Das Konzert im rheinhessischen Nieder-Olmer Camarahaus beginnt trügerisch zart und verspielt mit einer Improvisation zum Einhören des Publikums.
Doch dann steigern sich Intensität und Tempo, die linke Basshand beginnt mit einer rollenden, nahezu gleichbleibenden rhythmischen Figur, während die rechte Hand die Melodie gegenläufig mit Trillern, Tremoli und Arpeggien verziert. „Herbstabend im Camarahaus“ nennt spontan der 1960 geborene Pianist Thomas Scheytt diese Improvisation. Leicht seitlich verquer und mit geschlossenen Augen sitzt der Künstler konzentriert beim Solo-Konzert der katholischen Kirchengemeinde vor dem Förster-Flügel. Mit schnellem, leichtem Druck der glänzenden Lackschuhe auf dem Pedal des Instruments reguliert er die Tondauer. Der andere Fuß stampft den Takt auf den Saalboden.
Dann geht der Boogie-, Blues-, Ragtime- und Swing-Pianist aus Freiburg zurück zu den Anfängen des Blues und dem 1936 von Albert Clifton Ammons komponierten „Mecca Flat Blues“. Der amerikanische Pianist wurde mit seiner populären „Bluesy Jazzart“ berühmt. Flirrend und flinkfingrig lässt der charmante Künstler heute mit der rechten Hand die Noten aus den Tasten fließen. „Das ist eine der Perlen der frühen Klaviermusik“, meint Scheytt. „Flying fingers boogie“ betitelt der schnauzbärtige Pianist eine der vielen Eigenkompositionen dieses Abends treffend, wechselt die Harmonien und Tonarten, steigert im Drive das Tempo.
Aus dem Süden der USA, aus Texas, stammt der 1906 geborene Hersal Thomas, dessen „Suitecase Blues“ in dem abwechslungsreichen Programm des Mittfünfzigers folgt. Trotz seines frühen Todes beeinflusste Hersal Thomas die Entwicklung des Boogie und Blues stark. Ammons oder Meade Lux Lewis bezeichneten ihn als ihren wichtigsten musikalischen Einfluss.
Der Sohn einer Pfarrersfamilie lernte bereits früh das Orgelspiel, dem Scheytt für seine spätere Laufbahn als Pianist viel abgewinnt. „Out oft he dark“, eine Eigenkomposition, hatte der Pianist von einem dieser Orgelstücke transponiert. „Das war die beste Interpretation dieses Konzertes“, sagt eine Zuhörerin rückblickend. Gerade in den langsamen Blues-Kompositionen zeigt Scheytt eher eine ausgereifte Spielkultur als in schnellen Stücken, mit denen viele Boogie-Musiker glänzen wollen.
Der Hamburger Jazzpianist Hans-Jürgen „Specht“ Bock hatte zum Geburtstag seiner Nichte eine Ragtime-Komposition geschrieben, mit der Thomas Scheytt seine Vielseitigkeit vor dem begeisterten Publikum unter Beweis stellt. Dem Mentor widmet der Pianist die Komposition „Blues für H.“.
Ray Charles machte „Georgia on my mind“ bekannt. Scheytt umspielt die Harmonien tief romantisch und erreicht mühelos das künstlerische Niveau des Vorbildes. „Morning dance“ interpretiere er besonders gern, berichtet der Künstler, der seinem Wohnort in der Freiburger Blumenstraße das Stück „Flower Street Express“ zugedachte.
In der Zugabe lässt Thomas Scheytt nochmals die rollende Basshand gegen die Rechte in den hohen Lagen des Flügels beim „Boogie Woogie Stomp“ ankämpfen, bevor er mit dem Gospel „Put your hand in the hand“ die klatschenden und singenden Zuhörer zufrieden nach Hause schickt.