Lotte Anker leitete ein spannungsreiches Konzert
Früher, zu Zeiten von Jazzpapst Joachim Ernst Berendt, war das obligatorische Jazzkonzert bei den Neutönern in Donaueschingen stets ausverkauft. Da gab es auch zugkräftige Namen wie Archie Shepp, McCoy Tyner und Don Cherry. Jetzt stand eine doch ziemlich unbekannte Saxophonistin im Mittelpunkt der Veranstaltung in der Sporthalle der Gewerblichen Schulen: Lotte Anker, Geburtsjahrgang 1958. Aber der Popularitätsgrad sagt ja schließlich nichts über die musikalische Güte aus.
Zunächst präsentierte bei der spannungsreichen SWR2 NOWJazz Session, welche von Julia Neupert organisiert wurde, die Dänin ihr akustisches Trio mit der in Äthiopien geborenen, in Vietnam aufgewachsenen und nun in Schweden lebenden Vokalistin Sofia Jernberg sowie dem Stockholmer Sten Sandell (Piano, Stimme).
Bei der kollektiven Improvisation von einer knappen Stunde Länge kamen keine wilden Sturm- und Drang-Eskapaden auf, sondern meist fein nuancierte Sounds. Oft hell und dann auch verquetscht die Aktionen der auch als Komponistin tätigen schwarzen Sängerin, die Jodeltechniken nicht verschmähte. Zudem orientierte sich Sofia Jernberg an die tuvanische Vokalakrobatin Sainkho Namtchalak. Indes traktierte Pianist Sendell gerne das Holz des edlen Steinway-Flügels perkussiv und setzte noch vereinzelte Sprachfetzen. Er erinnerte insgesamt eher an John Kilburg vom britischen AMM-Improvisationsensemble sowie an Cage und Lachenmann als an Cecil Taylor.
Entsprechend filigran. luftig-leise und gerne multiphonisch auch das Gebläse von Lotte Anker zunächst auf dem Sopransaxophon. Kratzende, krächzende Geräusche. Insgesamt Intensität in leisen Lautstärkegraden, eine interaktive Vorgehensweise, die stark von der Ästhetik der Neuen Musik geprägt ist, aber vielfach vitaler praktiziert wird – freilich mit mehr vorausahnbaren Entwicklungen anstatt mit schroffen Kontrasten und Brüchen.
Nach der Pause wurde die skandinavische Dreieinigkeit elektronisch erweitert mit Hilfe von Thomas Lehn und Ikue Mori, die bereits früher bei Jazzabenden in der Fürstenberg-Metropole aufgetreten waren. Das nun internationale Sextett wurde vervollständigt durch den gerne zum Streicherbogen und zu den Stimmbändern greifenden Perkussionisten Michael Vorfeld. Was die stoisch ruhig dasitzende Japanerin auf ihrem Apple-Notebook genau fabrizierte, blieb oft geheimnisvoll. Optisch ergiebiger agierte dagegen Thomas Lehn an seinem analogen Synthesizergerät.
Wie bei etlichen Uraufführungswerken den diesjährigen Donaueschinger Musiktagen gingen „natürliche“ akustische Instrumente und elektronisch erzeugte oder verfremdete Klänge eine Symbiose ein und standen nicht mehr wie einst im Widerspruch. Neue Hörerfahrungen und unorthodoxe Vorgehensweisen allenthalben, auch am Schluss der interessanten Session, als Lotte Anker ihr Tenorsax zum Streichinstrument umfunktionierte.