Julie Spencer / Gernot Blume mit Hermann Hesse-Programm „In den Sand geschrieben“ in Bingen, 5. August 2011

Fotos und Text: Klaus Mümpfer

Sprache kann wie Musik sein. Der Begriff „Sprachmelodie“ legt nahe, Gedichte zu vertonen – zumal diejenigen von Hermann Hesse, dessen Lyrik so stark der Romantik verpflichtet ist, dass ein Komponist in Versuchung gerät, sie in Romantizismen zu betten. Die Komponisten und Multi-Instrumentalisten Gernot Blume und Julie Spencer widerstehen in ihrem Programm „In den Sand geschrieben“ dieser Verlockung. Blume hat auf jedes Gedicht ist eine Melodie zugeschnitten, die den Charakter und die Stimmung sowie die Aussage des Dichters trifft. Bei der geschickten Auswahl von 19 Gedichten aus dem überaus reichen Werk des Schriftstellers ist so für thematische wie musikalische Abwechslung gesorgt – zumal in Blumes Kompositionen neben Klassik und Romantik auch Jazz, Blues, Soul und Folk einfließen. 
Hesse selbst soll zwar einmal geäußert haben, dass ein Gedicht wenig Wert sei, wenn es die Vertonung nötig habe. Dessen ungeachtet wohnt seinen Gedichten eine Melodik inne, die es wert ist, aufgegriffen zu werden. 
Viele Künstler haben sich an die Vertonung von Hesses Dichtkunst gewagt. Das reicht von der legendären Berendt-Produktion mit Peter Michael Hamels Ensemble „Between“ über die Lyrik-Bearbeitungen des Komponisten-Duos Richard Schönherz / Angelica Fleer oder des Sängers und Gitarristen Anselm König bis zu der 13-jährigen Milene Weigert anlässlich eines Hesse-Symposiums. Das Programm von Blume/Spencer nimmt in dieser Reihe einen herausragenden, eigenständigen Platz ein. 
Tonkunst, so schreibt Keith Murray in einer Abhandlung „Hermann Hesse und die Musik“ ziehe sich als ein wichtiges, wenn auch widersprüchliches Element durch das gesamte Werk des Mannes, der Höhenflüge und Depressionen, Spiritualität und Polit-Realismus, Liebes-Schwärmerei und Suizid-Vorstellungen durchlebt hat. Themen wie Geist und Seele, Individuum und Gesellschaft greifen Blume und Spencer in ihrem auf das Jahr 2008 zurückgehenden Programm auf. Musikalisch kontrastieren perlende und zarte Harfenklänge mit wuchtigen Akkordschichtungen auf dem für diese Dramatik besonders im Volumen geeigneten Bösendorfer Flügel in der Binger Villa Sachsen, wenn Blume die Melodie führt.  
 

Julie Spencers filigrane Vibraphon-Sounds heben sich von expressiveren, und zugleich sonoren Läufen Carl Clements auf dem Sopransaxophon ab. Für schwebende Sounds sorgt Spencer mit feinem Bogenstrich auf den Becken und den Klangplatten des Vibraphons, für leichtfüßige Percussion mit den Besen auf Trommeln und Congas. Neben der hellen Kopfstimme der Sopranistin Spencer überzeugt die 1991 geborene Deutsch-Äthiopierin Menna Mulugeta mit einer warmen Altstimme mit angepasster Dynamik von leisen Passagen bis zu kraftvollem Shouting. Hesses Gedicht „Abschied“ interpretieren die Künstler jazzig swingend mit groovendem Schlagzeug und Bop-Phrasierung auf dem Sopransaxophon. Andere Vertonungen lehnen sich eher an das Folk- und Liedermacher-Genre an 
Der Komponist Blume hat bei der Vertonung zwar den melodischen Rahmen vorgegeben, den Mitspielern jedoch Freiraum für Improvisation gelassen. Diesen nimmt der Pianist in Anspruch, wenn er „Im Grase liegend“ mit dramatischer Intro aufs Thema hinführt, bis Spencer und Mulugeta mit sirenenhaften Duo-Vokalisen den Text ergänzen. Oder wenn in „Heiland“ Blume auf der Gitarre seine Akkorde greift, Clements auf dem Saxophon eine expressive Passage einschiebt, Spencer auf den Congas den Rhythmus intensiviert und Mulugeta kraftvoll die Stimme erhebt. 
„In den Sand geschrieben“ ist eine Metapher für die Vergänglichkeit. Blumes Vertonung, sein Klavierspiel und Gesang legen die Vermutung nahe, dass es für den Ausdruck von Gefühlen Archetypen in Sprache und Musik gibt, dass sich ähnelnde Harmonien und Akkordfolgen bei so unterschiedlichen Komponisten wie Konstantin Wecker, Reinhard Mey und Gernot Blume wiederfinden jedoch ohne die Persönlichkeit des jeweiligen Künstlers zu stören oder gar wie ein Plagiat zu wirken. 

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