Akut – Festival für zeitgenössische Musik 1998

Zum zehnten Mal fand vom 6.-7.2.98 das Internationale Festival für Zeitgenössische Musik in Mainz statt. Beeindruckend, die Liste der Musiker die sich hier über die Jahre ihr Stelldichein gegeben haben und über die Jahre ein erfreulich hochklassiges Programm garantierten.

Peter Hollinger - Photo: Frank Schindelbeck

Mit einer Reminiszenz an das erste Festival 1987 begann der Freitagabend. Peter Hollinger entpackte nach 10 Jahren wieder seinen Koffer. „Peter Hollinger’s Koffersuite Revisited“: Auf der Bühne ausgebreitet seine Klangutensilien, ein Sammelsurium von alten Autonummerschildern, Stahl und Eisenwaren, allerlei Küchenutensilien, elektrischem Kinderspielzeug – eine Plastiklokomotive, ein Roboter. Ein kurzer Moment der Konzentration und das Material wird traktiert. Virtuos und dynamisch – schlagfertig im wahrsten Sinne des Wortes spielt Hollinger mit jeglichem Material. Das wirkt oft ausgesprochen witzig, wenn er zum Beispiel einen Joghurtbecher perkussiv-akustisch auslotet und da alle möglichen Varianten herauskitzelt bis hin zum abschließenden Zusammenknüllen. Einem Musiker wie Hollinger werden die Instrumente jedenfalls nie ausgehen…

Das Publikum war begeistert, ein erfrischender Auftakt für eine lange Nacht.

Tim Berne - Photo: Frank Schindelbeck

Es folgte der „jazzige“ Teil des Abends. Mit Tim Berne’s Bloodcount wurde eine eingespielte Formation verpflichtet. Eher blutarm präsentierte sich diesmal allerdings die Musik der Gruppe. Klar, Tim Berne ist ein ausgezeichneter Saxophonist, das hat er in seiner eigenen und auch in anderen Besetzungen oft genug bewiesen. An diesem Abend wirken allerdings alle Mitwirkenden etwas uninspiriert. Hört man den saft- und kraftlosen Chris Speed am Tenorsax so fragt man sich was ein Matthias Schubert wohl im Zusammenspiel mit Berne aus dieser Gruppe herausgeholt hätte. Kompositionen und Improvisationen fehlt das Griffige, zu einem guten Teil spielen Berne und Speed vom Blatt und das wirkt an einigen Stellen als ob sie sich mit etwas Mühe durch eine zähe Partitur quälen. Folgerichtig beschränken sich die besseren Momente auf die freieren Passagen wenn die Musiker aus dem „Bauch heraus“ miteinander agieren – in diesen Passagen springt der Funke auch auf das Publikum über.

Für Langeweile bietet die Musik von Alfred Harth’s Imperial Hoot keinen Raum. Der manische Multiinstrumentalist spielt sich von der Posaune über verschiedene Reeds bis zur Piccolo-Trompete. Beat der Rhythmusgruppe. Die besteht Daemgen, der aus seinem elektronischen Wunderkasten eigene Melodielinien zaubert. Sie bilden den soliden Gegenpart zu den freien Harths und Christoph Korns an der Gitarre. Imperial Hoot bedienen sich hemmungslos aus den und bauen aus den Sprunghaft auch die Musik: Kurze freie Melodiekürzel über dem satten neben Günter Bozem an den drums aus Marcel Basspatterns, Samples und Ausflügen verschiedensten Bereichen der modernen Musik, schütteln alles einmal kräftig durch Teilchen ihre frischgemixten eigenen Klangcollagen.

Den offiziellen Abschluß des Abends bestritten „Ferdinand et des Diplomates“ aus Frankreich. Ferdinand Richard, Bassist und Sänger hatte mit Gilles Campaux an den drums und Hassen „DJ Rebel“ an den Turntables zwei fähige Mitmusiker um sich. Der Leader am sechssaitigen Baß sorgte selbst für den knackig-dynamischen Drive der rockorientierten Gruppe. Den launigen Ansagen nach handelte es sich bei den Songs um skurrile Geschichten die dem des Französischen nicht mächtigen Teil des Publikums jedoch Geheimnis blieben. Hassen „DJ Rebel“ erwies sich als fingerfertiger und präziser „Scratcher“, der witzige und einfallsreiche Einlagen beisteuerte.

Einen kleinen Leckerbissen gab es im Anschluß an das offizielle Programm. Als „Geburtstagsgeschenk“ zum 10. Akutfestival taten sich Alfred Harth, Peter Hollinger und Ferdinand Richard wieder einmal zur Formation „Gestalt et Jive“ zusammen. Das trotz vorgerückter Stunde noch zahlreich verbliebene Publikum nahm es mit Freude auf und bekam einige Minuten frei improvisierter Musik gratis serviert.

Der 2. Tag

Caspar und Peter Brötzmann - Photo: Schindelbeck

Brötzmann als klassischer Vertreter des Free Jazz hat an der Grundstruktur seiner Musik in den letzten Jahren kaum etwas geändert. Einfach ist diese Kost nicht. Wo am Vorabend Alfred Harth den Zuhörern über konventionelle Rhythmen und Bass noch einen gewissen Halt gegeben hatte ist mit dem Brötzmann-Konzert komplette Freiheit angesagt. Echter Free Jazz nach wie vor, bewundernswert die Konsequenz mit der Brötzmann dieses Konzept über die Jahre durchhält. Mit seinem Sohn Caspar, bekannt geworden mit seiner Formation „Massaker“, versteht sich Brötzmann ausgezeichnet. Caspar Brötzmann bietet auf der Gitarre klangstarke, düstere Soundcluster über denen sich Vater Brötzmann an Klarinette und Saxophonen austoben kann. Natürlich lassen sich die beiden nicht die Gelegenheit entgehen wilde Duo-Duelle auszufechten. Nur selten werden die expressiven Klanggewitter von kurzen Solosequenzen Peter Brötzmanns unterbrochen, nicht mehr als ein kurzes Atemholen vor den nächsten Klangattacken. Konsequent und mit Radikalität werden keinerlei Konzessionen an Zeitgeschmack oder eingefahrene Hörgewohnheiten des Publikums gemacht. Trotzdem oder gerade deswegen war der Zuspruch des Mainzer Publikums ausgesprochen freundlich und der Zeitplan des zweiten Abends ließ sogar eine Zugabe zu. Vielleicht ist Brötzmann inzwischen schlicht zum Markenbegriff der Jazzgeschichte geworden, sodaß weniger die Musik als der Name Brötzmann so begeistert beklatscht wird. Es wäre jedenfalls sehr interessant zu wissen wieviele Menschen aus dem Publikum jemals freiwillig auf dem heimischen Plattenteller eine Brötzmann Schallplatte drehen lassen…(nicht, daß sie es nicht tun sollten ;-)

Carlos Atcits Dato - Photo: Schindelbeck

Mit dem Carlos Actis Dato Quartet wurde wohl bewußt ein starker Kontrast zur vorhergehenden Formation an die zweite Stelle des Programms gesetzt. Gewitzt und virtuos machen sich die vier Musiker über die verschiedensten Genres her und basteln sich aus den Versatzstücken ihre eigene sprudelnde Mischung. Die besteht dann aus Jazz, italienischer Folklore, filmmusikartigen Elementen und einer Reihe lateinamerikanischer Rhythmen. Viel gelernt haben sie offensichtlich vom Breuker Kollektief: die Mitspieler werfen sich munter Gegenstände zu während der Bassist sein Solo zupft, Actis Dado nimmt Stück für Stück sein Saxophon auseinander bis er schließlich nur noch auf dem Mundstück vor sich hin quäkt, eine ganze Menge Klamauk, die Bühnenshow machte dem Publikum Laune. Besonders mit der Zugabe – in der Sie eine simple Melodie in einer Tour de Force durch die verschiedensten Stilarten mangelten, von Rhumba bis Walzer, von Dixie bis Free Jazz, fanden sie heftigen Beifall.

Die Spaceheads aus GB repräsentierten zum Abschluß des Festivals mit Drum ’n‘ Bass eine der angesagten aktuellen Strömungen der „zeitgenössischen Musik“. „Tanzbare Drum ’n‘ Bass Experimente“ waren versprochen und das konnten Andy Diagram (tp, loops) und Richard Harrison (dr, perc) auch einlösen. Unverzichtbar ist auch hier das elektronische Handwerkszeug. Diagram kreiert erst mit Samples, Loops, Hall- und anderen Effekten aus kurzen Trompetenpatterns neue Klangstrukturen. Die enorme rhythmische Intensität wird damit nicht nur durch die drums sondern gerade auch durch die dichte repetitive Struktur der Samples geprägt. Technische Fertigkeiten an der Trompete sind weniger erforderlich als vielmehr im Umgang mit dem elektronischen Handwerkszeug. Das gelingt über weite Strecken des Auftritts recht gut, wirkt aber an manchen Stellen durchaus etwas banal. Jedenfalls ein weiteres Beispiel dafür wie der Einsatz von Musik-EDV immer mehr an Terrain gewinnt.

Die zwei Abende Akut-Festival 1998 reihen sich nahtlos in das hochklassige Programm der Vorjahre ein. Was will man sich mehr wünschen als spannende und kontroverse Musik? Das zahlreich erschienene Publikum war`s jedenfalls zufrieden. Trotzdem ist es für die Veranstalter von Jahr zu Jahr ein Spiel am finanziellen Abgrund. Wenn der Ansager bemerkt, daß die Zuschüsse der Stadt von vierzehn auf zehntausend DM gekürzt wurden staunt man nur, daß eine schon so geringe Summe noch einmal reduziert werden soll. Der Bitte diese Entscheidung zurückzunehmen kann man sich angesichts der hervorragenden Arbeit der Veranstalter nur anschließen.

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