Fotografie und Interview: Klaus Mümpfer
Interview mit Reimer von Essen
geführt von Klaus Mümpfer
1953 war das Geburtsjahr der Barrelhouse Jazzband. In den seither vergangenen sechs Jahrzehnten hat die auf nationaler und internationaler Ebene bekannte Formation in ungezählten erfolgreichen Konzerten die ihr gebührende Anerkennung und Beachtung gefunden. Sie zählt schon lange zu den Top-Gruppen der europäischen Jazzszene. Die Barrelhouse Jazzband präsentiert einen besonderen musikalischen Ausschnitt mit den Elementen aus allen Phasen der traditionellen „schwarzen Musik“ mit dem hervorgehobenen Augenmerk auf die Musizierweise der frühen Bigbands aus den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, der kleineren Formationen aus den dreißiger Jahren sowie der New Orleans Renaissance. Alle Kompositionen werden in neu gefassten Original-Arrangements der legendären Meister des frühen Jazz gespielt. Darüber hinaus präsentiert die Barrelhouse Jazzband stilgerecht Kompositionen aus den Federn der eigenen Bandmitglieder.
Die Musiker begeisterten die Jazzfans in aller Welt bei Tourneen durch mehr als 50 Länder auf vier Kontinenten. Sie spielten bei allen wichtigen Jazzfestivals in Europa, so in The Hague, Breda, Nizza, Paris, San Sebastian, Ascona, Zürich, Luzern, Krakau, Cork, Birmingham, Kopenhagen, Oslo, Berlin und vielen andern Städten. Im Jahre 1968 spielte die Barrelhouse Jazzband beim New Orleans Jazz Festival, wo sie als die erste Band aus Europa in Anerkennung ihrer Verdienste mit der Ehrenbürgerschaft der Stadt ausgezeichnet wurde.
Die Band, die seit 1991 hauptberuflich konzertiert, hat mehr als 30 Alben, CDs und DVDs aufgenommen. Sie errang neben anderen Auszeichnungen den „German Phono Academy Award“ für die beste traditionelle Aufnahme des Jahres. Begründung: „Hoch intelligenter traditioneller Jazz, voller Vitalität, mitreißender Musik und stets mit diesem wundervollen schwarzen Feeling“. Eubie Blake, berühmter Ragtime Pianist und Komponist, hörte die Band und kommentierte: „Everything that I write, I mean from the bottom of my heart: This is one of the best for a small orchestra, that I ever heard. And I am hearing bands since 1902.“
Fast zeitgleich mit dem sechzigjährigen Bestehen der Barrelhouse Jazzband feiert ihr Klarinettist und Altsaxophonist Reimer von Essen ein weiteres Jubiläum. Er leitet die Formation seit nunmehr 50 Jahren. Jazzpages-Kolumnist und Jazz Podium-Mitarbeiter Klaus Mümpfer, der seit Jahrzehnten die Musiker journalistisch begleitet, sprach mit ihm über die Geschichte und Besonderheiten der Barrelhouse Jazzband.
KM: Die Barrelhouse Jazzband ist 60 Jahre alt geworden. Welche Personen und welche Ereignisse markieren die Gründung dieser Formation?
Von Essen: Da war auf der einen Seite Horst Lippmann,der Impressario, Musiker und intimer Kenner des Jazz, der mit Vorträgen und Schallplatten – zum Beispiel von King Oliver – die Freunde des traditionellen Jazz anlockte. Auf der anderen Seite war es der Kornettist Horst Dubuque, der andere Gleichgesinnte um sich versammelte und damit 1953 den Grundstock der Barrelhouse Jazzband legte.
KM: In der Anfangszeit waren Musiker der Barrelhouse Jazzband mit der Hamburger Jazzszene verflochten. Was waren die Hintergründe für dafür?
Von Essen: Da kann man nicht mehr von der Anfangszeit sprechen. Wir hatten bereits einen ersten Preis beim hessischen Rundfunk gewonnen und unsere Auftritte beim Amateur Jazzfestival in Düsseldorf absolviert. Meine Familie kommt ja aus Norddeutschland und ich habe meine Urlaube regelmäßig in Plön verbracht. Dort traf ich um 1960 Jazz-Enthusiasten aus Hamburg, die mir eine Begegnung mit dem Kornettisten Abbi Hübner vermittelten. Der Zufall wollte es, dass in seinen „Jailhouse Jazzmen“ an einem Abend ein Klarinettist fehlte und so konnte ich bei ihm einsteigen. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft, die später die gesamte Barrelhouse Jazzband einschloss.
KM: Was gab den Ausschlag dafür, sich schließlich doch in der Main-Metropole Frankfurt niederzulassen?
Von Essen: Das war eher aus der Geographie geboren. Die meisten Musiker kamen aus Frankfurt und Offenbach, so dass sich die Mainmetropole zwangsläufig als Heimatort der Band anbot.
KM: In 60 Jahren hat die Band mehrere Kontinente und zahlreiche Länder besucht. Könntest Du einige aufzählen und mir Höhepunkte aus dieser Zeit nennen?
Von Essen: Einer der Höhepunkte war sicher die Tournee durch die Südstaaten Amerikas mit einem Besuch in New Orleans und der Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Stadt an die Band und ihre damalige Mitglieder. Ein anderes Highlight war zweifelsohne 1971 eine sechswöchige Tournee durch Afrika mit Auftritten in insgesamt 19 Ländern. Faszinierend war die Begeisterung der einheimischen Musiker und ihr Engagement in den Konzerten der Barrelhouse Jazzband.1977 hatte uns das Goethe Institut erneut ausgewählt. Dieses Mal für eine Tournee in den fernen Osten – von Karachi bis Hongkong. In Indien traf ich einen Enthusiasten, der mich nach dem Konzert zum Abendessen zu sich nach Hause einlud, weil er in meinem Spiel Einflüsse von Mezz Mezzrow gehört habe. Man höre und staune: ein Kenner dieser Jazz-Legende in Indien! Mezzrow war auch in unserer Heimat der erste Stargast der Barrelhouse Jazzband – ein weiterer Höhepunkt unter vielen.
KM: Gab es in dieser Zeit auch Phasen des Stillstands oder gar Rückschläge? Wie hat die Band beispielsweise den Tod des Pianisten Agi Huppertsberg, des Banjo-Spielers Jim Lawyer oder des Schlagzeugers Georg Klauer verarbeitet?
Von Essen: Der erste richtige Rückschlag war die Trennung der Band von Horst Dubuque. Nach der Afrika-Tournee wollten die meisten Musiker der Barrelhouse professionell weitermachen, während Dubuque auf dem Amateur-Status bestand. Es war das einzige Mal, dass wir ein richtiges dickes Loch bewältigen und Konzerte absagen mussten. Zu unserem Glück – oder war es die Gnade Gottes? – hatte Horst Schwarz gerade seine eigene Band aufgelöst und erklärte sich bereit, als Trompeter bei uns einzusteigen. Nach dem Tod von Huppertsberg, Lawyer und Klauer standen dagegen schon mögliche Nachfolger zur Verfügung.
KM: Wenn eine Band 60 Jahre in ihrer Grundsubstanz übersteht, dann muss es etwas geben, das ihr dieses ermöglichte. Wie also würdest Du dieses Besondere der Barrelhouse Jazzband beschreiben?
Von Essen: Es ist, glaube ich, die Begeisterung für diese ursprüngliche Musik, deren Tongebung und Musizierweise wir übernommen und verinnerlicht haben. Das hört man einfach und das überträgt sich auch auf das Publikum. Wir haben die Tongebung in der Anfangszeit beim Hören der Originalaufnahmen gelernt. Beim Thema Tongebung fällt mir eine persönliche Anekdote ein: In meiner Ausbildung zum Musikpädagogen hatte ich einen Klarinettenlehrer, dem die jazzige Tonbildung ganz und gar nicht gefiel. Dies führte dazu, dass ich während der ganzen Zeit Fagott spielte, um nicht als „schlechter Klarinettist“ rauszufliegen.
KM: Haben bekannte Musiker aus den Staaten, die Sie zu den Galas einluden, die Musik der Barrelhouse-Jazzband befruchtet?
Von Essen: Am Anfang, als noch Musiker wie Harry Edison und Gene Connors mit uns auftraten, haben wir viel gelernt. Später nur noch, indem wir kompetenter geworden sind in der Begleitung unserer Gäste. Aber lehrreich ist es immer!
KM: Wie groß ist die stilistische Bandbreite der Barrelhouse Jazzband?
Von Essen: Es gab ein Jahr, in dem wir eine CD mit King-Oliver-Kompositionen einspielten und gleichzeitig an einem Count-Basie-Medley arbeiteten. Schließlich ergab sich eine Bandbreite von Oliver über Basie bis Duke Ellington, wobei es sich um Ellington-Kompositionen aus dessen früher Schaffensperiode handelt. Unsere Begeisterung gilt dem gesamten traditionellen schwarzen Jazz.
KM: Ist es schwierig sich in die Kompositionen berühmter Musiker aus der Anfangszeit des Jazz hineinzuversetzen? Immerhin haben Mitglieder der Barrelhouse Jazzband im Stile dieser Musiker selbst komponiert.
Von Essen: Das Schwierige ist, dass diese Legenden für andere Besetzungen komponiert haben. Doch gerade das ist der besondere Reiz für uns. Ich selbst habe die Komposition „Orion-Rag“ im Stile von Jelly Roll Morton geschrieben. Weil ich ihn intensiv studierte, bin ich der Überzeugung, ihn sehr gut getroffen zu haben. Ich arbeite in dieser Beziehung etwas akademisch, während Horst Schwarz die Ideen geradezu zufliegen.
KM: Was hat dich bewogen, die Leitung der Barrelhouse Jazzband zu übernehmen und dies mehr als 50 Jahre durchzuhalten?
Von Essen: Das ergab sich so, als sich nach Querelen aus zwei Bands eine traditionell orientierte zusammen fand, ich meine Arrangements verwirklichen konnte und die Zustimmung der übrigen Musiker fand, diese Band zu leiten. Das war zwar anstrengend, aber ich bin ein Mensch mit großem Harmoniebedürfnis und so ist es mir immer gelungen, ausgleichend zu wirken.
KM: Wie vermag es ein Bandleader, Individualisten in zu einem charakteristischen und beständigen Sound zu vereinen? Von zu Zeit stoßen neue Mitglieder zur Band. Müssen sie sich dann dem besonderen Klang anpassen?
Von Essen: Die Neuen waren sich klar darüber, dass wir die bewährten Arrangements spielen und sehen darin eine persönliche Chance. Der Pianist Christof Sänger beispielsweise, der eigentlich im moderneren Jazz zu Hause ist, bringt sich gern ein, weil wir gute Musik machen und er den Zusammenhalt schätzt. Heute werden die Arrangements in enger Abstimmung zwischen Horst Schwarz und mir realisiert.
KM: Einige Musiker wie die Bassistin Lindy Huppertsberg oder der Pianist Jan Luley haben die Band verlassen, eigene Formationen gegründet oder eine Solokarriere gestartet. Was waren die Gründe?
Von Essen: Für einen Kontrabass gab es in den Arrangements und der ursprünglichen schwarzen Musik, die die Barrelhouse Jazzband pflegt, zu wenig solistische Entfaltungsmöglichkeiten, so dass sie es vorzog, eine eigene Formation zu gründen. Jan Luley war vor seiner Zeit bei der Barrelhouse Solo-Pianist und wollte sich wieder darauf konzentrieren. Mit Beiden verbindet uns nach wie vor eine enge Freundschaft.
KM: Die Barrelhouse Jazzband hat einmal ein Experiment gewagt und ein Konzert gemeinsam mit dem Free-Jazzmusiker Michael Sell gestaltet. Davon existiert auch eine Dokumentation auf einer Langspielplatte. Wie lässt sich die Erkenntnis aus diesem Konzert zusammenfassen?
Von Essen: Die Bilanz ist ernüchternd. Die Traditionalisten sagen, was soll ich mit Free Jazz anfangen? Die Free Jazz- Gemeinde hingehen meint: „Ooch nur oller Oldtime“. Und so bleiben die Anhänger beider Lager zuhause. So eine Konstellation lässt sich vielleicht im Programm eines Festivals unterbringen. Für ein Sonderkonzert ist es zu riskant, denn es gibt zu wenig Zuspruch.
KM: Hat die Barrelhouse Jazzband neben dem musikalischen auch ein pädagogisches Konzept?
Von Essen: Das wäre zu hoch gegriffen. Lehrkonzerte waren Anfang der Sechzigerjahre einmal eine Spezialität der Barrelhouse Jazzband. Ein Lehrkonzert hatte der Südwestfunk 1967 in mehreren Teilen gesendet. Heute ist die Nachfrage zu gering. Die Zuhörer kommen in unsere Konzerte, um die Barrelhouse Jazzband zu hören. Ich habe es übrigens noch nie erlebt, dass ein Zuhörer nach dem Konzert auf mich zu kam und sagte, ich habe mir eine Platte von Fletcher Henderson gekauft, weil Sie ihn so gelobt haben. Trotzdem genießt es das Publikum, wenn ich Anekdoten aus der Jazzhistorie erzähle, Biografien von Musikern vermittle und Jazzstile beschreibe, weil sie dann die Musik besser verstehen.
KM: Zu 60. Geburtstag in diesem Jahr wird nun das zweite Buch über die Frankfurter Barrelhouse Jazzband erscheinen. Ist der erste noch zu kaufen und was ist der Inhalt dieses neuen Jubiläumsbandes. Wo können es Freunde der Band und Interessenten erwerben?
Von Essen: Ich habe gehört, dass es „Das Barrelhouse Buch“ bei Amazon noch gibt. Es erschien zu unserem 40. Jubiläum und enthält im Detail eine Beschreibung und die Geschichte der Barrelhouse Jazzband. Horst Lippmann hat es editiert und ein wunderbares Vorwort geschrieben. Der neue Jubiläums-Band ist eher ein Bilderbuch auf edlem Papier mit eingestreuten kurzen Textbeiträgen. Es soll die Lücke der letzten 20 Jahre schließen. Daneben gibt es eine komplette Diskografie aller unserer Aufnahmen sowie der Einspielungen, die einzelne Mitglieder von uns gemacht haben. Sie ist bei dem Autor Gerhard Bieldermann und bei unseren Konzerten zu bekommen.
KM: Welche Projekte hat die Barrelhouse Jazzband für ihr Jubiläumsjahr geplant?
Von Essen: Außer dem Buch bieten wir Sonderkonzerte beispielsweise mit Harriet Lewis und Brenda Boykin an. Beim ersten Konzert ist Gustl Mayer unser Gast, den wir aus früherer Zeit gut kennen. Informationen gibt es bei der Agentur von Dieter Nentwig, der uns seit 1971 betreut und mit dem wir sehr eng zusammenarbeiten.
KM: Abschließend noch die Frage: gab es jemals den Wunsch den Klang der Brand mit der Stimme einer festen Sängerin abzurunden, wie es Angi Domdey in den Anfangsjahren tat.
Von Essen: Solche Forderungen gab es nicht mehr, weil sich Sängerin und Band gegenseitig in der Entfaltung einschränken und sie ihr jeweiliges Repertoire kürzen müssen. Aus diesem Grund hat sich Angi Domdey damals einvernehmlich von uns getrennt und ihre eigenen erfolgreiche Frauenband gebildet. Und wir fühlen uns so viel freier.
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