Alle Photos auf dieser Seite: Hans Kumpf
Nun also hat sich Leszek Możdżer nach Chopin noch seinen Klavier- und Komponier-Kollegen Komeda vorgenommen. Krzysztof Komeda genießt in Polen einen Kultstatus, so wie dieser freilich in viel größerem Maße dem Nationalkomponisten Fryderyk Chopin zuteilwird. Briefmarke, Geldmünze, Statue und natürlich spezielle Projekte, fast unzählige CDs, Konzerte und gar Festivals gehören hierbei zu den Selbstverständlichkeiten.
Am 27. April 2011 feierte man nicht nur in den Medien Komedas 80. Geburtstag, doch im wirklichen Künstlerleben wurde der gelernte Hals-Nasen-Ohren-Doktor lediglich 37 Jahre alt. Infolge eines ominösen Unfalls bei einem Saufgelage mit dem Schriftsteller Marek Hłasko, der auch mal mit der deutschen Schauspielerin Sonja Ziemann verheiratet war, kam er Ende 1968 in Los Angeles ins Krankenhaus. Dort wurde ein Hämatom im Gehirn nicht korrekt diagnostiziert und behandelt. Komeda fiel alsbald ins Koma und wurde wenige Tage vor seinem Tod in seine polnische Heimat geflogen. Am 23.4.1969 verstarb er in Warschau.
Krzysztof Komeda
Somit blieb dem als Krzysztof Trzciński 1931 in Pożnan Geborenen eine weitere Hollywood-Karriere versagt. Gerade hatte er zu „Rosemary’s Baby“ und „Tanz der Vampire“ von Roman Polanski die Musik geliefert.
Der Regisseur Roman Polanski und der Musiker Krzysztof Trzciński, welcher sich Komeda nannte, arbeiteten bereits in Polen eng zusammen. Als erster großer gemeinsamer Erfolg mit internationaler Dimension gilt der Streifen „Knife in the Water“, entstanden 1962. Eine subtil erzählte Dreiecksgeschichte zwischen zwei Männern und einer Frau, ergänzt mit eindringlichen Jazzklängen zwischen cool und hot. Komponist Komeda saß am Klavier, seine beiden Landsleute Roman Dylag und Lech Dudziak spielten Bass respektive Schlagzeug und der beseelte Schwede Bernt Rosengren blies Saxophon.
Schon als Gymnasiast fand ich die jazzige Filmmusik so interessant, dass ich eine Leihkopie von dem Meisterwerk „Das Messer im Wasser“ 1968 in meiner Schule vorführte. Heutzutage ist die in zehn Teilen gesplittete polnische Originalversion „Nóz w wodzie“ bei YouTube kostenlos abrufbar.
Auch außerhalb der Kinosäle und TV-Screens gerieten Musikstücke dieses Filmes zu Hits, die besonders von polnischen Jazzmusikern gerne gecovert werden: „Cherry“, „Ballad for Bernt“ und „Crazy Girl“.
Weltweit hat sicherlich das in sich kreisende Hauptthema aus „Rosemary’s Baby“, nämlich „Sleep Safe And Warm“, den größten Bekanntheitsgrad errungen – ein Wiegenlied wie Gershwins „Summertime“. Besonders beliebt bei (polnischen) Jazzmusikern ist statistisch gesehen jedoch das Komeda-Opus „Svantetic“, das Możdżer schon vor Jahren in Trio-Besetzung spielte und bei seiner neuen Solo-CD als Opener hat. Symptomatisch sind hier das aufsteigende Dreitonmotiv und rhythmisch ein Charakter, der an Chopins Trauermarsch gemahnt. Komeda hat diese Komposition auch für seine LP „Astigmatic“ übernommen, die allgemein als bestes polnisches Jazzschallplattenwerk aller Zeiten gilt.
Leszek Możdżer
Nach der live-Präsentation beim Warschauer Festival „Jazz Jamboree“ Ende 1965 ging Komeda sofort ins Studio. Als durchaus historisch für die deutsch-polnischen Jazzbeziehungen ist die Tatsache zu werten, dass am Kontrabass Janusz Kozlowski kurzfristig durch Günter Lenz ersetzt wurde, der zusammen mit Albert Mangelsdorff in der polnischen Hauptstadt weilte. Wie zuvor auf dem Podium agierten noch der Trompeter Tomasz Stańko und der schwedische Drummer Rune Carlsson alias Carlson. Neu war als zweiter Bläser der Altsaxofonist Zbigniew Namysłowski. Obgleich das Titelstück nicht für einen Film geschaffen worden war, ist es doch von Komeda sehr dramatisch konzipiert: Taktwechsel zwischen 4/4 und 6/8, abrupte Tempo-Changes, kurze kleinintervallige Motive und deren Sequenzierungen, Negierung der althergebrachten Balladen-Form und der stupiden Abfolge Thema-Improvisationen-Thema. Gleich mehrere Labels brachten von „Astigmatic“ Wiederveröffentlichungen in Form von CompactDiscs heraus.
Tomasz Stanko
Trompeter Tomasz Stańko hat bei ECM 1997 mit „Litania“ der Musik seines Lehrmeisters Krzysztof Komeda eine ganz persönliche Ehre erwiesen, nun zieht Pianist Leszek Możdżer, der 1971 – also zwei Jahre nach Komedas Tod – in Danzig geboren wurde, mit einer lediglich „Komeda“ genannten CD beim ebenfalls in München residierenden Label ACT nach. Wie bei Chopin entwickelt Możdżer auch bei Komeda sehr virtuos Impressionen, als am „Original“, das im Falle Komeda eher als Tondokument denn in Notenform vorhanden ist, zu kleben.
Nicht nur etliche Pianisten – wie beispielsweise noch Andrzej Jagodziński – zollen Komeda ehrfürchtigen Tribut, auch Saxophonisten mit ihren Bands. In Polen waren dies in letzter Zeit Henryk Miśkiewicz und Adam Pierończyk. Aber besondere Aufmerksamkeit wird Leszek Możdżer mit seiner aktuellen CD erlangen, wurde er doch von den Lesern des in Warschau erscheinenden Magazins „Jazz Forum“ für 2010 zum besten Pianisten Polens gewählt. Außerdem kam er in der Rubrik bei „Jazzmusiker des Jahres“ auf Platz 2 (nach dem Dauersieger Tomasz Stańko), und seine riesige Open-Air-Performance in Danzig wurde demokratisch zum besten Konzert von 2010 bestimmt.
Von weisen Menschen lernen
Interview mit dem Pianisten Leszek Możdżer
Nach welchen Kriterien hast Du die Komeda-Kompositionen für Deine Platte ausgewählt? Die 1995 für GOWI-Records aufgenommene CD mit dem Pianisten Marcin Wasilewski beinhaltet größtenteils die gleichen Stücke wie Deine….
Komeda hat zwar viel Musik komponiert, aber er hat sein Material nicht für andere Interpreten organisiert. Der Saxophonist Jan Ptaszyn Wróblewski hat etliche Transkriptionen erstellt, andere wurden von Leuten gemacht, die unbedingt die Stücke spielen wollten und setzten eben beim Abhören der Aufnahmen viel Geduld und Sorgfalt ein. Ich selbst habe nie von Komeda aufgeschriebene Noten gesehen. Daher mag es rühren, dass letztendlich mehr oder weniger die gleichen Komeda-Stücke spielen.
Was ist Deine Lieblingskomposition von Komeda?
Eine meiner Lieblingskompositionen von ihm ist „Svantetic“, ein Stück, welches er dem schwedischen Dichter Svante Foerster widmete. Dieser war von Komedas Musik begeistert und half ihm, seine erste Tour durch Schweden zu organisieren. Diese Nummer hat eine sehr einfache Form, besteht nur aus vier Akkorden und die Melodie basiert auf einem simplen Motiv. Aber Komeda brachte es fertig, dass alles sehr tiefgründig und vornehm klingt. Ich liebe dieses Stück.
Bei „Svantetic“ improvisieren viele Musiker nach der anfänglichen Themenpräsentation in der phrygischen Skala. Passiert dies rein zufällig oder hat es Komeda in seiner Komposition so vorgegeben?
Nun, ich weiß nicht, was sich Komeda wünschte, wie die Leute hier spielen sollten. Aber die Moll-Akkorde mit hinzugefügter kleiner Sexte und die Dominante mit verminderter Quinte sind harmonische Muster, mit denen er eine besondere Art von Tiefgang bewerkstelligte. All dies macht „Svantetic“ im Sound dunkler und erzeugt eine mystische Atmosphäre.
Hast Du die dazugehörigen Filmszenen vor dem geistigen Auge, wenn Du die Soundtracks interpretierst? Beispielsweise bei „Das Messer im Wasser“…
Wenn ich diese Musik spiele, hat das für mich mehr mit Emotionen zu tun, als dass ich an den Film denke. Deshalb habe ich die Komposition „Crazy Girl“ so interpretiert, dass ich die Liebe und das Erfreuliche herausgehoben habe – und nicht die Verrücktheit eines imaginären Mädchens. Ich habe nicht darauf geachtet, ob eine Nummer aus einem Film stammt oder nicht. Ich kreierte in meiner Vorstellung einen emotionalen Background und versuchte, dies in der Musik auszudrücken.
Zbigniew Namysłowski
Hast Du viel mit Tomasz Stańko und Zbigniew Namysłowski über deren Zeit bei Komeda gesprochen?
Ich habe diese Musik zuvor mit Tomasz Stanko und Zbigniew Namysłowski gespielt. Es war für mich wichtig, einen Zugang zu der Quelle zu haben, weil Namysłowski und Stańko mit ihm über viele Jahre gespielt haben. Als wir die Stücke probten, machten beide Vorschläge, wie die Komeda-Kompositionen zu handhaben seine. Dieses Wissen war für meine Solo-Produktion sehr hilfreich, obgleich ich versuchte, mich den Kompositionen so zu nähern, als ob ich sie erstmalig in meinem Leben vor mir hätte. Ich versuchte, das Essentielle dieser Kompositionen zu erfahren.
Hast Du Roman Polanski getroffen, wenn er nach Polen kam?
Nein, bislang bin ich Roman Polanski nie begegnet. Es würde mich freuen, ihn persönlich kennenzulernen. Es ist immer wieder inspirierend, starke Persönlichkeiten zu treffen. Manchmal genügt es, nur einen Satz von einem gescheiten und erfahrenen Menschen aufzunehmen. Dies kann den Lebenshorizont erweitern. Wenn ich derartige Leute treffe, höre ich genau hin, was sie sagen. Ich weiß, dies könnte mein Leben verändern.
Du spielst in Deinem Breslauer Tonstudio einen italienischen Fazioli-Flügel mit 212 Zentimeter Länge. Hat dieses Instrument bereits ein viertes Pedal, um ein besonders leises pianissimo zu erzeugen?
Nein, mein Fazioli verfügt nur über drei Pedale. Um ein besonders schönes pianissimo zu erzielen, ist es möglich, das linke Pedal so differenziert zu drücken, dass man das Hämmerlein gefühlvoll die Klaviersaiten anschlagen lässt. Wenn ich spiele, drücke ich nicht einfach die Tasten, eigentlich schleudere ich die Hämmerchen mit jeder Taste in die Luft – dies macht den Sound akkurater.
Magst Du Fazioli mehr als Steinway und Bösendorfer – oder sogar Chopins Pleyel?
Ich habe da keinen absoluten Favoriten. Jedes Piano besitzt eine eigene Persönlichkeit, die man respektieren muss und mit der man kooperieren muss, um ein Konzert gelingen zu lassen. Das Schlimmste, was ein Musiker auf der Bühne tun kann, ist sicherlich, ein Missfallen dem Instrument gegenüber auszudrücken. Den besten Ruf haben Steinway und Fazioli. Aber, um mich zu wiederholen, jedes Instrument ist eine Sache für sich.
Komeda war bekanntlich kein ausgesprochener Klaviervirtuose. Hast Du Dich aber trotzdem von seinem Klavierspiel beeinflussen lassen?
Das Quartett von Zbigniew Namysłowski war eine der ersten professionellen Combos, mit denen ich spielte. Da Namysłowski jahrelang mit Komeda musizierte, wurde er von diesem sehr beeinflusst. Aber Namysłowski ist selbst auch eine starke Persönlichkeit, es war also ein Geben und Nehmen. Ich hatte auch das Glück, auch mit Tomasz Stanko zu spielen. Ich lernte sowohl von Namysłowski als auch von Stanko, so ergab sich, dass ich einen ziemlich direkten Zugang zu Krzysztof Komeda hatte. Sich mit Musik auseinanderzusetzen, bedeutet nicht nur Harmonik, Melodik und Rhythmik. Es ist nicht nur das. Um Komeda zu zitieren: „Das Publikum bezahlt für die Musik mit seinem Geld, der Musiker bezahlt mit seinem ganzen Leben“. Das ist polnischer Jazz, und ich bin ein Teil davon.
Kannst Du Dir vorstellen, dass Du die Komeda-Werke auch mit einem konventionellen Klaviertrio aufführst? Oder bestehst Du darauf, als Solist Deine Freiheiten zu haben?
Seine Kompositionen eignen sich für jede Art von Jazzband. Er war ein gewitzter und schlauer Komponist. Er wusste genau, was ein Musiker brauchte, um sich in und mit einem Jazzstück wohlzufühlen. Komeda überlässt dem improvisierenden Musiker unheimlich viel Raum, egal ob man solo, im Trio oder in einer anderen Besetzung agiert. Er bleibt ein großartiger Jazzkomponist. Er wusste, wie man ein stimmiges und inspirierendes Stück konstruiert. Er war ein brillanter und intelligenter Mann.