Bassgitarristin Kinga Głyk: Spaß am virtuosen Jazz

In der fast ausverkauften Haller Hospitalkirche lieferte die 20-jährige Bassgitarristin Kinga Głyk mit ihrem neuen Trio eine fulminante Performance ab

Johlenden Applaus empfing die talentierte Polin bereits bei ihrem ersten Stück des Abends, einem zündenden Blues dominiert von einer knackigen und kraftvollen Bassgitarre. Und fortan kannte die Begeisterung der über 200 Zuhörer keine Grenzen mehr. Das am 29. Januar 1997 in Rydułtowy (Schlesien) geborene und nun in einem Dorf bei Kattowitz/Katowice wohnende Wunderkind entwickelte gegen Ende einer ausgiebigen Deutschlandtournee, die auch Abstecher in die Schweiz und nach Österreich beinhaltete, eine vitale Bühnenpräsenz. Kein bloßes abgekartetes Spiel, sondern eine interaktive Improvisationsfreude. Dazu großartiger Groove, rhythmischer Rock und feuriger Funk, wobei sich nicht nur die „reinen“ Jazzfans älteren Semesters bei der vom Jazzclub und städtischem Kulturbüro gemeinsam verantworteten Veranstaltung angesprochen fühlten. Eine „live“-Werbung für Kingas seitherige drei CDs; ihre neueste (selbstproduzierte) Scheibe, welche übrigens zudem als Vinyl erhältlich ist, erschien unter dem Titel „Dream“ bei dem internationalen Label „Warner Music“.

Auf dem E-Bass praktiziert Kinga Głyk, die bekanntlich als allerwichtigstes Vorbild Jaco Pastorius (1951- 1987) nennt, heutige Standardtechniken wie Flageoletts („fall harmonics“), das Dämpfen mit der rechten Hand („palm muting“) und fingerakrobatische Barrégriffe – gitarristisch leicht hervorgezaubert trotz der dicken Saiten. Harmonische Doppelgriffe geraten bei ihr zur Normalität; ein stur einherschreitender „walking bass“ wäre wohl ja auch zu primitiv…

Voller Stolz betont Kinga Głyk (so wieder in einem vor dem Haller Konzert geführten Interview), dass ihre virtuose Solo-Version des Eric-Clapton-Hits „Tears In Heaven“ bei YouTube schon über 2 Millionen Mal angeklickt worden sei. Auch in Schwäbisch Hall zelebrierte sie diese Ballade als erste der Zugaben, und zwar gewohnt im meditierenden Schneidersitz. Und gleich danach folgte ein Jazz-Standard („All The Things You Are“) und gewitzt das einlullende Brahms’sche Wiegenlied „Guten Abend, gute Nacht“ samt andächtig mitsummendem Publikumschor als allerletzten Finalakt.

Zuvor wurde das Publikum im Parterre und auf der Empore erst recht in Stimmung gebracht, als die agile Bass-Frau zum Mitklatschen auf den Zählzeiten 2 und 4 animierte und es später zum eigenständigen polyphonen Gesang ihrer Basslinien aufgeforderte.

Wie (fast) immer saß Vater Ireniusz alias Irek Głyk am Schlagzeug, begleitete die Tochter aufmerksam, hämmerte schweißtreibende Soli und zeigte sich dennoch als subtiler Perkussionist samt „talking drums“. Ihre Pianisten freilich wechselt die junge Saitenkünstlerin, die sich bei öffentlichen Auftritten noch nicht an die bundlose Bassgitarre („fretless bass“) oder an den korpulenten Kontrabass heranwagt, ziemlich oft. Aktuell präsentierte sie Rafał Stępień, der im Opel-Bandbus vier eigene Keyboards (darunter eine leicht transportierbare „Hammond XK-3c“-Orgel und einen „DeepMind 12“-Synthesizer) mitführte. Aber sehr häufig drückte er elegant und stilistisch variabel die Tasten des vorhandenen Steinway-Flügels, wobei der Meister aus dem Chopin-Land impressionistische Romantizismen und altswingendes Stride-Piano nicht aussparte. Ein fabelhafter Musiker, ein Glücksfall für Kinga Głyk.

Eine Generation ältere (männliche) Instrumentalkollegen bewundern unverhohlen die arrivierte Newcomerin aus dem Osten: Ihre Musik habe „Hand und Fuß“ hört man da, außerdem gefalle der „Groove und der klare, definierte Basssound“ (Thomas Rotter, der eine fünfsaitige Bassgitarre bedient). Außerdem wurde Kinga Głyk von dem in Freiburg lehrenden Professor German Klaiber als „eine seriöse, reife und talentierte Bassistin und nicht nur als einen kurzlebigen Hingucker“ eingestuft. Ihr lange schon in Deutschland arbeitender Landsmann Vitold Rek meinte: „Kinga ist eine hochtalentierte Bassistin, keine Frage. Sie braucht noch etwas Zeit, ihre eigene Musik-Ecke zu entdecken“.

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Text und Fotografie von Hans KumpfKumpfs Kolumnen

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