Arild Andersen mit All-Star Quartett in Schwäbisch Hall: Wenn Fjorde neutönerisch den Blues haben

Das norwegische All-Star-Quartett des Bassisten Arild Andersen zelebrierte in der Haller Hospitalkirche ein abwechslungsreiches Konzert. Die achtzig Besucher des Jazztime-Abends waren rundweg begeistert

Eine wirklich spannungsreiche Performance bot die bestens aufeinander eingespielte Arild Andersen Group in einer vom Jazzclub und Kulturbüro gemeinsam verantworteten Veranstaltung. Arild Andersen, geboren 1945, ist ein künstlerisch aktuell gebliebener Senior des norwegischen Jazz. Um sich versammelt hat der versierte Kontrabassist arrivierte heimatliche Talente, die drei und vier Jahrzehnte jünger sind als er. Pianist Helge Lien, den man mit eigenem Trio beim hiesigen Jazz-Art-Festival 2009 erleben konnte, und Schlagzeuger Håkon Mjåset Johansen sind beide Jahrgang 1975. Der allseits bewunderte Saxofonist Marius Neset, dem die deutsche Jazzzeitschrift „Jazz Podium“ vor sechs Jahren bereits eine Titelstory widmete, zählt inzwischen 37 Lenze.

In Hall blies Neset primär das Tenor, wobei er einerseits den Swing-Heroen Coleman Hawkins und Ben Webster huldigte, andererseits aber auch schönklangszerstörerisch wie einst Peter Brötzmann zu röhren vermochte. Außerdem entfachte er obertonreiche „Harmonics“ wie in der Zeitgenössischen Tonkunst oftmals praktiziert. Über eine fabelhafte Instrumentaltechnik verfügt der Universelle also, kompositorisch zeigt der mittlerweile im dänischen Kopenhagen wohnende Marius Neset besonderes Interesse an der klassischen Musiktradition Europas. Ohne Reminiszenzen an John Coltrane kommt er auf dem Sopran aus – direkt und feingestochen ist da der Ton. Welch‘ eine Alternative zum weltweit populärsten Jazzmusiker Norwegens, nämlich zu Jan Garbarek, der ja stets ziemlich kommunikationslos triste dahin trötet…

Wache Interaktion und absolute Spielfreude bestimmen die gemeinsamen Improvisationen des skandinavischen Quartetts allemal. Fortwährend werden da intensive Zweierbeziehungen eingegangen. Man hat sich im Quartett immer noch viel zu sagen – selbst am Ende einer ausgedehnten Deutschlandtournee, welche kurze Abstecher nach Österreich und in die Tschechei beinhaltete.

Und bei jedem der oft ineinander übergehenden Stücke steuerte der Bandleader einen Solo-Part dabei. Auf dem Korpus-Bass intonierte Andersen äußerst präzise, und mit dem Bogen, bei austarierten Glissandi sowie doppelgriffig bot er höchste Kunstfertigkeit.

Nicht weniger elegant, aber auch zupackend agierten vor dem zuweilen jodelnd jubelten Publikum der Pianist Helge Lien mit feiner Anschlagskultur sowie entschlossener Blockakkordik und Håkon Mjåset Johansen, der saubere Besenarbeit leistete, aber konträr mit den Sticks ordentlich auf die Drums dreschen konnte.

Zu einem Highlight des Haller Konzerts geriet erwartungsgemäß „Blussy“ – ein heftiger und deftiger Blues. Weitere kreativ aufbereitete Titel der Arild Andersen Group sind beispielsweise „Sommernatt ved fjorden“ („Sommernacht am Fjord“) von Ketil Bjørnstad und Stings „Fields of Gold“. Eine Ballade kann viel erzählen – Langeweile stellte sich bei dem meisterlichen Event nie ein.

Gerne schweifte das Ensemble durch alle möglichen Stimmungen, Genres und Stile, ohne dabei das eigene Profil zu verlieren oder in Kitsch abzugleiten. Immer wieder wurde Barockes von Johann Sebastian Bach fugativ und kontrapunktisch herbeizitiert, und auch Sonny Rollins mit dem Calypso „St. Thomas“ ließ sich durchhören. Außerdem kleine Anklänge an George Gershwin, Claude Debussy, Maurice Ravel. Ein wahrlich hervorragendes Jazztime-Ereignis. Nur schade, dass man am Plattenstand im Foyer keine Tonträger mit der fulminanten und stimmigen Kombination Andersen, Neset, Lien und Johansen erwerben konnte.

Info Die nächsten Jazztime-Konzerte in der Hospitalkirche finden am 5. Mai („Berlin21“) und 19. Mai (Vincent Peirani Trio) statt.

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