Interview mit Rainer Kern und Egbert Rühl – anlässlich des Enjoy Jazz Festivals (2005)
Qualität und Nähe
Das von Rainer Kern ins Leben gerufene Enjoy Jazz Festival existiert seit 1998. Innerhalb von sechs Wochen werden in verschiedenen Spielstätten bis über 40 Konzerte veranstaltet. Im siebten Jahr seines Bestehens hat sich Enjoy Jazz zu einer der wichtigsten kulturellen Veranstaltungen der frischgebackenen Metropol-Region Rhein-Neckar um die Städte Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen entwickelt und genießt in der Jazz-Szene einen ausgezeichneten Ruf.
Prolog…
FS: Mal kurz aussteuern…
RK: Sollen wir was sagen ?
RK: Also Egbert, sag mal, hast du heute schon was gefrühstückt?
ER: Ne, eigentlich nicht
RK: Ich wollte mir grade einen Tee machen aber ich habe keine Schwarzteebeutel gefunden.
ER: Ehrlich nicht?
RK: Ne. Dann habe ich’s sein lassen
FS: Schlechte Ausstattung der Feuerwache
ER: Schlechte Ausstattung der Feuerwache mit Schwarzteebeuteln…
RK: Oder ich hab’ ihn halt net gefunden
Fs: Zunächst eine Frage zu euren Funktionen beim Enjoy Jazz Festival. Rainer Kern ist vollberuflicher Festivalleiter, Egbert Rühl ist vollberuflicher Leiter des Kulturzentrums Alte Feuerwache in Mannheim …und betreibt Enjoy Jazz daher nur nebenher als Hobby ?
RK: Fast richtig. Ich betreue außer Enjoy Jazz noch weitere Projekte, aber Enjoy Jazz ist mein Hauptprojekt und Egbert betreibt Enjoy Jazz keineswegs nebenbei, sondern ist einer von Dreien, es gibt einen engen Kreis.
F: Wer ist die oder der Dritte?
RK: Christian Weiss, unser gemeinsamer Freund Christian.
FS: Wir treffen uns hier in der Alten Feuerwache Mannheim. Ist es typisch, dass alle Aktivitäten im Rhein-Neckar-Kreis letztlich immer zentral in Mannheim landen ? Enjoy Jazz kommt ja eher aus Heidelberg…
RK: Diese Ausdifferenzierung innerhalb des Rhein-Neckar-Dreiecks, zwischen verschiedenen Städten und was dann wann und wo stattfindet, das machen immer andere. Wir treffen uns immer dort, wo es am günstigsten ist.
Es ist richtig: Enjoy Jazz ist im Karlstorbahnhof entstanden. Zwar als meine Idee aber Karlstorbahnhof hat es anfangs abgesichert. Insofern ist Enjoy Jazz ein Festival des Rhein-Neckar-Deltas mit einer Geburtsstätte in Heidelberg. Und das Enjoy Jazz-Büro ist immer noch in Heidelberg.
FS: Mannheim mit der Feuerwache ist aber schon einer der herausragenden Veranstaltungsorte, schon allein von der Größe her?
RK: Es gibt zwei unbestrittene Hauptspielorte für Enjoy Jazz: den Karlstorbahnhof in Heidelberg und die Alte Feuerwache in Mannheim.
ER: Ich möchte dazu sagen, dass das was Rainer sagt natürlich richtig ist – wie fast alles was er sagt …GELÄCHTER… – und kann ergänzen, dass die Feuerwache natürlich gerne im Zentrum aller kulturellen Aktivitäten, zumal in Mannheim, steht und auch eng mit fast allen Kulturinstitutionen der Region vernetzt ist.
Enjoy Jazz war aber ein Festival für die Region schon zu einem Zeitpunkt, als der Regions-Gedanke noch nicht so intensiv diskutiert wurde wie es im Moment der Fall ist. Enjoy Jazz war als Festival eher Vorreiter als daß es „hinterher galoppiert“ ist. Ein Festival für die gesamte Region. Das wird sehr gleichgewichtig behandelt, es gibt keine Hierarchien.
RK: Es gibt interessanterweise viele neue Aktivitäten im Rhein-Neckar-Dreieck, die auf einmal in allen drei Städten stattfinden, seit das „Delta“ offiziell ausgerufen ist. Enjoy Jazz hat das nicht nachträglich draufgepfropft sondern war schon lange Zeit diesem Trend voraus.
FS: Wie kann man ENJOY JAZZ in einem Satz beschreiben … im Vergleich zu anderen Festivals
…GELÄCHTER…
FS: …schwierige Aufgabe…
RK: Der Untertitel des Festivals gibt schon einen Hinweis. Internationales Festival für Jazz und Anderes. Der Titel ist in Absprache der Zeitschrift Jazzthetik entlehnt. ENJOY JAZZ unterscheidet sich von anderen Festivals – und das macht es auch gleichzeitig schwierig Enjoy Jazz als Festival darzustellen – darin, dass es sich in einem Zeitraum von sechs Wochen abspielt und prinzipiell nur ein Konzert pro Abend stattfindet.
So kann sich das Publikum wunderbar den Künstlerinnen und Künstlern an diesem einen Abend widmen und es gibt nicht diesen Overkill, wie bei den typischen Festivals, bei denen an einem Wochenende 30, 40, 100… Bands spielen.
Es ist also die Dauer des Festivals und es ist die Anzahl der Konzerte pro Abend.
Das sind die formalen Kriterien. Und die inhaltlichen, da zeichnet sich Enjoy Jazz im Vergleich zu anderen Festivals dadurch aus, dass es einerseits eine breite Definition des Begriffes Jazz hat, andererseits aber keinen Bauchladen eröffnet. Wir achten darauf, dass die Projekte in enger inhaltlicher Beziehung zueinander stehen. Man könnte in Form eines Verbindungs-Diagrammes darstellen wie die Bands zusammenhängen und warum gerade diese Auswahl spielt.
Ich glaube, dass große Festivals wie Montreux – dem man ja nichts Böses nachsagen kann, insofern nehme ich das jetzt einmal als Beispiel – einfach zu beliebig geworden sind. Da gibt es keine inhaltliche Klammer mehr, da spielt einfach alles und jeder. Das hat auch eine Berechtigung aber bei Enjoy Jazz ist es eben nicht so.
ER: Auf der strukturellen Seite ist Enjoy Jazz tatsächlich ein sehr ungewöhnliches Festival mit dieser Dauer, sechs Wochen, und mit der Anzahl der Konzerte. Natürlich auch, weil es fast von Anfang an ein Festival war, das in drei Städten stattfindet: Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen und in zwei Bundesländern. Das gibt es bei keinem anderen Festival.
Enjoy Jazz ist in den sieben Jahren, in denen es besteht, schnell aber auch kontrolliert gewachsen. Es gibt trotzdem nicht die Tendenz zur Beliebigkeit. Auf der inhaltlichen Seite stehen zwei Begriffe für das Festival: einerseits der Begriff der „Qualität“. All das was Enjoy Jazz macht sollte eine hohe Qualität haben – und das ist uns bis jetzt auch fast immer gelungen. Es gibt wie immer natürlich ein paar Ausreißer aber Enjoy Jazz hat ein sehr hohes Qualitätsniveau erreicht und hält es auch.
Der zweite Begriff, den wir gefunden haben, ist der Begriff der Nähe. Es ist letztlich ein Festival für die Zuschauer vor Ort. Die gehen in die gleichen Clubs, in die sie sonst immer gehen. Man bricht also auch die Tradition auf, in irgendein Kongresszentrum zu gehen und dort ein Wochenende lang ein Festival zu veranstalten. Stattdessen bedient man sich der bestehenden Strukturen. Die Zuschauer können sich an jedem Abend auf ein Konzert freuen und der Rahmen den Enjoy Jazz bietet, ist tatsächlich einen angenehmer, naher, nicht abgehobener, immer mit dieser hohen Qualität. Letztendlich wird das Erlebnis alltäglicher – man bringt die Kunst zu den Menschen und die Menschen nehmen das auch entsprechend an.
FS: Stößt dieses Konzept aber nicht einmal an eine Grenze? Auf der einen Seite sagt man „Wachstum von Jahr zu Jahr“ aber die Spielstätten wie Das Haus oder der Karlstorbahnhof sind recht klein. Ist man nicht gezwungen letztlich zu sagen, „wir nehmen nur noch Acts die nicht so groß sind, dass sie unerwünscht 2000 Leute ziehen“?
RK: Klar, das Konzept von Enjoy Jazz hat, was das quantitative Wachstum anbelangt Grenzen. Aber das ist überhaupt nicht schlimm und wenn Egbert gesagt hat, das Festival sei kontinuierlich gewachsen, dann hat er das nicht ausschließlich auf die Quantität bezogen, sondern ebenso auf die Qualität.
Man kann sich durchaus neue Dinge für die nächsten Jahre vorstellen, die nichts damit zu tun haben, dass man plötzlich in die Maimarkt-Halle oder die SAP-Arena geht, wo 10.000 Menschen oder mehr hineinpassen. Andererseits sind wir in allen Bereichen offen, auch für Kooperationen. Wenn uns ein Act besonders interessiert und wir eine 2000er Location dafür benötigen, dann würden wir auch in den Rosengarten gehen.
Es gibt keine Prinzipienreiterei aber unser Ziel ist es eben, mit dem 10. Enjoy Jazzfestival nicht nur noch im Rosengarten zu spielen.
Wie Egbert sagt: die Idee dahinter ist es, sich der Kultur- und Infrastruktur zu bedienen, die es das ganze Jahr gibt. Es sind die Orte, die Enjoy Jazz vorbereiten und es sind die Orte, die von Enjoy Jazz profitieren. Das ist am Ressourcen schonendsten und sinnvollsten auf längere Sicht. Im übrigen müsste man sich in „unserem“ Kulturbereich, gerade bei Enjoy Jazz arg in Acht nehmen in sehr große Hallen zu gehen. Man hat sich schnell verkalkuliert, denn es gibt sehr wenige qualitative Acts in diesem Bereich die tatsächlich so viele Leute interessieren.
Wir haben bei Enjoy Jazz allerdings eine relativ große Bandbreite an Veranstaltungsstätten. Mit dem Feierabendhaus der BASF gibt es eine 1300hunderter Sitzplatzkapazität, das ist hervorragend. Andererseits ist es tatsächlich so, dass der Karlstorbahnhof an die Kapazitätsgrenze stößt. Das muß kein Nachteil sein. Das Konzert von Abdullah Ibrahim vor drei Jahren im Karlstorbahnhof vor rund 400 Leuten war wahnsinnig gut auch deshalb, weil die Atmosphäre so dicht war. Ein Jahr später in der Heiliggeistkirche war es dann weniger gut, obwohl dort 1000 Besucher waren.
ER: Das möchte ich bestätigten. Qualität heißt auch, dass es bei Enjoy Jazz die Möglichkeit gibt, manchmal im kleinsten Rahmen, wie im kleinen Saal von Das Haus in Ludwigshafen, Konzerte zu erleben, bei denen gut besucht nur eine kleine Zahl von Zuschauern bedeutet. Der kleine Rahmen heißt nicht, dass es ein „minderwertiges“ Konzert ist.
Enjoy Jazz stellt die Bandbreite dar und ich glaube, es ist nicht das Ziel immer nur auf die große Zahl zu schielen, sondern tatsächlich die Qualität in den Vordergrund zu stellen. Natürlich auch „große“ Acts anzubieten aber immer zu schauen, was entwickelt sich an gutem Neuen, und das hier im Rahmen des Festivals zu präsentieren.
Und das gute an diesem Festival ist, dass das auch funktioniert. Die Leute gehen auch zu Konzerten, wo Gruppen spielen, von denen sie noch nie etwas gehört haben. Das ist letztlich wahrscheinlich der größte Erfolg eines Festivals wie Enjoy Jazz, dass man auch dafür ein Publikum gewinnt und Dinge aufbauen kann mit denen es die Häuser sonst wesentlich schwerer hätten.
FS: Aus der Praxis: wenn ich mit Leuten über Konzerte der letzten Jahre spreche, dann wird immer wieder ein Konzert in Das Haus in Ludwigshafen genannt: Cuong Vu. Das war einer der absoluten Highlights, kann ich persönlich bestätigen
RK: Ich auch…
FS: …ich kannte ihn vorher nicht, die meisten Leute hatten von dem noch nie etwas gehört. Aber das hat sich wirklich festgesetzt.
RK: Das war ein absolutes Highlight…
FS: Ich möchte noch einmal aufs Programm zurückkommen. Vorhin war davon die Rede es sei kein „Bauchladen“ – aber es ist doch sehr bunt gemischt. Das darf man doch so sagen ?!
RK: Absolut…
FS: Trotzdem, über einen längeren Zeitraum sieht man einige Konstanten. Zum Beispiel skandinavische Sängerinnen – das gehört offensichtlich zum festen Programm – ist das eine persönliche Vorliebe der Programmgestalter… ?
RK: Nein, überhaupt nicht. Natürlich trägt das Programm die Handschrift der Macher. Aber es gibt keine persönlichen Vorliebe bezüglich Skandinavien oder skandinavischer Sängerinnen.
Wenn man bei einem sechswöchigen Festival mit 35 bis 40 Konzerten abbilden will was es zur Zeit an guten Sachen und interessanten Strömungen gibt, dann ist man in den letzten Jahren automatisch in Skandinavien hängen geblieben. Und der europäische Jazz hat ohnehin starke Wurzeln in Nordeuropa. Insofern hätte man diese Gruppen schon explizit ausschließen müssen und dafür gab es überhaupt keinen Grund. Es sind dieses Jahr aber auch Sängerinnen dabei die nicht aus Skandinavien kommen…
Der Schwerpunkt von Enjoy Jazz ist immer ein Abbild der derzeitigen Szene. Wir setzen uns allerdings nie den Schwerpunkt, sondern wir erkennen ihn wenn 20 Konzerte stehen, dann sehen wir plötzlich, wo der Schwerpunkt liegt.
Und dieses „bunte Programm“? Unbedingt: wir würden darauf drängen, dass das Programm bunt ist – ich würde aber ebenso darauf drängen, dass es eben kein Gemischtwarenhandel ist. Von außen muss man das auf den ersten Blick gar nicht erkennen. Wenn man das aber über die Jahre verfolgt und in die Konzerte geht dann sind die Parallelen zu erkennen.
Wir haben, wie gesagt, oft darüber nachgedacht ob wir solche Parallelen tatsächlich aufzeigen sollen. Wir machen es manchmal bei der Pressekonferenz aber das Schaubild im Programmheft ist nicht notwendig: die Leute sollen kommen und es selbst merken.
FS: Einige der Künstler ziehen sich, salopp gesagt, von Jahr zu Jahr durch. Garbarek war die letzten Jahre immer mit dabei…
RK: Ja, er ist zum dritten Mal mit dabei.
FS: …oder, das große, erfolgreiche Konzert von Brad Mehldau… Das resultiert jetzt wohl darin, dass er dieses Jahr gleich zwei mal auftritt. Ist das schon einen Schritt in Richtung „artist in residence“ ? Dass ausgewählte Musiker mehrere Termine wahrnehmen dürfen, mit verschiedenen Besetzungen ?
RK: „artist in residence“ ist tatsächlich eine Überlegung. Aber wenn man das machen will braucht man echt Geld und wir haben dieses Geld nicht. Unser Festival muss mit einem sehr kleinen Budget auskommen und es kommt auch damit aus. Insofern steht das auf einem Zettel für die Zukunft. Es ist aber auch inhaltlich noch nicht ausdiskutiert.
Das Brad Mehldau-Konzert im letzten Jahr war überragend besucht, wir waren überrascht, und es war ein hervorragendes Konzert. Um beim speziellen Beispiel Brad Mehldau zu bleiben: es interessiert uns, Künstler auch über mehrere Jahre zu präsentieren. Ihre Entwicklung darzustellen und sie in verschiedenen Projekten zu zeigen.
Wir stehen in engem Kontakt mit Mehldaus Management und wollten eigentlich letztes Jahr schon ein Solo Konzert veranstalten, was aus Termingründen nicht geklappt hat. Dieses Jahr haben wir Brad Mehldau zweimal: in Solo- und Trioformation. Es sind die zwei einzigen Deutschland Konzerte. Es ist schön bei einem so außergewöhnlichen Künstler wie Brad Mehldau zu sehen, was der gute Mann alles kann und macht.
ER: Man muss sagen: das Programm macht Rainer Kern und es trägt auch seine Handschrift. Es ist tatsächlich für den Außenstehenden manchmal sehr schwer auf den ersten Blick zu erkennen wo das Profil des Festivals liegt und ich glaube, auch wir haben ein bisschen Schwierigkeiten damit es zu beschreiben. Wenn man mit einer „negativen Umkehrung“ daran geht das Profil zu beschreiben, dann wird allerdings sehr schnell klar, was Enjoy Jazz ist, oder eben gerade nicht ist. Es wird daran deutlich, wie automatisch sich Angebote ausschließen, wo es überhaupt keine Überlegungen gibt, weil sie tatsächlich nicht zu Enjoy Jazz passen, selbst wenn es musikalisch gute Angebote sind.
FS: …wobei es natürlich schön wäre, wenn man das an konkreten Namen festmachen könnte.
Gelächter
ER: …das tun wir nicht!
RK:… Das macht man ungern…
FS: …denke ich mir…
ER: In der täglichen Arbeit, bei den Angeboten gibt es tatsächlich ganz viele, wo sehr klar ist: das hat bei Enjoy Jazz nichts zu suchen.
FS: Aber nicht aus qualitativen Gründen?
ER: Manchmal aus qualitativen Gründen, und manchmal einfach aus stilistischen Gründen oder aus der Art und Weise wie man herangeht an die Musik oder auch aus der Haltung die dahinter steht. Bei Enjoy Jazz wird die Tradition nicht geleugnet aber man ist schon darauf erpicht zu sehen: was ist das Aktuelle?
FS: Dann könnte man ja doch etwas nennen! Es wird wahrscheinlich nie Dixieland bei Enjoy Jazz geben ?!
RK: Absolut nicht!
FS. …und gut gemachter ?
RK: Dixieland wird, glaube ich, nie stattfinden bei Enjoy Jazz. Es ist auch so, dass wir noch nie eine Bigband hatten… also stimmt nicht, die Charles-Mingus-Bigband….aber das ist jetzt keine klassische Bigband gewesen.
ER: Ja, und Tryvge Seim war auch ein großes Orchester…
RK: Tja, so eine klassische Bigband meine ich jetzt…
FS: So etwas wie die Mardi Gras Bigband könnte ich mir schon vorstellen…
RK: Die Mardi Grass Bigband hatten wir schon engagiert, und Coleümes haben mit einem Spezial-Projekt vor einigen Jahren Enjoy Jazz eröffnet.
Es ist interessant, man sieht jetzt, da wir darüber diskutieren: ich sage „ keine Bigband“ aber gleich fallen einem 15 Bigbands ein, die trotzdem spielen könnten. Was ich meinte war die „klassische Bigband“. Wobei ich auch da – und das ist die Offenheit von Enjoy Jazz – mir dieses Jahr aus inhaltlichen Gründen, gut begründbar, schon überlegt hatte, ob die hr-Bigband bei Enjoy Jazz spielt. Weil Ornette Coleman bei Enjoy Jazz sein einziges Deutschland-Konzert spielt und die hr-Bigband kürzlich ein Ornette Coleman-Programm in Frankfurt aufgeführt hat… das würde sich sozusagen inhaltlich anbieten. Aber da müssen wir noch einmal in uns gehen, ob das Bigband-Verbot aufgehoben wird.
Gelächter
FS: Ornette Coleman wird in welcher Besetzung spielen?
RK: Schlagzeug, mit zwei Bässen.
FS: Denardo am Schlagzeug…
RK: Ja… aber der ist nicht nur Sohn, sondern auch ein guter Percussionist.
FS: …ich habe den vor -zig Jahren einmal in Freiburg gehört, da ist er mir als Schlagzeuger nicht besonders positiv aufgefallen.
RK: Der hat sich verbessert… Es sind zwei Bässe, Ornette Coleman und Denardo Coleman. Eine interessante Besetzung mit zwei Kontrabässen.
FS: …das ist gewiss ein sicheres Konzert…
RK: …vom Publikum her? Ich hoffe es mal…
FS: Solche Musiker ziehen auch ein Publikum aus einem größeren Einzugsgebiet…
RK: Ja – Ornette Coleman, da denkt man schon, dass die Leute von weit her kommen. Zumal beim einzigen Deutschland-Konzert eines Musikers der kaum mehr in Europa und schon gar nicht in Deutschland spielt.
FS: Viele Jazzhörer haben ja so ihre Liste, die man abhaken muss, da steht Coleman meist drauf…
RK: Auf meiner auch…
FS: Noch einmal zur Programm-Zusammenstellung. Eine Rainer Kern Angelegenheit. Wie kommt man denn überhaupt dazu Enjoy Jazz zu machen? Du bist Chemiker…
RK:… lacht… Ja, ich bin studierter Chemiker
FS:… Ist ja ein ehrenhafter Beruf…
RK:… Und ein kreativer
FS: Ist das so?
RK: Ja, wenn man ein guter Chemiker sein will, dann muss man schon kreativ sein.
FS: Aber mit Chemie läuft nicht mehr viel nehme ich an?
RK: Nein. Ich habe schon seit Jahren nichts mehr mit Chemie zu tun. Ich habe mich irgendwann entschlossen, die Chemie sein zu lassen und dafür Kultur zu machen. Aber das ist schon Jahre her, die Entscheidung ist schon vor Enjoy Jazz gefallen.
Die Idee Enjoy Jazz zu machen ging davon aus, dass mir die normalen Festivals nicht gefallen. Ich bin nie auf Jazzfestivals gegangen. Nie. Einfach, weil ich keine Lust hatte. Mich hat es schon abgeschreckt im Vorfeld. Da sind unglaublich viele Leute, die schieben sich ein Wochenende herum, und man muss sich immer entscheiden, gehe ich jetzt zu Konzert A, B oder C. Im Zweifel Konzert A eben nur für 30 Minuten, dann renne ich schnell zu Konzert B oder C …darauf hatte ich überhaupt keine Lust.
Ich möchte mich auf ein Konzert konzentrieren – ich privat und persönlich – von mir aus könnten alle Konzerte eine Stunde dauern, ja, das würde mir reichen. Wobei ich auch schon in 3-Stunden Konzerten war bei denen ich traurig war wenn sie zu Ende waren.
FS: Bei diesem Stichwort: ich hatte schon bei manchen Konzerten den Eindruck die spielen Ihr Programm, eine Zugabe und nur im allerbesten Fall noch eine zweite. Egal wie begeistert das Publikum reagiert. Vielleicht ist es einfach Nostalgie …war das früher anders?
RK: Mir ist nicht klar wie sich dieser Eindruck beim Publikum festsetzt. Diese Erwartungshaltung, dass ein Konzert nur gut war, wenn es zwei Stunden gedauert hat. Es gibt in jedem Künstlervertrag die sehr wichtige Klausel der künstlerischen Freiheit, die meist so beschrieben ist, dass der Inhalt der Darbietung rein dem Künstler obliegt. Ich habe noch nie einem Künstler gesagt: „könntest du nicht dieses Programm machen oder jenes?“ Ich habe auch noch nie einem Künstler gesagt wie lange er spielen soll.
Ich meine, das muss der Künstler selbst wissen. Im Gegenzug habe ich aber auch noch nie erlebt, dass ein Künstler keinen Bock hatte und deshalb nur eine Stunde gespielt hat. Oft dauern Konzerte nur eine Stunde aber das hat inhaltliche Gründe. Das ist für viele Leute schade, weil sie sich auf einen langen Abend eingestellt haben. Aber wir wollen keinen Einfluss darauf nehmen und können es auch nicht.
FS: Es ist also nicht vertraglich fixiert…
RK: Nein
FS: …überhaupt keine Regelungen was Spieldauer angeht…
RK: Nein. Bei DJs ist meistens festgelegt wie lange sie Platten auflegen. Aber bei normalen Konzerten steht so gut wie nie festgeschrieben wie lange das Konzert dauert. Manchmal steht darin: 90 Minuten. Aber das ist ganz, ganz selten.
ER: Es ist besser die Leute gehen nach einer Stunde und sind zu Recht traurig darüber, dass es nicht noch eine Viertelstunde länger gedauert hat, als sie gehen nach drei Stunden und sagen: „endlich vorbei!“ Es gibt eine bestimmte Erwartungshaltung, in Mitteleuropa ist das so, dass ein Konzert von der gefüllten Zeit 90 Minuten dauern sollte. Wenn das inhaltlich keinen Sinn macht sollte man es aber lassen.
Es gibt tatsächlich Konzerte, da hören die Musiker einfach nicht auf (wir nennen keine Namen…). Das ist dann so, dass die Leute gehen, weil sie denken, ich will jetzt auch einmal nachhause…. Gelächter ….und die Mitmusiker sind auch schon ganz irritiert…
RK: …und dann gibt es den Fall wie bei Sidsel Endresens letztjährigem Solo-Konzert in der Friedenskirche in Ludwigshafen. Die bestreitet allein mit ihrer Stimme eine Stunde Programm und sie könnte wahrscheinlich auch nicht länger, weil ansonsten die Stimme zu sehr beansprucht wird. Bei diesem Konzert ging es mir einmal so, daß ich noch locker eine halbe Stunde länger hätte zuhören können.
ER: Ja, und es gibt Konzerte, wie Medeski, Martin & Wood, wo in der Frankfurter Rundschau zurecht stand, man habe das Gefühl, man blicke durch ein Fenster auf einen ewig währenden Prozess. Also, sie spielen so davor, dann hat man ein Konzert, hört 90 Minuten zu, dann gehen sie von der Bühne und man denkt es könnte auch ewig so weiter fließen und das wird nie langweilig. Ja, und da ist dann die Zeit des Konzerts letztendlich beliebig.
RK: Ich war kürzlich das erste Mal beim North Sea Jazzfestival – an dem Sonntag, als sich 25.000 Leute durch das Kongresszentrum schoben. Ich bin nur hingegangen weil ich ein Meeting hatte mit einer wichtigen Europa Agentin. Ich habe mir dann ein paar Konzerte angesehen. Das ist einfach Horror. Man kann Konzerte dort einfach nicht genießen. Das war unmöglich, das war eine Unruhe, egal in welchem Konzertsaal; ein ständiges rein und raus; ich kann mich da nicht konzentrieren.
FS: Trotzdem läuft dieses Festival-Konzept auch sehr gut und es gibt offensichtlich genug Leute, die damit glücklich sind.
RK: Ja, es ist das größte Jazzfestival außerhalb der USA, da waren um die 100.000 Leute. Ich will nichts gegen diese Art von Festivals sagen aber es ist einfach nicht meine Vorstellung eines Jazzfestivals, so kam es zur Enjoy Jazz Idee.
ER: Es gibt bei anderen Festivals schon eine Routine – und damit hören wir mit dem bashing mal auf – man kauft eine Eintrittskarte, man hat drei Konzerte am Abend und dann geht man zur ersten Band einmal gucken und wenn einem das nach 10 Minuten nicht gefällt, dann stellt man sich in das Foyer bis zum Auftritt der zweiten Band, wieder gucken…wenn es einem dann nach zehn Minuten nicht gefällt geht man wieder ins Foyer. Und dann kommt der Top-Act, wegen dem man eigentlich die Karte gekauft hat.
Das ist leider Gottes so, da können die Festivalmacher zum Teil gar nichts dafür, das ist eben das Verhalten des Publikums. Das passiert bei uns nicht. Natürlich, passiert es, dass Leute zu Konzerten gehen, die ihnen nicht gefallen. Die gehen dann, das passiert bei jedem einzelnen Konzert. Bei Enjoy Jazz habe ich die Karte aber für ein Konzert gekauft nicht für das Festival mit 10 oder 12 oder 15 Gruppen und deshalb konzentriere ich mich auch als Zuschauer auf jedes einzelne.
RK: Wenn man auf diesen Festivals nach 10 Minuten rausgeht, dann hat man dem Künstler auch keine Chance gegeben. Ein Konzert entwickelt sich oft im Verlauf. Mir ging es bei Arto Lindsay bei Enjoy Jazz so, dass ich die erste halbe Stunde gedacht habe: das ist der totale Müll. Der Ober-Müll! Und nach einer halben Stunde ist bei mir eben ist die Waage in die andere Richtung gefallen, ich fand es super-genial. Und das ist der Punkt: wenn ich gegangen wäre, dann wäre bei mir hängen geblieben: das war totaler Mist.
Aber im übrigen kann man bei uns ja auch ein Festivalticket kaufen und zu allen Konzerten kommen. Es geht jeden Abend neu los…
FS: Das wird dann nur manchmal schon zum Zeitproblem…
RK: Ja, das wird zum Zeitproblem. Aber man hat ja die Auswahl und kann sich nach eigenem Geschmack einige herauspicken.
ER: Zum Zeitproblem ist zu sagen, dass die Erfahrung von Enjoy Jazz zeigt – erstaunlicherweise – dass es offensichtlich entweder genug Menschen gibt, die dann 40 Konzerte oder sehr viele bei Enjoy Jazz besuchen, die sich dann während des Festivals entsprechend Zeit nehmen und vielleicht auch andere Sachen liegen lassen. Oder, dass es genug Menschen sowohl in der Region als auch zum Teil weit darüber hinaus gibt, die wir mit Enjoy Jazz ansprechen.
Die Nachfrage lässt nicht nach. Es ist eher so, das sie gegen Ende von Enjoy Jazz noch einmal deutlich anzieht obwohl man vielleicht die Befürchtung haben könnte es gibt eine Ermüdung. Ganz im Gegenteil: am Ende beschleunigt sich das noch einmal. Die Nachfrage steigt deutlich an, falls sie das überhaupt kann – ausverkauft ist ausverkauft.
FS: Neben den internationalen Acts sind immer einige ausgewählte deutsche Jazzmusiker dabei. Diesmal ist es Thomas Siffling gleich mit zwei Konzerten. Es sind nicht übermäßig viele aber ihr berücksichtigt einige deutsche Jazzer, die euch besonders ins Auge stechen?
RK: Es gibt keinen Automatismus: „Länderzugehörigkeit und dann spielt man bei Enjoy Jazz“. Wir sagen weder, wir wollen Sängerinnen haben, noch sagen wir sie müssen aus Norwegen kommen. Noch sagen wir, deutscher Jazz muss einen bestimmten Anteil haben. Wir schauen uns um, was gibt es derzeit und was interessiert uns. In diesem Jahr gibt es viele gute deutsche Acts. Und deshalb sind dieses mal viele Deutsche dabei. Nicht weil sie Deutsche sind, sondern weil sie uns jetzt gerade ins Auge gefallen sind.
Thomas Siffling erhält den Jazz-Preis Baden-Württemberg und wir freuen uns besonders weil er schon letztes Jahr bei Enjoy Jazz war. Zudem hat er ein neues Projekt dessen CD im Festival-Zeitraum released wird. Wir wollten ihn auch in einem anderen musikalischen Umfeld, mit einem anderen Projekt vorstellen.
ER: Es gibt keine Quote, weder positiv noch negativ. Deshalb kann man weder sagen der deutsche Jazz findet bei Enjoy Jazz keine Berücksichtigung, noch kann man sagen wir müssen jedes Jahr 12,4% deutsche Musiker spielen. Das gibt es alles nicht. Das einzige was es tatsächlich gibt, ist der Versuch immer noch einmal zu schauen was es hier in der Region gibt.
Auch da gilt der Qualitätsmaßstab. Auch das können wir nicht immer erfüllen, aber ich denke da gibt es die kleine Idee von „der Region und den Musikern der Region verpflichtet zu sein“. Wenn es nicht funktioniert, funktioniert es halt nicht. Ansonsten freuen wir uns, dass es immer mal wieder gelingt Musiker aus der Rhein-Neckar-Region zu präsentieren, die berechtigterweise bei Enjoy Jazz spielen.
RK: Ja, absolut.
FS: Es gibt bei anderen Festivals einige Aktivitäten wie zum Beispiel ein eigenes Label, eine verstärkte Präsenz im Fernsehen oder im Rundfunk, Live-Aufnahmen, Live-Übertragungen… wie sieht es damit bei Enjoy Jazz aus?
RK: Die Medienpartnerschaft mit dem SWR ist intensiver als im letzten Jahr und wir wollen sie die nächsten Jahre weiter ausbauen. Fernsehen wäre natürlich ein schönes Ziel, weil man einen guten Multiplikator hätte. Wenn man sich überlegt was das Fernsehen zum Teil mitschneidet aus diesem Bereich, dann könnte das auch bei Enjoy Jazz in den nächsten Jahren klappen…
FS: … aus Zuhörerperspektive finde ich es nicht gut.
ER: … das wollte ich gerade…
RK: …die Kamera stört…
FS: Ja, und zwar ganz massiv…
ER: Da wollte ich einhaken: auch hier wird Enjoy Jazz seiner Linie treu bleiben. Wenn man Fernsehen macht, dann heißt das auch, das Fernsehen muss seine Produktionen so machen, dass die Zuschauer sich so wenig wie möglich gestört fühlen. Das ist eine Regel die wir hier in der Feuerwache schon immer hatten und das wird sich auch bei Enjoy Jazz nicht verlieren.
FS: Das wird heutzutage auch ein kleineres Problem sein, weil auch die Kameras immer kleiner geworden sind…
RK: Ich war noch nie bei einem Konzert, das mitgeschnitten wurde.
ER: Früher war es ein großes Problem – wenn das Fernsehen kam spielte das Publikum keine Rolle mehr.
RK: Zum Thema „eigenes Label“ – da bin ich sehr vorsichtig. Wir leben in einer Zeit in der Labels nicht gerade boomen. Live-Mitschnitte vom Festival zu haben fände ich interessant, weil wir schon so viele gute Konzerte gesehen und gehört haben, von denen wir uns wünschten, sie noch einmal anhören zu können. Das ist sicherlich ein Ziel. Es gibt aber noch ein paar andere Sachen über die wir nachdenken – die wir aber auf keinen Fall nennen können, weil sie noch in den Kinderschuhen stecken. Wir werden aber sicherlich schon nächstes Jahr damit beginnen das eine oder andere zu realisieren…
FS: Noch einmal zum Stichwort „Festival mit einem engen Budget“. Ist das nhicht das typische Problem der meisten Festivals?
RK: Wenn man so manches europäische und besonders auch deutsche Festival ansieht, dann müssen einige dabei sein die immer noch im Geld schwimmen. Einerseits schwimmen und andererseits dieses Geld auch mit vollen Händen für den letzten Quatsch ausgeben. Wenn ich mir den traurigen, bitteren Niedergang der Leverkusener Jazztage ansehe, inhaltlich, und weiß was die Gagen kosten dann haben die einfach – das ist kein Neid, überhaupt nicht – zu viel Geld.
Und es ist leider so, dass in den siebziger und achtziger Jahren, als die Budgets noch groß waren – auch bedingt durch die Fernsehsender und die öffentlichen Gelder – einfach viel Unfug getrieben wurde. Wir mussten letztendlich das ganze anders strukturiert angehen und unter völlig anderen Bedingungen arbeiten.
Als wir einmal im Staatsministerium in Stuttgart, wo unser Schirmherr sitzt, gesagt haben, wie hoch unser Budget ist, hat der fünfmal nachgefragt. Als wir ihm dann versichert haben, ja, das sei unser Budget, hat er ungläubig den Kopf geschüttelt und gemeint, das kann überhaupt nicht sein. Dass man mit einer solchen Summe so ein Festival macht, das geht gar nicht…
FS: … er kennt die Etats von Jazz Open oder den Theaterhaus Jazztagen…
RK: Er kennt sicherlich die Etats dieser Veranstaltungen. Andererseits ist es schon so, dass angesichts der Fülle von Festivals natürlich die meisten ein enges Budget haben, ganz klar.
Es gibt aber immer noch sehr viele, sehr reiche und ich finde es gibt ganz wenige darunter die ihr Geld sinnvoll anlegen. Bei uns sind die Budgets zwar kontinuierlich gestiegen, allerdings sehr langsam und nicht in dem Maße wie die Größe des Festivals. Und wir haben immer noch von Jahr zu Jahr mit einer unsicheren finanziellen Basis zu kämpfen. Jedes Jahr müssen wir zusehen, das Geld zusammen zu bekommen; es gibt keine Sicherheiten.
FS: Hat Enjoy Jazz einen besonders hohen Anteil an Sponsoren aus der freien Wirtschaft?
RK: Ja. Die Zusammensetzung kann man für dieses Jahr sehr genau nennen: das Verhältnis öffentlicher Gelder zu freier Wirtschaft liegt bei 20 zu 80.
ER: Wir sind uns darin einig, dass das Jammern uns nun so gar nicht liegt – und das öffentliche Jammern schon gar nicht – und wir lieber auf die Erfolge von Enjoy Jazz verweisen. Daher rückt es etwas in den Hintergrund aber das größte Problem ist natürlich die Planungsunsicherheit.
Die wird gewöhnlich damit behoben, dass man in den Haushalten der öffentlichen Hände verankert ist, gar einen Posten im Haushalt hat, wo eine ordentliche Zahl steht. Dann ringt man auch jedes Jahr um die üblichen Kürzungen. Ob man jetzt allerdings 200.000 oder 180.000 Euro vom Land Baden-Württemberg bekäme…das wäre zwar ein Verlust aber die Basis wäre eine andere als die derzeitige. Das Land Baden-Württemberg bemüht sich zwar aber das Geld, das wird von dort bekommen liegt im niedrigen vierstelligen Bereich…
Bei den Städten sieht es ein bisschen besser aus, aber auch nicht viel besser. Und die Sponsoren, gerade die Hauptsponsoren, die erklären ihre Unterstützung wenn es gut läuft für zwei Jahre. Oft nur für ein Jahr und das heißt man muss jedes Jahr wieder erstens den Erfolg vorweisen. Der Erfolgsdruck ist sehr hoch. Zweitens muss man jedes Jahr wieder hart daran arbeiten die Sponsoren im Boot zu halten oder neue zu gewinnen.
Der Sponsor überlegt sich sehr berechtigterweise „wofür gebe ich mein Geld“ aus. Manchmal gibt es Strukturentscheidungen wie „ wir geben kein Geld für die Kunst mehr sondern nur noch für den Sport oder die Bildung“. Dann fällt Enjoy Jazz zum Beispiel „gerade mal“ weg und das kann – niemand will das glauben – aber das kann letztendlich auf der finanziellen Seite tatsächlich bedeuten, dass es Enjoy Jazz genau aus diesen Gründen – und zwar schneller als das irgend jemand wahrhaben will – nicht mehr geben kann. Das kann einfach passieren. Wir sind keine Schwarzmaler aber wenn man bewertet wie der Zustand im Moment ist, kann das durchaus sehr schnell passieren.
FS: Das Rückgrat ist ein Hauptsponsor…
RK: Das Rückgrat sind mittlerweile schon verschiedene Sponsoren. Aber wenn einer dieser großen Sponsoren wegbricht ist das ein Problem. Enjoy Jazz kann nicht mehr zurück auf die Struktur der ersten Jahre, das geht nicht. Dann wäre Enjoy Jazz in Gefahr.
„Nicht auf die Struktur der ersten Jahre“ heißt auch, dass die Menschen, die Enjoy Jazz mit aufgebaut haben und quasi nichts oder nur ganz wenig verdient haben, nicht mehr mit einem kleinen Fahrtkostenzuschuss oder ähnlichem abspeist werden können. Das sind Leute, die auch ihren beruflichen Werdegang auf Enjoy Jazz ausgerichtet haben. Insofern ist es ein wichtiges Ziel, dass das Festival in den kommenden Jahren auf solide Beine gestellt wird. Da muss die öffentliche Hand sich „commiten“, wie man so schön sagt.
Die Stadt Heidelberg stellt im Moment den größten Anteil der 20% öffentlicher Gelder. Das sind die ersten die sich richtig engagiert haben. Wir hoffen, dass Mannheim mitzieht und dann auch die Länder. Damit hätten wir ein schönes „public private partnership“. Tatsächlich schön, denn es ist in den Zeiten des Geldmangels eine gute Idee: dass eben alle an einem Strick ziehen. Und so wie Enjoy Jazz inhaltlich aufgestellt ist, auch in der Metropoleregion, dürfte niemand Interesse daran haben, dieses Festival verschwinden zu lassen. Aber, wie Egbert gesagt hat, das kann schnell passieren.
ER: Enjoy Jazz ist ja von Anfang an den Weg gegangen nicht die öffentliche Hand anzubetteln, sondern zu sehen, dass das Festival sich tatsächlich frei finanziert um die öffentliche Hand auch von dem Risiko zu entlasten. In der Zwischenzeit haben wir bewiesen, dass das Festival funktioniert und eine große Ausstrahlung für die Region hat. Jetzt müssen die Kommunen und die Länder ins Boot um dieses Festival zu sichern. Was in der Zwischenzeit in ihrem größten Interesse ist. Aber sie sind zäh, kann man leider Gottes nur sagen…
FS: Das heißt aber letztlich auch, dass sie die Gelder die sie für Enjoy Jazz freimachen sollten woanders abziehen müssten?
RK: Es ist eine Möglichkeit, Gelder zu verlagern. Davor sollte man sich übrigens auch nicht scheuen, weil es nichts schlimmeres gibt als festgefahrene Strukturen die nichts mehr bringen. Aber das wollen wir gar nicht, wir wollen niemandem Geld wegnehmen. Eine Erfahrung die man macht mit öffentlichen Geldern: wenn der Wille da ist, kann auch Geld frei gemacht werden.
Ein schönes Beispiel war das Konzert auf der Thingstätte in Heidelberg letztes Jahr. Das war mehr oder weniger das Abschlusskonzert des Generalmusikdirektors, und dieses Konzert hat etwa in der Größenordnung von 100.000 Euro ein Minus eingespielt. Und da hat – und ich finde das auch richtig – der Gemeinderat in Heidelberg beschlossen: das können wir nicht dem nächsten Generalmusikdirektor als Last mitgeben und deshalb müssen wir einen Sonderzuschuss gewähren. Ich finde es richtig – aber da gingen von einem Tag auf den anderen noch 100.000 Euro. Es wurde niemandem weggenommen sondern ergab sich.
Es gibt immer Töpfe über irgendwelche Ziele die nicht angefallen sind oder Zinsen die eingenommen wurden oder sonst irgend etwas. Und wenn man sich entscheidet, dass man ein Festival wie Enjoy Jazz auf solide, sichere Beine stellen will, wie zum Beispiel das Filmfest Mannheim-Heidelberg, dann findet sich auch Geld, ohne, dass irgend jemand anderes darunter leiden muss. Wir bringen ja 80% Industriegelder mit, das darf man nicht vergessen.
FS: Wird von politischer Seite aus der Wert des Festivals für die Region gesehen? Wie ist das konkrete Feedback aus diesem Bereich?
RK: Das Feedback ist gut, absolut. Wenn man die Medienauswertungen ansieht, dann ist Enjoy Jazz unschlagbar in der Region. Niemand, kein kulturelles Ereignis, findet sich in der nationalen Presse so oft wie Enjoy Jazz. Nur – man muss es auch lesen…
FS: Wie sehr hängt die Sponsorensuche eigentlich an einzelnen Personen? Kann man sich das so vorstellen, dass man in Unternehmen oder auch bei öffentlichen Stellen auf Leute trifft, die ein persönliches Interesse an Jazz haben?
RK: Auf den Fall Infineon, dass der Vorstand auf Rennautos steht und die Formel Eins unterstützt, auf den sollte man im Jazzbereich nicht bauen. Da müsste man lange suchen. Die persönliche Ebene ist meist ausschlaggebend. Unserer Erfahrung nach ist es wichtig und zukunftssichernd wenn die Chemie zwischen Sponsor-Unternehmen und dem Gesponserten stimmt. Dann kann man letztlich auch am stärksten gegenseitig voneinander profitieren.
Gerade in diesem Jahr, mit unserem Hauptsponsor SAS, haben wir einen Partner gefunden, von dem wir den Eindruck haben, dass wir bestens zusammenpassen. Das sind Menschen, die ähnlich reden und die ähnlich denken. Die aber nicht die absoluten Hardcore-Jazzfans waren und aus diesem Grund ein Jazzfestival unterstützen wollten, sondern einfach gesehen haben: da sind Leute, die haben ein Festival auf die Beine gestellt, das tatsächlich wichtig für die Region ist. Bei dessen Konzerten sich auch immer wieder die Mitarbeiter treffen…
…und sie wollten im kulturellen Bereich etwas unterstützen. Etwas, von dem sie glauben, dass es unterstützenswert ist, weil es nicht verpufft, sondern von dem sie auch glauben, dass es wiederum ihrer eigenen Firma etwas bringt.
Nicht, dass plötzlich alle Leute, die zu Enjoy Jazz gehen SAS-Software kaufen… aber Kultur und Enjoy Jazz sind letztlich auch ein Standortfaktor – warum sollte ein Administrator oder ein Software Spezialist sich beruflich für einen Standort entscheiden? Da spielen viele Dinge eine Rolle und eines ist die Frage nach dem kulturellem Angebot.
Das sind Gründe warum Firmen Enjoy Jazz unterstützen. Und wenn man für sich selbst überlegt, wo geht man gerne hin – ob das jetzt Urlaub ist oder die Freizeitaktivität am Wochenende – dann sind das Faktoren wie Kunst, Kultur oder Natur. Und mit der Natur ist das er hier ja auch schön…
Gelächter
FS: wo steht Enjoy Jazz im Jahr 2010?
RK: Im Jahr 2010 steht Enjoy Jazz hoffentlich auf soliden, festen Beinen. Man braucht sich nicht jedes Mal nach dem Abschlusskonzert – bevor man eine Flasche Sekt aufmacht – Gedanken machen: „Gibt es das überhaupt noch jemals wieder?“. Und ich habe ein festes Team, das in Ruhe und kontinuierlich arbeiten kann; sich nicht jedes Mal fragen muss „wie geht es weiter?“.
Enjoy Jazz hat sich seine inhaltliche Stringenz bewahrt und nicht den „Überflieger“ bekommen, im Sinne von „man muss jetzt nur noch SAP-Arena Konzerte“ machen und nur noch ständig Leute einfliegen. Wir wollen das inhaltliche Konzept ausbauen und wir werden ein paar Sachen außen herum an zusätzlichem Angebot haben, von hochwertigen Konzerten ganz abgesehen.
ER: Ich würde sagen, der Jazz und das Andere um das sich Enjoy Jazz auch immer kümmert, ist tatsächlich so lebendig und innovativ, dass ich überhaupt keine Sorgen habe, dass es auch im Jahr 2010 ein wunderbares und spannendes Festival gibt. Und ich muss noch einmal unterstützen, was Rainer gesagt hat: wir haben noch eine Reihe von Ideen im Kopf oder in der Schublade wie man dieses Festival abrunden kann, in verschiedenen Richtungen. Sowohl was das Angebot für den Zuschauer und Zuhörer betrifft als aber auch was die Inhalte betrifft, dass das bis 2010 langt…
RK: …2011 wird dann schwierig
ER:… Aber da reden ja wir nicht drüber…
Gelächter
FS: und Rainer Kern und Egbert Rühl sind dann noch immer mit dabei…
RK: Natürlich, es hängt immer von Personen ab. Man sagt immer gern: jeder ist ersetzbar aber bei solchen Projekten wie Enjoy Jazz gilt das nicht. So wie das Team steht, soll es auch 2010 stehen. Dann können wir das was wir uns wünschen für 2010 inhaltlich garantieren. Da mache ich mir gar keine Sorgen.
FS: Das ist eigentlich ein perfektes Schlusswort.
RK: Eigentlich ja.
Das Interview führte Frank Schindelbeck für die jazzpages im August 2005
Fotos: Schindelbeck
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