Stimmgewaltiger Engel aus Norwegen
Süßer die Kassen nie klingen als zu der Weihnachtszeit… Schon Louis „Satchmo“ Armstrong machte den Santa Claus in New Orleans, von dem Bebop-Revolutionär Charlie Parker existiert auf Tonträger das schnulzige „White Christmas“ samt Streicherplüsch, und sogar auch zeitgenössische Jazzmusiker in Deutschland haben das Christfest swingend vermarktet, beispielsweise die Trompeter Manfred Schoof und Till Brönner. Mit „December Nights“ sorgt momentan die Norwegerin Rebekka Bakken in Jahresendzeitstimmung bundesweit für prall gefüllte Säle – so auch vier Tage vor Heiligabend in der Hospitalkirche Schwäbisch Halls bei einer gemeinsamen Veranstaltung von Kulturbüro und Jazzclub.
Im Duo mit der einheimischen Pianistin Julia Hülsmann wurde die Vokalistin aus dem hohen Norden in der deutschen Jazzszene bekannt. Als eigentliche Jazzsängerin möchte sich Rebekka Bakken nun aber nicht verstanden wissen – sie will vielmehr sehr viele Genres bedienen wie Rock, Blues, Gospel, Country, Folklore und Pop. Mit improvisatorischen Überraschungsmomenten muss nicht gerechnet werden. Freilich fasziniert sie durch ihre ungezwungene Variabilität.
Begonnen hatte der Abend im längst säkularisierten Gotteshaus mit „Last Christmas“, dem vermeintlichen Weihnachtslied. Tatsächlich handelt es sich ja um einen tristen Lovesong der britischen Popband „Wham!“, dessen genaue Zeitangabe der Trennung ja auch „Last Easter“ lauten hätte können und dann sicherlich weniger kommerziell ergiebig geworden wäre.
Solide Unterstützung fand die jubelnde und jodelnde 47-Jährige durch den einfühlsamen Keyboarder Jesper Nordenstrøm, den gewitzten Ola Gustavsson mit halbakustischer Gitarre und traditionellem Korpussaiteninstrument sowie durch Rune Arnesen, der seine Schlaginstrumente gerne mit überdimensionierten Besen und Filzschlägel behutsam traktierte. Bei der eindringlichen Weise „Whole Lot Of Angels“ setzte sich die sowohl verinnerlicht als auch expressiv agierende Sängerin im langen blauen Samtkleid an den stationären Steinway-Flügel, um relativ einfache Akkorde einzutasten, währenddessen Jesper Nordenstrøm seine zweimanualige „Nord C2D Combo Organ“ bediente.
Dann neben programmatisch Winterlichem und Weihnachtlichem noch Eigenkompositionen und aus Norwegen viel Volkstümliches, das Rebekka Bakken mitunter „a capella“ vortrug. „Calling All Angels“ war darunter sowie das inbrünstige „This Year Is Different“, ferner „Little Drop Of Poison“ als salopper Tango von dem New Yorker Tom Waits. Ein richtiger Kracher.
Außerdem verschmähte die Osloerin, die mal etwas in Wien wohnte, nicht einen Winterblues von Ludwig Hirsch (1946 – 2011), und zwar originalgetreu im österreichischen Dialekt: „Bist traurig? A bissl traurig? Du des macht nix. Setz di afoch hin und horch ma zua. Und ganz allein für dich, wirst sehen, zwitschern die Vogerl im Chor. Und der Kater neben dir, wirst sehen, schnurrt dir wieder leise ins Ohr. Horch ma zua. Und der Schnee draußen schmilzt.“ Eine Verehrung an den vielrauchenden Liedermacher, der im Endstadium seines Lungenkrebses Suizid beging.
Zum Finale des offiziellen Programmteils ertönte ebenfalls aus alpenländischer Provenienz „Stille Nacht“ – in englischer Sprachversion, ohne übertriebene Sentimentalitäten. Einen exotischen Touch erhielt der 1818 entstandene Welthit durch die amerikanische Slide-Gitarre des stilsicher einen Cowboy-Hut tragenden Ola Gustavsson. Das Publikum war von Vokalem und Instrumentalem sichtlich gerührt und bedankte sich euphorisch.
Als erste Zugabe erfolgte, hymnisch vorgetragen, Leonard Cohens „Hallelujah“. Mit einem ruhigen Solo-Lied aus ihrer norwegischen Heimat verabschiedete sich die das normale Alt-Register weit überragende Sängerin.
SO GESAGT
„Der Jazzclub hätte zu Weihnachten nichts Besseres tun können, als diese exzellente Künstlerin einzuladen“
Mariola Nowak, Chorsängerin und Solistin, über den Auftritt von Rebekka Bakken in der Hospitalkirche
Text und Fotografie von Hans Kumpf – Kumpfs Kolumnen