Sebastian Sternal im Gespräch mit Klaus Mümpfer, April 2017

Sebastian Sternal - Foto: Klaus Mümpfer

Es war eine klare künstlerische Idee, die Sebastian Sternal dazu brachte, den international gefeierten Bassisten Larry Grenadier von New York nach Köln zu locken. Nach seinen beiden jeweils mit einem „Echo“ ausgezeichneten Großproduktionen unter dem Namen Sternal Symphonic Society wollte der virtuose Pianist, Komponist und Arrangeur mal wieder in einer „klassischen“ Trio-Besetzung spielen. Das prominente transatlantische Trio lebt vor allem von der individuellen Qualität, die Sternals geistreiche Kompositionen ausmacht. Neben den ihnen innewohnenden Spannungsbögen fesseln aber auch das Zusammenspiel und die Dynamik der Band. Ob fließend oder sprunghaft, mit Nuancen oder rhythmischer Verve: die Musik hat Profil. Sternal, Larry Grenadier und der langjährige Partner Jonas Burgwinkel zeigen Charakter, haben hörbar Spaß dabei und erfreuen damit Geist und Seele der Zuhörer.

Jazzpages-Mitarbeiter Klaus Mümpfer befragte Sebastian Sternal zu der neuen Einspielung „Home“:

Frage: Warum die kleine klassische Trio-Besetzung?

STERNAL: Die Trio-Besetzung ist einfach faszinierend, weil die Möglichkeiten fast unbegrenzt sind: Von sensibler Kammermusik mit orchestralen Klangfarben bis hin zu energetischen Grooves, die eine Bigband-ähnliche Energie entfalten können – alles ist möglich! Noch dazu ist die Dreier-Konstellation irgendwie eine perfekte Zahl um flexibel zu interagieren.

Frage: Wieso hast Du dich für Grenadier entscheiden? Wo und wann hast du ihn gehört?

STERNAL: Ich war schon immer ein Fan von ihm, kenne ich natürlich aus dem Trio von Brad Mehldau oder aus der Band „Fly“. Ich habe viele Aufnahmen von ihm gehört und ihn häufig live erlebt. Sein Sound und seine Auffassung von Groove entsprachen genau meinem Ideal für das geplante Album. Also schickte ich ihm die Musik und erklärte, aus welchen Gründen ich ihn für die Produktion gewinnen wollte. Schließlich reiste er extra für die Aufnahmen aus den Staaten an.

Frage: Die vorliegende CD unterscheidet grundlegend von den vorhergehenden Symphonic Society-Aufnahmen. Was ist das künstlerische Anliegen der neuen Einspielung?

STERNAL: Nach den orchestralen, von Spätromantik inspirierten Klangfarben der Society hatte ich ein Album vor Augen, das eine eher rhythmisch-körperliche Haltung zeigt. Obwohl meine Kompositionen speziell für die „Society“ europäischen Linien folgen, stehe ich sehr auf der amerikanischen Jazztradition. Deshalb auch Grenadier: Ich schätze es, dass er nahezu beiläufig eine Blues-Phrase aus dem Handgelenk schütteln kann. Als Amerikaner darf er das natürlich.

Frage: Musstest Du dich stilistisch neu orientieren? Welche Facetten sind anders oder gar neu?

STERNAL: Es geht um Melodien, aber auch um die Energie in der Musik und um Groove und Swing, natürlich mit einer modernen Ästhetik, nicht unbedingt im traditionellen Sinn. Dabei kommen sicherlich ein paar Facetten zum Vorschein, die man von mir bisher nicht oder nur selten gehört hat, auch wenn ich meinen Stil nicht essentiell geändert habe. Kleine Veränderungen waren nicht geplant und haben sich eher unbewusst ergeben.

Frage: Wie viel Zeit nahmen die Aufnahmen in Anspruch?

STERNAL: Vier Tage hatte ich das Studio gebucht. Davon verbrachte die neue Band einen mit Proben. Immerhin kannten sich auch Burgwinkel und Grenadier bis dahin nicht. Doch die Stücke waren schnell im Kasten, so dass noch Zeit blieb, drei Standards einzuspielen. Sie hätten nicht alle auf die CD gepasst, da neue Kompositionen gesetzt waren. Da die Standards aber so gut gelungen sind, wollte ich wenigstens einen auf dem Album verewigen.

Frage: Hast Du die Kompositionen von „I am the ocean“ bis zum „Twin Song“ speziell für diese Einspielung kreiert?

STERNAL: Ich habe zwölf neue Kompositionen geschrieben, die allesamt auf dem Album gelandet sind. Und dazu kommt noch mittendrin das klassische „All Of You“ von Cole Porter.

Frage: Gab es zuerst die Kompositionen oder zunächst die Titel? Mit anderen Worten: sind die Stücke Programm-Musiken? Nehmen wir als Bespiel den Titel „Winter“, der fast kühl wirkt, aber folkloristisch stimmt und durch ein ausgesprochen warmes Bass-Solo auffällt oder die Titel gebende Komposition „Home“ mit ihrem lyrischen Wohlklang und den ostinaten Melodievariationen?

STERNAL: Es lagen auf jeden Fall zuerst die Kompositionen vor. Ich nehme mir viel Zeit, um die passenden Titel zu finden, denn sie sollen für mich subjektiv ausdrücken, was die Musik erzählt.

Frage: Ist die Musik, die manchmal sehr nachdenklich und überlegt wirkt, eher intellektuell oder emotional?

STERNAL: Sie ist zunächst sehr emotional geprägt. Die Stücke weisen zwar eine Struktur auf, aber diese muss hinterher nicht mehr unbedingt zu erkennen sein, sondern kann auch im Hintergrund wirken. Die Musik soll beim Zuhörer Gefühle auslösen – welche genau, das ist natürlich nicht festgelegt und kann bei jeder Person unterschiedlich sein.

Frage: Lebt die Musik tatsächlich von der Individualität der gleichberechtigten Partner und wie weit geht deren Einfluss auf die Kompositionen, die schließlich alle von Dir stammen?

STERNAL: Ich denke ja: Mal übernimmt das Klavier die Führung, mal der Bass, mal das Schlagzeug. Wir führen einfach eine gleichberechtigte Unterhaltung. Ich habe darauf geachtet, dass die Kompositionen viele Freiheiten lassen, um uns Raum zur Improvisation und spontanen Interaktion zu geben.

Redaktioneller Einschub: Larry Grenadier zupft auf dem Bass vielfach harmonisch reizvolle Soli, das Piano trägt den unterschiedlichsten Stimmungen Rechnung und das Schlagzeug stützt meistens solide und dezent im Hintergrund- aber es darf auch hin und wieder führen.

Frage: Ich höre die unterschiedlichsten Formen und Stilistiken. Das Spiel ist mal sprunghaft und sperrig wie bei „Sand“, mal fließend und swingend wie in „Gravity“. Es fallen Harmonievariationen und rhythmische Ostinati auf. Manche Melodien wie das genannte „I am the ocean“ schleichen sich geradezu in die Gehörgänge. Man könnte fast den Eindruck haben, Du wolltest möglichst viele Stimmungen oder Ansprüche bedienen.

STERNAL: Das war nicht geplant, sondern hat sich so ergeben, als Ausdruck meiner musikalischen Identität. Denn ich mag Musik aus ganz unterschiedlichen Ecken. Klangliche Ideen, Grooves, polyphone Strukturen, man hört Elemente aus der klassischen Musik, traditionellem Jazz, Swing, sogar Country-Einflüsse…

Frage: Gibt es Inspirationen aus der Jazzgeschichte?

STERNAL: Auch wenn man das nicht ganz direkt hört: Oscar Petersen!

Die Energie und Lebensfreude, die z.B. in seinem Album „Night Train“ steckt, ist zeitlos und hat mich immer inspiriert. Bestimmte Elemente der Tradition kann man auch in eine heutige Sprache übersetzen, sie so abstrahieren, dass sie weder nostalgisch wirken noch retro. Und das hört man auch auf dem Album „Home“ irgendwie durchscheinen…

Redaktioneller Einschub: Die vorliegende CD ist in Kooperation mit dem Deutschlandfunk in dessen Kölner Studios entstanden.

STERNAL: Jetzt freue ich mich ganz besonders darauf, dass ich während meiner Release-Tour mit beiden Partnern – Larry Grenadier und Jonas Burgwinkel – live spielen kann.

Weitere Infos: www.sebastiansternal.com

CD: Sebastian Sternal: „Home“ (Traumton Records 4646)

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner