Es ist, als ob die Avantgarde neu erfunden wird. Eine Avantgarde, die der Hegelschen Dialektik folgt, die die Tradition bewahrt, ihr den freien Jazz entgegensetzt, und so beides in einer Synthese auf eine höhere Ebene hebt. Die in Berlin lebende japanische Pianistin Aki Takase setzt zu einem perlenden Stride-Lauf auf dem Piano an, verziert das Thema, reißt die Harmonien auf, zerfasert den Rhythmus. Mit hartem Anschlag hämmert die 54-jährige Akkordblöcke ins Instrument, schlägt mit Handballen und Unterarmen Cluster in die Tasten. Das Spiel der Pianistin steckt voller Gegensätze und verrät zugleich die Sehnsucht nach Einheit. Sie verneigt sich vor der Tradition, verlegt mit der ihr eigenen kreativen Kraft den Anfang des 20. Jahrhunderts in das 21.
Die aus Osaka stammende Aki Takase überzeuge mit ihren jüngsten Projekten vor allem durch die souveräne Art, mit der sie auf alte Formen des Jazz zurückgreife, um diese in einem zeitgenössischen Umfeld zu präsentieren, begründete die Jury ihre Entscheidung, den gemeinsamen Jazzpreis des Landes Rheinland-Pfalz und des Südwestrundfunks der Pianistin zu verleihen. Dies gelte vor allem für ihre neueste CD „St. Louis Blues“, in der Takase in überzeugender Weise das tradierte Material aus heutiger Sicht beleuchte. Beim Preisträgerkonzert im Mainzer SWR-Foyer konnten sich die Zuhörer bei der Präsentation der Komposition von W.C. Handy und der Bearbeitung anderer Traditionals von der Treffsicherheit der Jury-Wahl überzeugen.
Die dadaistischen Texte „Hinter meinem Rücken“ sind lediglich eine andere Ausdrucksform in Fortsetzung der Musik. Skurriler Humor kennzeichnet die Kompositionen. Bizarr und kraftvoll, voller Überraschungen und Übertreibungen. Der einleitende Wohlklang des „St. Louis Blues“ auf der Posaune von Nils Wogram und der Bassklarinette von Rudi Mahall gleitet zunächst fast unmerklich durch gegenläufige Klarinettenstöße, dann aber deutlich durch überblasene Stakkati der Bläser, pulsierende Prcussion des Schlagzeuger Paul Lovens, verzerrte Glissando-Läufe des Gitarristen Frank Möbus und einen nervös gehämmerten Hochgeschwindigkeitslauf auf dem Piano in den roten Bereich. Das wohlbekannte Thema wird zerlegt, auf die Grundbestandteile reduziert und wieder zusammengefügt. Komplexe Soundcollagen entwickeln sich aus einfachen Melodien, die Kollektive und Soli entwickeln sich voller Phantasie und Dynamik.
In dieses Konzept von unernstem und zugleich engagiertem Musizieren fügt sich die Ansage, mit der Mahall seine Kurz-Komposition „Moblat“ im Zwiegespräch mit dem Publikum erläutert.
Die Verehrung für den früh verstorbenen Bassklarinettisten Eric Dolphy bestimmt den Duo-Teil des Preisträgerkonzertes, in dem Takase mit Mahall kommuniziert. Die Titel „Rudi my Bier“, „Zum einen Ohr rein“ oder „Zum anderen wieder raus“ sprechen für sich. Dazwischen geschoben ist ein Tribut an die Tradition mit „I am confession that I love you“. Typisch aber ist die Takase-Komposition „Gelati“ mit gehämmerten Clustern auf dem Piano, knallenden Akkordstößen auf der Bassklarinette, energetischen Ausbrüchen im freien Spiel. Ob im Duo oder im Quintett – Aki Takase versprach ein Hör-Abenteuer und erfüllte die Erwartungen.