Lee Konitz (* 13. Oktober 1927 in Chicago, † 15. April 2020, New York ) war einer der bedeutendsten Altsaxophonisten der Jazzgeschichte. Wie sein Sohn Josh mitteilte verstarb er am 15.4. in einem Krankenhaus in New York an einer Lungenentzündung im Kontext einer Covid-19 Infektion.
Hans Kumpf schrieb am 13. Jul 2013 in der Esslinger Zeitung:
Zum Abschluss der/des Stuttgarter JazzOpen wurde fast schon traditionsgemäß die „German Jazz Trophy“ verliehen. Die von dem Bildhauer Otto Herbert Hajek einst kreierte Skulptur ging jetzt an einen Amerikaner in Köln, an den 85-jährigen Lee Konitz. Der weiße Altsaxophonist, der zuweilen auch das Sopran und das Tenor nicht verschmäht, spielte als junger Twen ab Januar 1949 mit dem schwarzen Trompeter Miles Davis die wegweisende Platte „Birth of the Cool“ ein. Fortan hörte man von Lee Konitz stets kultivierte Töne.
Die abstrakten und freitonalen Melodielineaturen, die Lee Konitz in seiner vielfachen Zusammenarbeit mit dem Pianisten Lennie Tristano blies, wirkten seinerzeit in der Jazz-Branche geradezu revolutionär und umstürzlerisch. Sein ziemlich vibratoloser Ton entsprach – wie der „traurige“ Trompetensound von Miles Davis, in dessen „Capitol Orchestra“ Konitz ja kurze Zeit spielte – nicht der Norm. Cool Jazz: Cool sein und cool bleiben hieß die Devise, und dies musste in den fünfziger Jahren als arrogant bis provozierend erscheinen.
Der Improvisator und Ästhet Lee Konitz übte einen wichtigen Einfluss auf den mitteleuropäischen Nachkriegs-Jazz aus. Hans Koller und Albert Mangelsdorff beispielsweise haben vom ihm profitiert. Und der kühle und kühne Innovator integrierte immer wieder Neuerungen in sein Spiel und musizierte gerne in einem Umfeld, das man dieser Cool-Jazz-Figur eigentlich gar nicht zugetraut hätte. So trat Lee Konitz bei den Donaueschinger Musiktagen 1979 zusammen mit den Free-Jazzern Don Cherry und George Lewis in Karl Bergers „Woodstock Workshop Orchestra“ auf.
Der am 13. Oktober 1927 in Chicago geborene Konitz ist auch im hohen Alter mit einem wachen Geist und mit künstlerischer Neugier gesegnet. Da steht kein Fossil auf der Bühne mit einer Begleitband als willige Wasserträger. Vielmehr interagierte und kommunizierte der große Meister mit seinen ein bis zwei Generationen jüngeren Kollegen eng verzahnt. Pianist Dan Tepfer, Bassist Jeremy Stratton und Schlagzeuger George Schuller, ein Sohn des berühmten Third-Stream-Komponisten Gunther Schuller, überzeugten beim obligatorischen Preisträgerkonzert als kongeniale Partner. Vor erlauchtem Publikum wurden ganz lebendig Stücke aus Lee Konitz eigener Feder und von dessen Lehrmeister Tristano interpretiert, aber auch ein vertrautes Standard wie „Stella by Starlight“ aufgefrischt und geradezu abstrakt über die Harmoniefolgen von „All the Things you are“ improvisiert.
Preisend mit viel schönen Reden hatte der Festabend im „SpardaWelt Eventcenter“ am Stuttgarter Hauptbahnhof begonnen. Überirdisch wurden da in Lobeshymnen geschwelgt und eifrig – mehr oder weniger hilfreiche – Zitate bemüht. Die ansonsten auf New-Orleans-Reisen spezialisierte „Kulturgemeinschaft Musik+Wort e.V“, die in Regensburg erscheinende „Jazzzeitung“ sowie die „Stiftung Kunst & Kultur“ der Sparda-Bank Baden-Württemberg haben jetzt also zum 13. Mal die „German Jazz Trophy“ für ein Lebenswerk verliehen. Mit Lee Konitz wurde eine weltweit wichtige Persönlichkeit auserkoren, die auch in Deutschland maßgebliche Spuren hinterlassen hat.
Auch Wolfgang Dauner, der 2003 mit der Stuttgarter Trophäe bedacht worden war, zeigte sich überrascht von der musikantischen und geistigen Präsenz von Konitz. Denn als Dauner in einem Gespräch mit dem Amerikaner anmerkte, er hätte Lee Konitz in der Landeshauptstadt erstmals 1956 gehört, korrigierte der Saxophonist den Pianisten umgehend – dies müsse bereits auf einer Tournee 1953 geschehen sein. Damals war Jungtalent Dauner 17 Jahre alt…
Lee Konitz – Fotos von Hans Kumpf