Roland Kalus vom Kulturgut Bechtolsheim findet auf der kleinen Bühne kaum Platz für die Ansage. Akkurat stehen in ihren Ständern eine Lakewood-Bariton-, eine „normale“ Konzert-, und eine elektrische Gitarre neben der achtsaitigen Mandoline des Ingelheimer Künstlers. Duo-Partner Tommy Baldu hat zusätzliche eine akustische Gibson-Gitarre, die er allerdings als Rhythmus-Instrument und in „Krikel-Krakel“ deren Korpus zur Percussion nutzt. Er hat neben der Rahmentrommel Frame, diversen fein abgestimmten Schlagzeugtrommeln und Becken zusätzlich Rasseln und Schellen mitgebracht.
Der Ingelheimer Gitarrist Daniel Stelter ist ein Virtuose des Fingerstyle oder –picking-Spiels mit und ohne Plektrum auf dem sechssaitigen Instrument. Er hat eine Vorliebe für tönende Pausen, schließt seine Riffs mit Knalleffekten hart angerissener Saiten ab, gefällt sich in Harmonievariationen und Ostinati. Meisterhaft präsentiert er beim Konzert mit dem Duo-Partner Tommy Baldu jenes Spiel, bei dem meist drei Finger der Basshand in geschmeidigen Tonabfolgen die Melodielinien der anderen auf dem Hals mit seinen Bünden abrunden.
Begonnen hat das spannende und abwechslungsreiche Konzert mit einer Solointerpretation des Richard Rogers-Jazzklassikers „My Favorite Things“, dessen Melodie in der Bearbeitung Stelters immer wieder auftaucht. Für den Anhänger des experimentellen Jazz war allerdings die Komposition „Begegnung“ von Baldu das aufregendste Stück des Abends. Bei einem einleitenden Solo des Drummers mit Donnerschlägen und Trommelwirbeln, in die Stelter mit der E-Gitarre samt elektronischen Verfremdungen flächige Teppiche verwebt oder die er mit Bottleneck-Glissandi und Verzerrungen verstärkt. So steigert sich das Duo zu einem Crescendo. „Anarcho“ nennt Baldu im privaten Gespräch diese Lärmorgie, die ein wenig aus dem „gesitteten“ Rahmen des Konzertes fällt. Zuvor schon trieb der Perkussionist beim rasanten „Taxidriver“ mit den Besen auf dem schwarzen Kunststoff-Ordner seiner Steuerklärung das Tempo des Gitarristen voran. Das Publikum im ausverkauften Saal ist begeistert und spendet anhaltenden Applaus.
„Wir spielen natürlich Stücke von der CD „Humming songs“, aber auch andere akustische Kompositionen“, erklärt Stelter vor dem Konzert. Wie immer bei seinen Auftritten fasziniert der jugendliche, aber etablierte, Künstler mit einer Fülle von spontanen Ideen, zupft und schlägt die Saiten konzentriert. Er verzieht kaum eine Miene. Sein Duo-Partner scheint hingegen alle Aktionen mitzuerleben, verzieht den Mund und schneidet unbewusst Grimassen. Manchmal bleibt er – wie im bluesgefärbten „Tabs“ – mit erhobenen Klöppeln wie ein „Luft-Drummer“ hinter einem Equipment stehen, bevor er zum finalen Schlag ausholt.
Zur Mandoline greift Stelter bei „Straßenstaub“, zur neuen Bariton-Gitarre bei der Bearbeitung des Sting-Hits „Fields of Gold“. Einmal in „Split Heart“ singt Stelter sogar – aber das wäre nicht nötig gewesen, nachdem die vorhergehende Komposition „All“ den Blick eines Astronauten auf den zerbrechlichen blauen Planeten Erde mit expressivem Gitarrenspiel des Künstlers assoziiert.
Im „Mo better Blues“ des Jazz-Saxophonisten Branford Marsalis und des Trompeters Terence Blanchard aus dem Jahr 1990 ergänzt Baldu die mitreißenden Gitarrenriffs Stelters auf der dunkel timbrierten und mit einen Tuch bedämpften Frame.
„Die Gitarre ist das kleinste Orchester der Welt“, zitiert Stelter den berühmten Kollegen John Williams. Das Konzert im Bechtolsheimer Kulturgut ist Beweis für diese Aussage.
Die aktuelle CD:
„Humming Songs“, also 14 gesummte Momente, heißt die jüngste CD, auf der neben dem Duo der Bassist Michael Paucker und der Rhodes-Spezialist Ulf Kleiner zu hören sind. Stelter und Kleiner sprechen von „Melodien voller Leichtigkeit“, denn es gebe diese Momente, „in denen einem auf einmal eine Melodie auf den Lippen liegt. Man fängt an zu summen – und plötzlich ist ein neues Lied da.“ So erklären die Künstler ihre Musik, die eine Mischung aus Jazz, Pop, Rock und Klassik mit ausgefeilten Gitarrenlinien und nahezu sanfter Instrumentierung zu hören sind, wobei die gezupften oder glissandierenden Läufe Stelters in Kleiners zumeist perlenden Keyboard-Improvisationen ihren Gegenpart finden und das Bass-Spiel Pauckers den typischen Stelter-Quartett-Sound abrundet.