Jazzfestival Saalfelden 2016 – Fotos & Text

Zwischen koreanischem Ausdrucksgesang und Neuem Wiener Lied: der Jazz

Sie haben wenig falsch gemacht, die Macher des 37. Jazzfestivals Saalfelden – außer vielleicht, dass sie vergessen hatten beim Abschlusskonzert die Stühle aus dem großen Saal zu räumen. Steven Bernstein, dem blinden Pianisten Hery Butler und die Hot 9 spielten ein mitreisssendes Konzert, dass die großen Zeiten des swingenden Jazz beschwörte. Musik aus der Zeit als der Jazz noch die Musik für durchgetanzte Nächte und Ekstase war. So blieb es bei einigen wilden Tänzern am Rande und einer Band, die am Ende des Konzerts durch den Saal zog. Musik mit Wurzeln im Ragtime, mit astreinem Stride-Piano, Dixieland und News Orleans? Bei einem internationalem Jazzfestival im Jahr 2016? Gewiss, denn Bernstein und seine Band geben dieser Musik einen zeitgemäßen Schliff, natürlich auch mit Instrumenten, die seinerzeit noch keine Rolle spielten. Es ist der klug verwobene Mix der Stile, die Präzision und Dynamik,  die gelegentliche Funk-Würze und die Raffinesse der am zeitgenössischen Jazz geschulten Musiker, die sicht- und hörbar begeistert Jazzgeschichte zelebrierten.

Ein eleganter Abschluss des Festivals auch deshalb, weil sich in den Tagen davor – wie gewohnt – eine Tour de Force durch den zeitgenössischen Jazz auf den Bühnen des großen Saals im Kongresszentrum und im Nexus abgespielt hatte. Das Saalfeldener Programm bewegt sich immer etwas unterhalb der wirklich abgedrehten Avantgarde und des komplett Freien Jazz. Das klingt trotzdem zumeist mutig und erfrischend wenn alte Recken wie Tim Berne und Marc Ducret im Duo spielen oder das Norwegische Trio mit Kristoffer Alberts am Tenorsaxophon, Rune Nergaard am Bass und der Schlagzeuger Gard Nilssen auf den US-Amerikaner Jamie Saft an der Orgel treffen. Reine Energie, mit Alberts hochdynamischem Saxophon, der gelegentlich an die Intensität eines Aylers erinnerte und Saft der für die satte Grundierung an der Orgel sorgte, die ein Kritiker einmal als „horror-movie organ“ bezeichnete.

Und was wäre Saalfelden ohne die besonderen Ausreißer? Heuer ganz besonders mit dem Trio Chiri. Im Zentrum der koreanische Sänger Bae il Song, begleitet von Simon Barker am Schlagzeug und dem Trompeter Scott Tinkler. Bae il Song singt, brüllt und wispert voller Intensität – geerdet in der Tradition des Pansori, einem südkoreanischem traditionellen Ein-Mann-Theater. Im Original von großen Fasstrommeln begleitet, hier umspielt und erweitert  mit der großen und großartigen Beleitung der freien Jazzer. Das ist reizvoll und schöpft eine poetische Kraft aus den Gegensätzen und unterschiedlichen Kraftfeldern: hier die asiatisch-theatralische Tradition – für europäische Ohren mehr als gewöhnungsbedürftig und hochinteressant zugleich – und dort die beiden regelarm musizierenden Jazzmusiker – im Trio-Zusammenspiel ein Zusammentreffen der einmaligen Art.

Von solchem Exotismus waren die weiteren Konzerte entfernt aber mit individuellen Gipfeltreffen war das Festivalprogramm in diesem Jahr gespickt. Angefangen vom sehr gelungen Eröffnungsprojekt von Lukas Kranzelbinder. Eine ausbalancierte Band mit zwei Bassisten, zwei Schlagzeugern und mit einigen der Besten aus der Jazzwerkstatt Wien besetzt. Ein speziell für das Festival entwickelte Programm mit Kompositionen des Bassisten, der eine geschickt zwischen Komposition und Improvisation austarierte Stunde  präsentierte.

Von jungen Frauen als Bandleaderinnen konnte man als Bandleaderinnen viel erwarten: die portugiesische Trompeterin Susana Santos Silva hielt die Free Jazz Tradition gemeinsam mit der Saxophonistin Lotte Anker hoch und die Cellistin Tomeka Reid ließ sich von Mary Halvorson wenig widerborstig begleiten. Hochklassig beide Bands aber doch auf ihre Art jeweils eher brav und ein wenig mutlos aus ihren Genres auszubrechen.

In diesem Jahr fand auch das Nachholkonzert statt, das wegen Erkrankung des Bassisten Frederick Gallay im Vorjahr entfallen musste: eine eher wuchtige Interpretation von Sun Ra durch Thomas de Pourquerys Band. Für die einen ein in sich geschlossener dynamischer Glanzpunkt des Festivals, für den Sun Ra Liebhaber blieb zuwenig vom sanft rumpelnden Swing des Originals und ein Hauch zu viel Pathetik in der Performance.

Zu den starken Seiten des diesjährigen Festivals gehörten interessanterweise die durchaus in der Jazzgeschichte stark verankerten Bands. Emile Parisien und Joachim Kühn hatten den Altmeister Michel Portal in der Band und spontan Wolfgang Reisinger aus dem Publikum als Ersatzdrummer gefischt, bevor Mario Costa noch verspätet auf die Bühne hechtete. Voller Verve und Raffinesse gespielter zeitgenössischer Jazz bei dem Portal und Kühn dem aufgedreht spielenden Sopransaxophonisten Parisien etwas abgeklärter Paroli boten. „Human Feel“ mit Jim Black am Schlagzeug, Andrew D’Angelo und Chris Speed an den Saxophonen und dem Gitarristen Kurt Rosenwinkel standen schon 1987 gemeinsam auf der Bühne und ihr Mix aus freiem Jazz mit Rockanklängen funktioniert auch noch nach 30 Jahren – der Funke springt über.

Wer nach Saalfelden fährt, der lässt sich das Alm-Konzert nicht entgehen – bei diesem sonnendurchfluteten Festival ganz ohne Ins-Wasser-fall-Gefahr“: Das Kollegium Kalksburg auf der Stöcklalm zum Beispiel. Von weitem klingts nach leicht behäbiger Volksmusik und nach ein paar Takten und dem Einhören ins Wiener Idiom ein Highlight – drei exzellente Musiker und Texte mit dem typischen Flair des neuen Wiener Lieds zwischen intelligenter Komik, Schmäh und morbidem Charme.

| Jazzfestival Saalfelden

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner