ich meine Tätigkeit als Chefdirigent der NDR Bigband gleichzeitig mit der Hochschule beenden, um mich mehr um meine eigenen Sachen kümmern zu können. Die Diskussion um meine Nachfolge hat sich dann aus verschiedenen Gründen länger hingezogen, so dass ich auf Wunsch ‚des Hauses’ meinen Vertrag verlängern ‚musste’. Im letzten Jahr hat sich dann endlich die Idee einer ‚Doppelspitze’ entwickelt (Jörg Achim Keller als mein Nachfolger, Nils Landgren als künstlerischer Berater), somit fällt für mich Ende Juni 2008 endgültig der Hammer. Mit der NDR Band gab es für mich interessante Projekte wie immer, ich nenne nur die ‚Sacred Concerts’ von Duke Ellington mit dem NDR Chor, die CD-Produktion und Konzerte mit Kompositionen von Nils Wogram, zuletzt die große Europatour mit Al Jarreau, und natürlich auch Aufführungen meiner Text-Stücke (nach Ernst Jandl ‚jedes ich nackt’ und Grimms Märchen nach Dietmar Mues). Als Pianist gab es einige Soloauftritte, Konzerte mit CERCLE (Andreas Schreiber, John Marshall, auch mit Dietmar Mues, voice) und im Duo mit Ewald Oberleitner, meinem alten Neighbours-Partner, mit Frank Gratkowski, Andreas Schreiber und mit Luten Petrowski. Als sideman war ich bei SPRINGTIME, dem Sextett von Günter Lenz, und in den Gruppen von Ekkehard Jost dabei, v.a. bei dessen sehr erfolgreichen ‚Cantos de Libertad’.

Dein seitheriges Lebenswerk ist ja dermaßen vielfältig, interessant und umfassend, dass Wikedia nur wenige Punkte aufzählen kann. Stimmen die Angaben über Dich in dem Online-Lexikon (http://de.wikipedia.org/wiki/Dieter_Glawischnig)?

Ich gestehe, ich habe eben zum ersten Mal reingeschaut: alle angeführten Daten stimmen; für wirklich Interessierte könnte einiges ergänzt werden, zu allen biographischen Punkten. Vielleicht sollte ich mich doch einmal zu einer Homepage aufraffen…!

Genau vor 20 Jahren verstarb auf mysteriöse Weise Chet Baker (1929 – 1988). Auch Du hast mit dem Trompeter zusammen gearbeitet…

Chet Baker war kurz vor seinem wie auch immer verursachten Fenstersturz bei uns in Hannover und Hamburg. Alle Aufnahmen der Bigband, teilweise auch unter Mitwirkung der Radiophilharmonie Hannover sind ja bei ENJA RECORDS als ‚The Great Last Concert’ veröffentlicht. Chet war in bester Verfassung, die Konzerte waren ein triumphaler Erfolg, neue Pläne für die Zukunft wurden geschmiedet…

Seit 1966 kooperiertest Du mit verqueren Lyriker Ernst Jandl (1925 – 2000). Welche Erinnerungen hast Du an ihn?

Ich habe Ernst 1966 im Avantgarde-Künstlerclub FORUM STADTPARK in Graz kennengelernt. Wir waren alle hingerissen von seinen Texten/Gedichten und von seiner Vortragskunst. Da wir gemeinsame Gestaltungsprinzipien entdeckten, gab es noch im selben Jahr einen ersten Auftritt in Linz, mit Ewald Oberleitner, meinem damaligen Duo-Partner am Bass. Über die Jahre spielten wir dann zahlreiche Konzerte mit unserem Trio Neighbours, mit Oberleitner und John Preininger am Schlagzeug, und auch mit CERCLE, mit Andreas Schreiber und Tony Oxley. Und dann saß Ernst 1982 beim Hamburger Jazzfestival als Hauptsolist ‚laut und luise’ in unserer NDR Bigband; ich hatte ihn dazu überreden können, er war ja zuerst skeptisch, ob er in einem großen Ensemble mit seiner Stimme durchkäme. Natürlich kam er, dafür hatte ich schon gesorgt. 

1989 schrieb ich dann ein zweites Stück, ‚aus der kürze des lebens’ (beide Kompositionen kamen 1995 als textlich voluminöse Doppel-CD zu seinem 70. Geburtstag bei HatHut/DU heraus – eine Neuauflage ist für Herbst 2008 geplant), und dann noch 2002 ein drittes mit Texten aus seinen posthum veröffentlichten ‚letzten gedichten’ mit dem titel ‚jedes ich nackt’, mit Dietmar Mues als Interpreten. Dass wir eng befreundet waren, muss ich wohl nicht betonen.

Am 17. März 2008 machst Du im „Hamburger Polittbüro“ einen Jandl-Abend. Wie ist dieser konzipiert?

Im ‚Polittbüro’, dem von Lisa Politt und Gunter Schmidt betriebenen, auf der rechten Seite, nämlich links engagierten Kabaretttheater organisiert Thomas Ebermann im Rahmen seiner ‚Vers-und Kaderschmiede’ ganz spezielle literarische Abende, am 17. März eben ‚ernst jandl for ever’, wie Dietmar Mues und ich unseren Duo-Abend betitelt haben. Die Dramaturgie folgt den Abläufen, wie wir sie seinerzeit mit Jandl himself entworfen haben, allerdings immer wieder mit Veränderungen, Auslassungen oder Ergänzungen. Und natürlich hat Dietmar einen ganz eigenen Interpretationsstil gefunden. Wichtig ist uns, das umfangreiche Gedankengebäude dieses großen Poeten, Moralisten und Pädagogen wenigstens anzureissen; viele halten ihn ja ‚nur’ für einen skurrilen Witzbold, werch ein illtum!

2007 wurdest Du in Hamburg mit einem Jazz-Ehrenpreis ausgezeichnet. Für 27. März ist ein so genanntes „Abschiedskonzert“ für Dich konzipiert. Wirst Du dann endgültig der Hansestadt den Rücken kehren?

Zum ersten Teil der Frage: In den letzten Jahren wird die Hamburger Jazzszene von der Dr. Ernst Langner-Stiftung in vorbildlicher Weise gefördert. Dr. Langner, Mäzen und Jazzfan, vergibt jährlich 3 Stipendien (a € 5.000,-) an besonders begabte, von einer Fachjurie ausgewählte junge MusikerInnen. (Dass es bisher immer Studierende der Jazzabteilung der Hamburger Musikhochschule waren, erfüllt mich nachträglich mit einem gewissen Stolz, obwohl ich das Wort nicht mag). Und 2007 kam dann ein Jazzpreis hinzu (Gabriel Coburger) und auch ein (einmaliger?) Ehrenpreis, über den ich mich sehr gefreut habe. 

Ja, am 27. März wird es im NDR ein ‚Abschiedskonzert’ als Chefdirigent geben, zu dem Lutz Marmor, der neue Intendant (und Jazzfan!) einladen wird. Da ich das Programm festlegen durfte, werde ich ausnahmsweise solo spielen, aber natürlich auch mit der Bigband ein weiteres Textstück aufführen (derartiges ist nun mal mein Steckenpferd), und zwar ‚es war einmal…und wenn sie nicht’, Grimms Märchen nacherzählt von Dietmar Mues – der Titel passt doch zu einem Abschiedskonzert, odrrr? In Zukunft werde ich wieder in Österreich zu Hause sein.

Wie sehen derzeit Deine Aktivitäten in Österreich aus? Wie sind Deine Zukunftspläne?

Neben meiner 5-jährigen Tätigkeit als Universitätsrat auch an der Grazer Kunstuniversität habe ich immer wieder gespielt. Besonders interessant waren im letzten Jahr die ‚limmitationes-Feierlichkeiten’ zu Ewald Oberleitners 70er in Rudersdorf im Burgenland, bestens organisiert vom unermüdlichen Udo Preis. Die daraus resultierenden Konzerte in Österreich und Ungarn im Trio mit Hamid Drake waren für mich ein musikalischer Hochgenuss.

Im kommenden Mai (9.-11.) bin ich in Rudersdorf dran, Udo hat wieder zahlreiche Mitstreiter gewinnen können, wie Fred Anderson, unseren Neighbours-Freund in Chicago, den wir seinerzeit zum ersten Mal in Europa präsentieren konnten, Gerd Dudek, Ekkehard Jost, Vladimir Tarasow, John Marshall, Armin Pokorn, Dietmar Mues und Erhard Koren, und, zu meiner großen Freude, Hans Glawischnig, meinen Bass-Sohn, schon lange und mit Erfolg in New York. Um das kleine Festival herum wird es wieder 6 Konzerte im Quintett geben mit Fred, John, Ewald und Hans an 2 Bässen und mit mir, in Wien (Porgy&Bess), Graz (Stockwerk), Zagreb, etc. Dann will ich auch weiterhin mehr spielen (meine beiden Jobs in Hamburg waren schon sehr zeitintensiv) und meine Aktivitäten von Graz aus organisieren, so lang es mir gegeben ist. Und einen willkommenen gig als Gastdirigent mit ‚meiner’ NDR Band gibt’s auch schon: im November werden ‚Grimms Märchen’ bei den Hamburger Märchentagen wieder aufgelegt werden. Bin neugierig, was sich sonst noch ergeben wird.

Eine Anekdote aus Deinem Jazzer-Leben?

Mit Neighbours waren wir in den 80ern auf einer größeren Kanada-Tour.
Neben Konzerten in Colleges und Clubs mit Interesse für improvisierte Musik hatte man uns auch in einen konventionellen Club vermittelt, in dem immer Mainstream gespielt und erwartet wurde, so auch an unserem Abend, an dem wir, eingekeilt von zwei Swinggruppen, den zweiten mittleren Teil übernehmen sollten. Fast hätten wir uns dem vorherrschenden Idiom anschließen wollen, haben uns aber dann doch nach heißen Debatten im Trio zum Risiko durchgerungen, unsere eigene Musik zu spielen. Und es hat funktioniert, voller Erfolg. Eine elegante ältere Dame, a real lady, kam nach dem set zu uns und meinte: ‚It was so entertaining, I almost forgot to drink’! Na, wenn das kein Lob war!

Die Fragen stellte Hans Kumpf. Dieter Glawischnig antwortete am 14. Februar 2008.

(Februar  2008)

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