Zwei Seelen in seiner Brust bestimmen die Kompositionen und das Spiel des in Frankreich lebende vietnamesische Gitarristen Nguyen Le. Beim Konzert in der Rüsselsheimer Jazzfabrik gewinnt die zum Melodischen neigende und in der Tradition von Wes Montgomery stehende die Oberhand, doch auch die für Jimi Hendrix schwärmenden Gefühle erzwingen sich in der auf einem vietnamesischen Traditional fußenden Komposition „The Black Horse“ Durchbruch.
Da explodiert Le in sirrenden Glissandi, rasenden Akkordreihen und kraftvollen Single-Note-Läufen auf der Gitarre. Der Zusammenklang mit dem expressiven Sopransaxophon des Oregon-Musikers Paul McCandless gebiert exotische Färbungen, Schlagzeuger Patrice Hèral entfaltet seine präzise Time-Arbeit in einem Percussionsgewitter mit vielschichtigen Rhythmusfiguren über einem beständig durchlaufenden Beat. Der Franzose scattet und singt in einer Weise, die man sonst bei indischen Percussionisten erwartet und Bassist René Garcia-Fons zupft und streicht grundierende Linien. Das Stück endet in einem freien, pulsierenden Crescendo mit Gitarrenstakkato, hämmerndem Drums und hinausgerotzten Akkorden auf der Bassklarinette.
Dieser Ausflug in die hart rockende Fusion stand am offiziellen Ende eines Konzertes, das von „Bakida“ mit schwebenden, flächigen Sounds auf der Gitarre, einem warmen, in Obertönen nachklingenden Kontrabass, einer sonor singenden Oboe und sanfter Besenarbeit auf den Fellen den Trommeln eingeleitet wird. Diese melodische Grundstimmung prägt insgesamt das Konzert des Quartetts auf der Hinterbühne des Rüsselsheimer Theaters. „Wingless Flight“ ist zwar vom Tempo her schneller, nichtsdestoweniger aber auch ebenso dem Wohlklang verpflichtet wie das nachfolgende von einer Computereinspielung eröffnete „Rondo“. Das der Oregon-Sound an diesem Abend nahezu allgegenwärtig ist, verwundert nicht.
Paul McCandless ist mit seinen folkloristischen, singenden Saxophonen, der Oboe und der Bassklarinette in den Tutti tonangebend, steigert sich mit dem Sopranino in in einen ekstatischen Ausbruch, den er dann mit der Bassklarinette abfängt. Oftmals verbindet sich McCandless mit Le zu Zwiegesprächen, bei bei manchen Duos gar zu Unisono-Passagen – etwa in „Madal“ – , während der Gitarrist seinerseits in seinen zahlreichen Soli mit Hochgeschwindigkeitsläufen über das gesamte Griffbrett sowie ziselierten Melodielinien diese Oregon-Assoziationen zurückdrängt. In einem seiner seltenen Soli zupft Garcia-Fons den Bass mit überraschenden harmonischen Wendungen in verzierenden Linien. Die Tutti sind zumeist dynamisch gut abgestuft, aber zugleich verdichtet und komplex.
Später stellt der Gitarrist „Foow“ als jene Komposition vor, die dem Quartett den Namen gegeben habe. Allerdings stand „Foow“ ursprünglich für die „Three Trios“ des Gitarristen Nguyen Le und eine CD, die der Musiker im Januar vergangenen Jahres einspielte. Damals waren Musiker wie der deutsche Bassist Dieter Ilg, Marc Johnson und Peter Erskine mit von der Partie. Beim Konzert in der Rüsselsheimer Jazzfabrik spielt unter diesem Namen jetzt ein Quartett vor, in dem Nguyen Le sein Bakida-Trio mit René Garcia-Fons – das Klangfarben aus Spanien und dem Orient zusammenfügte – und das „Walking on Tiger`s Tail“-Quartett mit Paul McCandless kombinierte. Kontrastierend zum vorhergehenden „Black Horse“ leitet Garcia-Fons mit sanftem und leicht „schrägem“ Bogenstrich die Zugabe „No Che Y Luz“, ein kammermusikalisches Kleinod, ein. Die getragene Komposition mit dem saft verschwebenden Ausklang soll den Menschen den der Erde Frieden bringen, sagt Nguyen Le. Das Publikum feiert dieses insgesamt gelungene Experiment frenetisch.