Die ersten in Akkordgriffen angerissenen Melodiefragmente auf der elfsaitigen Oud klingen fremdartig und doch vertraut. Es sind nahöstlich geprägte Stimmungen wie man sie seit Jahrzehnten von dem im Libanon geborenen Virtuosen Rabih Abou-Khalil auf der arabischen Kurzhalslaute kennt. Doch dann steigt Luciano Biondini mit dem Akkordeon ein, der Rhythmus beschleunigt sich, wird von Jarrod Cadwin auf der Rahmentrommel und dem Schlagzeug forciert. Bereits bei den ersten Akkorden und Rhythmen von „When Frankie shot Lara“ ist das Publikum auf der gefüllten Hinterbühne des Rüsselsheimer Theaters von der Musik des „Quintet Méditerranéen“ gefesselt.
Bei “Ja nao da como este“ fügt sich der Fado-Sänger Ricardo Ribeiro mit kraftvoller und tragender Stimme in die polymetrischen Interaktionen der Musiker ein. Das „como um rio“ wird geprägt von den ständigen Wechseln zwischen der balladesken Fado-Tradition und den rasanten Läufen auf der Oud. „Ich weiß nicht, wie er es macht, aber er kann den komplizierten, schnellen und abrupt wechselnden Rhythmen meiner Kompositionen gesanglich folgen“, hat Rabih Abou-Khalil den portugiesischen Sänger einmal gelobt.
Die sanfte Einleitung eines Liebesliedes wird von dem Bass-Gegrummel des Saxophonisten und sardischen Sängers Gavino Murgia unterlegt, während Biondini auf dem Knopf-Akkordeon ein tänzerisch beschwingtes Solo beiträgt. „Al lua num quarto“ hebt sanft mit dem Akkordeon an. Melancholisch wie dessen Klänge ist auch der Gesang, erfüllt mit der schmachtenden Sehnsucht des „saudade“, jener schwer zu definierenden Stimmung, die auch der Zugabe „Amarrado a saudade“ den Titel gibt. A Capella führt der Sarde in wechselnden Stimmlagen in das Thema ein, das die Band percussiv und kraftvoll aufnimmt. Als „Revoluzzerlied“ mit einem rhythmisch strengen Duo von Oud und Schlagzeug sowie Bass-Grummeln kündigt Abou-Khalil „One povo e este que povo“ an.
Alle Kompositionen des fast zweistündigen Konzertes in der Rüsselsheimer Jazzfabrik stammen aus der Feder von Rabih Abou-Khalil. Zwar hat er Künstler aus den Mittelmeer-Anrainer-Staaten Portugal, Italien, Sardinien um sich versammelt und Elemente aus den Kulturen dieser Länder aufgenommen, doch die Diktion des Libanesen prägt Sound und Rhythmus des „Quintet Méditerranéen“. In dieses Konzept fügt sich auch der amerikanische Schlagzeuger Cagwin ein, der zwar mit seinen Trommeln harte Akzente setzt sowie hin und wieder schier zu explodieren scheint, doch mit der großen und der kleinen Rahmentrommel dem nahöstlichen Metrum frönt. In manchen Passagen nähert sich das Quintett in eng verflochtenen und komplexen Kollektiven dem geordneten Chaos.
Humorvoll stellt der Oud-Spieler Abou-Khalil seine Partner vor, moderiert das Programm und erklärt bisweilen ironisch seine Musik. „Wenn in der Vertonung der portugiesischen Gedichte vom Tod die Rede ist, spiele ich eine Oktave tiefer, wird von der Liebe gesungen, eine Oktave höher“, erläutert er belustigt.
„Em portugués“ ist der Titel eines Projektes, aus dem das Quintett auch beim Rüsselsheimer Konzertes schöpft. Er habe es auf Bitten des Direktors des Nationaltheaters Porto, Ricardo Pais, in der Vertonung portugiesische Gedichte kreiert, erzählt der Libanese. Wesentlichen Anteil am Gelingen hat sicher Ricardo Ribeiro, mit dem Rabih Abou-Khalil, in einer ersten Zugabe als Duo von der verlorenen Jugend samtig singt und die Zuhörer fasziniert.
Zuvor hatte der Oud-Spieler, der in seiner Jugend von dem Bürgerkrieg im Libanon flüchtete, mit seiner aufrüttelnden Komposition „Dreams of a dying city“ an die Vergangenheit erinnert.