Die Schlagzeugerin Katharina Ernst hat bei ihrem Solo-Auftritt ein schönes Bild für die Situation des diesjährigen Festivals geschaffen. Nachdem sie aus einer langen Stoffhülle zwei Schlägel mit meterlangen Schäften entnommen hatte, bespielte sie damit zwei Trommeln, die links und rechts von ihr aufgebaut waren. Eine knifflige Angelegenheit zwischen Ausbalancieren, Koordinieren, Improvisieren und „Nicht-aus-der-rhythmischen-Balance-geraten“. Die Wiener Schlagzeugerin, zudem studierte bildende Künstlerin, hätte schon im vergangenen Jahr als „Artist in Residence“ auftreten sollen, nun wird sie es im kommenden Jahr werden. Mit ihrem kurzen, konzentrierten und rituell aufgeladenen Auftritt weckte sie nicht nur Vorfreude auf das nächstjährige Festival sondern präsentierte in einem selbstentworfenem künstlerischen Raum auch ihre aktuelle CD. Die wird begleitet von einer außergewöhnlichen LP-Ausgabe: nur zehn Exemplare wurden auf clear vinyl geschnitten und jeweils mit einer individuellen handgefertigten Hülle gestaltet.
Das 41. Jazzfestival Saalfelden war auch ein Balanceakt für das Festivalteam um Kurator Mario Steidl und Produktionsleiterin Daniela Neumayer: Planung zwischen Corona- und Postcorona-Event, mit alternativen Plänen bis zeitlich nah ins Vorfeld der Veranstaltung und letztlich mit allem behördlich vorgegebenem Schnickschnack coronakonform umgesetzt. Sie haben es gestemmt, es hat funktioniert, auch dank der vielen Freiluftspielstätten vom Wald, über Alm bis hin zum Stadtgarten – und wenn im kommenden Jahr die FFP2-Masken in den Innenräumen verschwunden sind, dann sind wir alle zurück im wahren Jazzleben.
Im Programm war von den noch schwierigen Rahmenbedingungen wenig zu bemerken, und wenn, dann wurde diese eher zum Vorteil gewendet: einige Künstlerinnen und Künstler waren in vielen exzellentes Formationen zu hören. Es war ein kleines Lillinger-Festival: der deutsche Drummer präsentierte in seinen vielgepriesenen Formationen Dell / Lillinger / Westergaard und mit Punkt.Vrt.Plastik, mit Petter Eldh am Bass und Kaja Draksler am Piano. Mit das Kreativste, was der europäische Jazz derzeit zu bieten hat, und er spielte seine rockigere Seite mit Kuu! aus, der Band um die charismatische Sängerin Jelena Kuljić. Der österreichische Schlagzeugerkollege Lukas König war ebenfalls in verschiedensten Formationen zu hören, unter anderem in der neuesten Spielstätte – der vom Publikum sofort „adoptierten“ Otto Gruber Halle – mit Shahzad Ismaily und Moor Mother. Die schwarze Spoken Word Poetin und der hochdynamische Schlagzeuger: Moor Mothers zornige bis aufrüttelnde Textwürfe ins Publikum – „No more fear!“ unterlegt von der harten, treibenden Schlagzeugpower Königs, ein Dreamteam, das noch einmal in der Formation „Irreversible Entanglements“ zu hören war, weil deren regulärer Drummer Tcheser Holmes verhindert war.
In diesem Fall war die größere Formation eine tatsächliche Bereicherung. Das ekstatische Saxophon von Keir Neuringer und Aquiles Navarro an der Trompete erhöhten die Eindringlichkeit der Band, angefeuert von Luke Stewart am Bass. Der politische Jazz in Saalfelden. Afrofuturismus der sich seinen Pfad in den Freejazz-Dschungel schlägt.
Bei manchen Projekten auf der Hauptbühne ging es dem Schreiber dieser Zeilen umgekehrt: die kleineren Formationen in den Shortcuts waren die spannenderen, zumindest die lebhafteren – zu hören beispielsweise im fantastischen Duozusammenspiel von Angelika Niescier und Alexander Hawkins. Oder auch in den zahlreichen „kleinen Projekten“ des diesjährigen „Artist in Residence“, Christian Reiner. Der in Wien lebende Sprachkünstler erzauberte im musikalischen Umfeld in der Buchbinderei Fuchs, im Kollingwald und im Kunsthaus Nexus spontan improvisierte Texte, Sprachspielereien, dadaistische Sprachsprengsel in den Hörraum – immer verwoben durch ein fantastisches Rhythmusgefühl mit seinen musikalischen Kolleginnen und Kollegen.
Apropos: „Kolleginnen“ – die prägten große Teile des Festivals. Wie die Pianistin Kaja Draksler. Sie trat auch mit ihrem Octet auf der Hauptbühne auf und die Umsetzung ihrer Kompositionen war beeindruckend. Außerordentlich variabel sich steigernd mit einer Melange aus dahergekratztem Violinsolo, dem klangprägendem Gesang der beiden Sängerinnen Laura Polence und Fuensanta Méndezbis zu einem swingend-hymnischen Finale. Die beiden Pianistinnen Sylvie Courvoisier und Kris Davis taten sich zu einem fulminanten Duo zusammen, zurecht vom Publikum gefeiert.
Das Jazzfestival Saalfelden 2021 war nicht zuletzt ein Festival der Kommunikation. Gefördert durch das Konzept der vielen Spielstätten: alles ist im Fluss, alles ist in Bewegung, die Dynamik übertrug sich aufs gesamte Festival. Das ist kommunikationsfördernd auf verschiedensten Ebenen und trug ganz wesentlich zur heiteren Grundstimmung der Veranstaltung bei. Und das gute Wetter…
Die erkennbare Tendenz „weg von den großen Acts auf der Hauptbühne“ bleibt für die kommenden Festivals ebenfalls eine Frage des Ausbalancierens. Ob das konzentrierte Hören auf dem festen Sitzplatz ein Auslaufmodell ist oder erst recht als Ergänzung zu den kürzeren dynamischen Acts im kleineren Rahmen bestehen bleiben muss? Jedenfalls ist die Konkurrenz groß. Das zeigte nicht nur der große Zuspruch im Stadtpark sondern auch die gutbesuchten Nexus+ Konzerte. Im Souterrain des Veranstaltungshauses – früher gab es hier während des Festivals oft Kunstausstellungen, Oasen der Ruhe im Festivaltrubel – fanden in diesem Jahr neben dem erwähnten Konzert von Katharina Ernst zwei besondere Veranstaltungen statt, die den weißen Raum optimal für Großprojektionen nutzten. Pianist Clemens Wenger präsentierte seine „Physics of Beauty“ mit animierter Schwarzweißgrafik, und Maja Osojnik – alias Rdeča Raketa – nutzte ebenfalls den weißen Raum für eine aberwitzige optische Visualisierung ihrer elektronischen Musik. Saalfelden 2021 war in schwierigen Zeiten ein Erfolg, man darf man sich auf die kommende Ausgabe freuen – ohne virale Beschränkungen und mit den neusten Ideen der Veranstalter. Es wird ein weiteres Fest.
Fotos Jazzfestival Saalfelden / Urheberrecht: Frank Schindelbeck Jazzfotografie
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