Schon 94 oder erst 88?
Vibrafonist beim „King of Swing“, am Schlagzeug ein Show-Meister
New York. Bereits vor einem Vierteljahrhundert zeigte der Vibrafonist Lionel Hampton schon deutliche Altersbeschwerden, und die Auftritte des alten Swing-Haudegens nahmen zunehmend groteske Züge an. Als „Hamp“ im Sommer 1979 wegen einer plötzlichen Erkrankung einen Auftritt an der französisch-italienischen Grenze absagen musste, orderte gar eine südwestdeutsche Zeitung von ihrem freien Jazz-Mitarbeiter vorsorglich einen Nachruf an, der dann im so genannten „Redaktionssarg“ verwahrt wurde. Zwischenzeitlich tourte der Greis noch durch die ganze Welt und präsentierte sich auch ausgiebig im Mittleren Neckarraum, beispielsweise 1988 (beim „ZDF Jazz Club“) in Leonberg, 1991 in Ludwigsburg und 1999 in Stuttgart. Am 31. August 2002 um 6.15 Uhr (Ortszeit) verstarb Lionel Hampton in einem New Yorker Krankenhaus. 94 Jahre alt sei er geworden, vermeldeten die Agenturen. Wenn es nach Hampton selbst ginge, hat ihn der Tod mit 88 ereilt. Wie Louis Armstrong und Sun Ra, so flunkerte auch Lionel Hampton gerne mit seinem wahren Geburtsdatum.
Das Stuttgarter Festival „JazzOpen“ pries vor drei Jahren seine Performance euphorisch als „größtes Swing-Konzert Europas“ an. Der Alt-Star wurde da im Rollstuhl zur Bühne des Hegelsaals gekarrt – und glänzte lediglich mit seinem vor Jahrzehnten erworbenen Namen. Nach einem Schlaganfall im Jahre 1995 agierte der Swing-Veteran am Vibraphon nur noch im Zeitlupentempo, mittlerweile hatten seine Kräfte und sein Konzentrationsvermögen weiter nachgelassen. Allgemein wurde der vormalige Quartett-Kollege des Klarinettisten Benny Goodman als 1908 Geborener geführt, in Stuttgart verkündete Lionel Hampton nun wiederholt, sein wirklicher Geburtstag sei der 20. April 1914. Demzufolge hätte der aus dem Bundesstaat Kentucky stammende Instrumentalist die erste Plattenaufnahme mit Louis Armstrong 1930 eben als 16jähriger unternommen – wobei er ja übrigens vom Schlagzeuger zum Vibrafonisten konvertierte.
In Stuttgart präsentierte sich die Legende mit jungen Bläsertalenten, die mit Verve und Vergnügen die Swing-Vita weiterführten. Lionel Hampton konnte nur noch rechtshändig in quälender Mühe dürftige Melodielinien beisteuern. Die einzige Neuigkeit war, dass er bei dem Reißer „Sing, Sing, Sing“ in seine Improvisation ausgiebig die israelische Nationalhymne, die sich ja aus der gleichen Lied-Quelle wie Smetanas „Moldau“ speist, einfließen ließ. Bei seinen alten Hits konnte sich der sehr verwirrt wirkende Hampton noch irgendwie zurechtfinden. Sein „Hey-Ba-Ba-Rebop“ wurde ja zum knackig-rockigen Ohrwurm auch außerhalb der Jazz-Szene. Mit „Flying Home“, „Down Home Jump“ und „Rock Hill Special“ konnte er weitere Hit-Erfolge verbuchen. Schon gar nicht mehr konnte sich Hampton 1999 ans Drumset begeben, um eine rhythmische Orgie abzufeiern und akrobatisch mit den Sticks zu wirbeln.
Wenig später kam Lionel Hampton in die Weltschlagzeilen, als sein Apartment in einem Wolkenkratzer – wegen einer auf sein Bett gefallener Halogenlampe – abbrannte und er sich für einen Besuch im Weißen Haus schnell einen Smoking leihen musste. Früher pflegte er noch freundschaftlichste Kontakte mit dem Hobby-Pianisten und Watergate-Präsidenten Richard Nixon, der bekanntlich die Sozialprogramme rigoros kürzte. Die mildtätige Vibrafon-Legende ließ für arme Mitbürger im Zentrum von Manhattans Stadtteil Harlem „Lionel Hampton Houses“ errichten. Weniger freundlich benahm sich Hampton vielfach seinen Musikerkollegen gegenüber: er engagierte zum Schluss seiner Karriere junge Instrumentalisten und stattete diese mit nur kargem Salär aus. Lionel Hampton war für manche Kontroverse gut…