Charles Lloyd ist ein musikalischer Mystiker. Auch seine „Wild Man Dance Suite“, eine Auftragskomposition des polnischen Jazztopad-Festiavls, ist eine solche kosmische Reise auf der Suche nach dem Klang. „Ich bin ein Blues-Mann auf einer spirituellen Reise. Der Blues kommt aus einem Streben nach Freiheit. Mein spiritueller Weg ist die Suche nach der Befreiung der Seele“, fasst Charles Lloyd seine Musik des „Wild Dance Man Projects“ zusammen. In der Tat glänzt das Quartett beim Konzert der Jazzfabrik im Rüsselsheimer Theater mit emotionaler Tiefe, Melodik und Improvisation, die von formaler Souveränität getragen werden. Lloyds Komposition sucht elegant und würdevoll, turbulent und dramatisch, nachdenklich und ruhig seine Erfüllung. Lyrik und Dynamik sowie die Freiheiten der Avantgarde wecken ein Gefühl der Transzendenz.
Zu Beginn der sechsteiligen Suite greift Charles Lloyd zur Altflöte, bläst magisch wirkende Sounds, die Bassist Joe Sanders mit Akkordlinien verziert, Pianist Gerald Clayton sparsam kommentiert und Schlagzeuger Eric Harland pulsierend im freien und rhythmisch ungebundenen Spiel grundiert. Es sind die weichen Tonfolgen, denen das Flötenspiel ebenso wie die sanften Saxophonläufe die Charakterisierung „Zärtlichkeit“ verdanken. Lloyds gewundene Linien sind von einer Klarheit wie bei Lester Young, seine ausdrucksvollen Läufe von einer Spiritualität, der man noch immer den Einfluss Coltranes anhört. Das Spiel auf dem Tenorsaxophon erinnert in seiner Bebop-Phrasierung manchmal an die Zeit des Saxophonisten bei Cannonball Adderley.
Zwischendurch setzt sich der 77-Jährige auf seinen Stuhl neben dem Klavier, genießt lächelnd das Trio-Spiel seiner jungen Partner.
Das Spiel steigert seine teilweise lyrische Intensität, Der eigentlich poetische Clayton mit der Liebe zum Blues hämmert kraftvoll in die Tasten, der ständig präsente Eric Harland treibt mit pulsierenden Drums die Begleiter voran. Der besinnlichen Ruhe folgen Ausbrüche kollektiver und freier Improvisationen, die eingebettet sind in das sanft groovende, oft nur wenige Takte währende Akkord- oder Single-Note-Spiel. Joe Sanders federnde Kontrabass-Soli stecken voll kreativer Harmonien, der Pianist pendelt am Flügel zwischen sperrigen Läufen und tastenden Einzeltönen.
Das überwiegend kammermusikalische Spiel bezieht einen Großteil der Spannung aus den Kontrasten von ruhigen und treibenden Passagen. Charles Lloyd bricht hin und wieder in attackierende Stakkati aus, während Clayton auf dem Piano in rasenden Läufen die Fülle des Instruments auslotet. Dazwischen lassen sich die faszinierten Zuhörer auf verträumt wirkendes Spiel ein, das Schlagzeuger Harland sensibel auf den Becken begleitet.
Der sanft gestrichene Bass untermalt den impressionistischen und kammermusikalischen Charakter dieser Suite, die Lloyd mit einem getragenen Solo auf dem Tenorsaxophon samt Atemgeräuschen betont. Seine aufsteigenden Linien mit Vibrato führen im Kreis zurück an den Anfang, bevor das Quartett mit einer Up-Tempo-Passage Bilanz zieht.
Das begeisterte Publikum feiert die Künstler stehend mit anhaltendem Applaus und wird mit einer ruhigen Zugabe belohnt.