Willi Johanns ist der lange Zeit verkannte Meister des deutschen Jazz-Gesangs. Beim „20. Treffpunkt Jazz“ im Frankfurter Hof bezeichnet sich der Künstler als „Fossil, das immer noch singt“ und Alexander Gelhausen, selbst Sänger und Dozent der Musikhochschule Mainz, nennt ihn „Melodiegenerator“. Der hagere 83-Jährige wirkt inmitten der drei jungen Begleiter fast zerbrechlich. Doch die Stimme ist nach wie vor kraftvoll und tragend. Wenn er seine geliebten Jazz-Standards vom „Bye, bye Blackbird“ über „Pennies from heaven“ bis zur Ballade „Embrace me“ singt und scatted, dann hechelt „Mister Bebop“ durch die Skalen. Er spuckt seiner Vokalisen aus, zischelt sogar in rasenden Tonfolgen präzise in Time. Fasziniert lauscht das Publikum Ellingtons „Satin Doll“ mit dem anhaltenden Finale. In „All of me“ trifft er sich schnatternd im Duo mit Alexander Gelhausen, und beim „Dirty Blues“ steigt Johanns komödiantisch murmelnd im Sprechgesang sowie in reizvoller Kehlkopfakrobatik in die Höhe weiblicher Stimmlagen oder imitiert Tiergeräusche. Willi Johanns ist ein Virtuose, besticht mit einprägsamen Melodien, einer eleganten, unverwechselbaren und eigenständigen Phrasierung. Dr Sänger zitiert musikalisch sein Credo mit Duke Ellington: „It don´t mean a thing, if it ain´t got that swing“ aus dem Jahr 1931.
An diesem Abend wird der Virtuose von einem ausgezeichneten und einfühlsamen Trio begleitet. Ulf Kleiner am Flügel, Bastian Weinig am Kontrabass und Hendrik Smock am Schlagzeug nutzen den Freiraum für mitreißende Soli. Sie führen den Sänger souverän und sicher zu den musikalischen Höhenflügen, die das Publikum im gut gefüllten Saal zu Beifallsstürmen hinreißt.
Im Interview mit Gelhausen plaudert der Altmeister humorvoll und charmant von seinen Erlebnissen mit den Bigbands von Erwin Lehn und Kurt Edelhagen, von den Tourneen mit den „German Allstars“ nach Südamerika und Asien, von der Begegnung mit dem thailändischen König Bhumibol und dessen Frau Sirikit sowie von seiner Freundschaft mit dem Trompeter Dusko Goykovich, mit dem er 1985 die Band „Bebop City“ gründete. „Die Entwicklung des Jazz ist ein Teil meines Lebens“ gesteht der Sänger. „Scat-Gesang bedeutet, wortlos zu singen, wie Instrumente spielen“, definiert Johanns die Kunst auf die entsprechende Frage Gelhausens. Johanns erinnert sich an das Jahr 1953, als er bei einem Konzert mit Dizzy Gillespie seine Liebe zum Jazz und Jazzgesang entdeckte.
Die Vitalität Gillespies ist heute noch in Johanns´ Scat-Gesang nachzuvollziehen. Der Verrückte, der in seinen Anfangszeiten von Jazzclub-Besitzern rausgeschmissen wurde und Lokalverbot bekam, ist noch immer ein Verrückter, sagt der Scat-Meister von sich. Inzwischen wurde Johanns mehrfach als bester deutscher Jazz-Singer ausgezeichnet. Theo Mackeben und sein Evergreen „Bei Dir war es immer so schön“ haben es dem Jazzer angetan. Das Publikum belohnt den Künstler, der bis zu seine Pensionierung als Grafiker beim Goethe-Institut tätig war, mit frenetischem Applaus.
Dem Treffpunkt-Konzert schloss sich traditionell eine Jam-Session mit Studenten der Musikhochschule an. Die Instrumentalisten und Vokalistinnen dieses Konzertteils bewiesen, dass die Tradition des Jazzgesangs weiterlebt.