Jazz Festival Willisau 2014 – Ein Rückblick mit Fotos

Unprätentiöser als Arno Troxler kann man ein Jazzfestival kaum eröffnen. Ein kurzes “Guten Abend“, die Band vorgestellt – das Duo Kappeler / Zumthor – das war’s. Keine Sponsorenlisten herunter gebetet und kein Wort darüber verloren, dass es sich immerhin um die vierzigste Ausgabe des Jazzfestivals Willisau handelt. Vielleicht ist Arno Troxler schlicht ein geborener Lakoniker, vielleicht hängt es aber auch damit zusammen, dass für ihn die Zahl nicht so wichtig ist. Schließlich findet 2014 das Festival erst zum fünften Mal unter seiner Regie statt, nachdem “Überonkel“ Niklas Troxler 2009 dieses an seinen Neffen überantwortete. Eine legendäre Veranstaltung zu erben, zumal wenn die sich einen großen Namen mit eher freiem Jazz gemacht hat (der zunehmend in der Musiklandschaft an dem Boden verliert, von dem er ohnehin nie allzu viel besaß) ist eine große Aufgabe. In den vergangenen Jahren hat Troxler dem Festival aber seine eigene Handschrift verliehen und für neue Töne geöffnet, weniger freier Jazz und etwas massenkompatiblere Varianten und Ausflüge in Pop, Rock und Electronica.

Vera Kappeler - Foto: Schindelbeck

Also kein Paukenschlag zu Beginn, stattdessen eher eine Art von „Funeral-Drum“. Peter Conradin Zumthor setzt von langen Pausen unterbrochene Schläge auf die große Trommel und diese hallen durch die stille Willisauer Festhalle. Fröhlich ist anders – introvertiert und ein wenig schwermütig wirkt die Musik von Vera Kappeler und Zumthor. Die Pianistin überlässt in weiten Passagen ihrem Schlagzeug und Percussion spielenden Partner den aktiveren Part und beschränkt sich häufig auf zurückhaltende „single notes“, bei einem der Stücke klingt das stark nach dem Thema von „Sometimes I feel like a motherless child“ – und das charakterisiert die Grundstimmung des Auftritts des Duos recht gut. Interessant und hörenswert – nicht ohne Grund ist das Duo beim Label ECM gelandet – aber doch ein arg in sich gekehrter Auftakt für ein Jazzfestival.

Henry Threadgill - Foto: Schindelbeck

Deutlich dynamischer und jazzbezogener wirkte der zweite Act des Mittwochs. Henry Threadgill war mit seinem aktuellen Ensemble „Double-Up“ zu Gast. Das Doppelquartett mit zwei Flügeln spielte großflächig angelegten orchestralen Jazz und Threadgill dirigierte die Jazz Suite vom Bühnenrand, nur selten begab er sich in deren Zentrum um die Band dann mit großzügigen Gesten zu dirigieren. Trotzdem: das Ganze wirkt statisch, allzu viele Freiheiten gab es fürs Ensemble nicht und wenn sich Herr Threadgill als Zuhörer ins Publikum begeben hätte, wäre der Abend mit dem routiniert aufspielendem Ensemble wohl nur unwesentlich anders verlaufen. Nicht übel aber doch eher unerwartet solide Jazz-Hausmannskost mit Bezügen zur Jazzgeschichte, gelegentlich gespickt mit netten solistischen Highlights und kräftigen Tuttis.

Sylvie Courvoisier Trio - Foto: Schindelbeck

Einer der Höhepunkte des Festivals dann schon am zweiten Tag: das Sylvie Courvoisier Trio mit Drew Gress am Bass und Kenny Wollesen am Schlagzeug. Dichte, kompakte und packende Musik – in diesem Trio wirkt die Interaktion so natürlich und selbstverständlich, dass es eine reine Freude ist. Spielfreude, komplexe Strukturen, fest verwurzelt in der Jazzgeschichte und trotzdem so taufrisch wie ein junger Morgen in den Schweizer Bergen, mit Verve gespielt und im Trio als untrennbare Einheit: großartig – Jazz mit Leidenschaft und Seele. Die mitgebrachten CDs des Trios waren nach dem Konzert in Windeseile vergriffen. Zurecht.

Nicht weniger Herzblut brachte tags darauf Brian Blade mit seiner Fellowship Band auf die Bühne. Es ist eine sakral getränkte Musik – John Cowherd verpflanzt die Zuhörer schon einmal mit dem Harmonium solo in eine Kirche der Südstaaten und bringt damit nicht nur seinen Mitspieler Myron Walden zum andächtigen Lauschen. Aus dem Pool von Spiritual und Gospel geschöpfte Musik, voller Inbrunst, und im Zentrum der Band Schlagzeuger Brian Blade – es dürfte kaum einen Drummer geben, der so leidenschaftlich und trotzdem sanft und dezent die Felle bearbeitet. Das Publikum ließ sich begeistert von der Musik gefangen nehmen.

Das Festival in Willisau findet an fünf Tagen statt, von Mittwoch bis Sonntag, und die Konzerte in der großen Festhalle werden von drei Nebenreihen begleitet. Vor dem „Gastro-Zelt“ direkt neben der Festhalle findet nachmittags bzw. am frühen Abend jeweils ein Konzert statt, dass von Folk und Pop angehauchten Kleinformationen über afro-brasilianische Musik reicht, bis zu „FoxABillieBoogie“ des Trios Boogie Fox reicht – nicht die reine Jazzlehre aber v.a. bei schönem Wetter der nette Soundtrack zum „Pony“. Dass die musikalische Qualität dabei nicht auf der Strecke bleiben muss, zeigte vor allem der variantenreiche „Folk-Noir“ von Frank Silence & The Ghost Orchestra.

Fürs junge Volk gab es Freitag und Samstag nach 24 Uhr beim „Late Spot“ die passende Musik mit Hip-Hop (Beatie Bossy) und Rap (Big Zis) – sicher auch ein Chill Out Event für die vielen netten jungen Helferinnen und Helfer des Festivals. Das kam gut an und – ich habe nur bei Beatie Bossy  reingehört – die Power und Energie dort, stünde manchem Jazz-Act ziemlich gut zu Gesicht.

Pocket Swing Orchestra - Foto: Schindelbeck

Die kleinen, spannenden Projekte mit unterschiedlichem Jazz- aber großem experimentellen Anteil konnte man bei den täglichen „Intimities“ von Freitag bis Sonntag erlauschen, einige Meter ausgelagert in der Innenstadt. Das grandiose Pocket Swing Orchestra – ein vielleicht einen Hauch großspuriger Name für das Duo des Posaunisten Michael Flury und des Violinisten Tobias Preisig – spielte nicht nur „Creep“ von Radiohead sondern hatte auch ein Grammophon der größeren Sorte mitgebracht und die Improvisationen zu Original-Schellackplattenaufnahmen, z.B. von King Oliver, waren nicht nur originell sondern auch musikalisch überzeugend.

Letzteres musste man beim Gitarristen Nowka etwas mühsamer erlauschen. Der schlich in einem taubenblauen Anzug auf die Bühne und mit einem Hemd, wie man es vielleicht nur auf einer Schweizer Bühne, bei einer Zigeuner-Hochzeit oder als Helge Schneider tragen kann. An der E-Gitarre spielte er musikalische Miniaturen, manchmal durch sekundenlange Nachdenk-Pausen unterbrochen – die Kurve kriegend – gelegentlich belanglos und dann wieder raffiniert und virtuos – ein leicht skurriler Auftritt, der durch – für Nicht-Einheimische eher schwer verständliche – Ansagen zusätzlich schelmisch bereichert wurde. Beim Schweizer Publikum kam der verschroben-charmante Auftritt gut an.

Die dritte und letzte Runde der „Intimities“ war auch die experimentellste. Das Bass Duo Raphael Ortis und Louis Schild zeigte sich als findige Klang- und Geräuschforscher-Gemeinschaft. Die E-Bässe, meist quer auf den Knien liegend, wurden mit Klangschalen bestückt, mit Becken belegt, die wiederum mit Mini-Drumsticks bearbeitet wurden oder einfach mit Plastikwäscheklammern gepiesakt. Das Ergebnis: ein Melange aus archaischen Geräuschen, intensiven Rhythmuspatterns und gelegentlich sogar ruhigen Bassläufen. Ein unkonventionelles, hirnkitzelndes Musik- und Geräuscherlebnis. Originell auch die Sonderauflage der Leon-CD, extra zum 40-er Jubiläumsfestival produziert: jeder Silberling auf einem Stück Schiefer fixiert. Nicht wirklich praktisch aber „very nice to have“.

Zurück zur Hauptbühne. Von Freitag bis Sonntag wurde dort ein Programm serviert, wie es durchaus typisch ist, unter der Ägide von Arno Troxler und wie es nicht untypisch ist für mittlerweile viele Jazzfestivals: der Mix aus Jazz und Pop. Glücklicherweise in Willisau nicht wirklich problematisch, zeigt sich die Auswahl über den Jazz hinaus doch als eigenwillige, gelegentlich sogar spannende Erweiterung. Mit Berliner Hauptstadt-Jazz der Formation „Chimaira“ des aus der Schweiz zugreisten Zuger Schlagzeugers Alex Huber begann der Freitagabend. Mit John Schröder am Flügel, Philipp Gropper am Sax und Oli Potratz am Bass. Jazz-Authentizität kann man dem Quartett nicht absprechen – das ist zeitgenössicher Jazz: vertrackt, komplex und virtuos. Vergleicht man es mit dem Courvoisier Auftritt vom Vortag, dann scheinen sich hier allerdings doch eher vier Individuen zur Zweckgemeinschaft zu treffen und nicht vier Musiker, die zu einer Gruppe verschmelzen wollen. Das wirkt im Vergleich gelegentlich kühl und kopflastig.

Howe Gelb - Foto: Schindelbeck

Ins Experimentelle wies dann wiederum das Zusammentreffen der Electronica-Noise und Soundtüftelspezialisten von RADIAN mit dem Americana-Sänger Howard Gelb. In der Programmankündigung als „risikofreudige“ Kombination angekündigt, blieb die Kombination zunächst aus, denn RADIAN bestritt den Beginn des Konzerts allein, bevor Gelb sich ins Geschehen warf. Ganz geglückt erschien dieses Experiment letztlich nicht: zu sehr spielten die beiden Parteien ihre jeweils eigene Musik und die Synthese konnte nur stellenweise überzeugen. RADIAN lieferte zwar einen interessanten Soundtrack zu Gelbs Songs aber eher selten verschmolz das zu einem schlüssigen Gesamtwerk. Und so konnte man Howe Gelbs Solopassage, mit dessen eigener lupenreiner Stride-Piano Begleitung, schon fast als gewolltes Absetzen gegen den eher technisch geprägten Ansatz von RADIAN hören. Im gemeinsamen Moon River steigerte sich die Kombination allerdings zu einem furiosen Finale.

Bänz Oester Rainmakers - Foto: Schindelbeck

Das erste Abendkonzert am Samstag bestritten Bänz Oester & The Rainmakers. Diese Band wickelte das Publikum spätestens mit ihrem adaptierten Schweizer Liedgut um den Finger, brachten aber auch sonst eine begeisternde Session auf die Bühne, die in ihren besten Momenten an die „neoklassischen“ Bands wie das Adams-Pullen Quartett erinnerte oder an Abdullah Ibrahim und Pharoah Sanders in ihren besten Zeiten. Afrikanisch geprägter Modern Jazz, mit Verve gespielt und vom Publikum enthusiastisch aufgenommen.

Johanna Borchert - Foto: Schindelbeck

Johanna Borchert, mit ihrer Band „Wayside Wayfairer“, beschloss den Abend poppig. Sicher, Borchert hat nicht nur eine äußerst angenehme und ausdrucksvolle Stimme, schreibt stimmige Songs und kann mit einer hochkarätigen Band überzeugen – aber auch nur leicht puristisch angehauchten Jazzfreunden wird dieser Auftritt doch ein wenig glatt erschienen sein und mit dem gelegentlich etwas ins Bombastische tendierenden Finale einiger der Songs musste man sich anfreunden.

Marc Ribot - Foto: Schindelbeck

Eine Mann, eine Gitarre, eine große Bühne – und dann singt er seine „Protest Songs“. Marc Ribot war am Sonntag-Mittag die Mini-Vorgruppe für Steve Coleman & Five Elements. Den Jazz-Afficionados schenkte er kurze Passagen seines grandiosen Gitarrenspiels, die Freunde skurrilen Humors durften sich beschenkt fühlen, mit abgedrehten Geschichten und Beobachtungen, die vom gesungenen Touristenführer für das Empire State Building über die wenig jugendfreie Beschimpfung von Santa Claus bis zur Storiy über Drogenschmuggler reichte, die als Nonnen verkleidet scheitern. Was er anfasst, macht er gut und so kann Ribot auch als Selfmade Singer-Songwriter überzeugen. Und ja, dann gab es auch noch klassische Protestsongs, wie „Masters of War“ von Bob Dylan.

Der Jazzanteil stieg dann wieder schlagartig mit dem Abschlusskonzert von Steve Coleman und Five Elements. Sein allererstes Konzert in Europa spielte Coleman in Willisau, das verriet er zum Ende seines Konzerts, und dass er mehr Haare auf dem Kopf hatte und keinen Bauch vor sich hertrug. Musikalisch ist er mit seiner Formation Five Elements nicht wirklich gealtert. Nach wie vor spielt diese Formation einen druckvollen und überaus virtuosen Jazz mit funkigen Elementen und einzigartig ist, wie bei aller demonstrierten Routine und Souveränität dieser Musik das Ganze lebendig bleibt, die Funken nicht nur innerhalb der Band sprühen sondern auch auf die Zuhörer überschlagen.

| Jazz Festival Willisau

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