Lajos Dudas / Interview und alle Fotografien: Hans Kumpf
Der Klarinettist mit den großen drei „Bs“
Lajos Dudas (70) im Interview mit Hans Kumpf
Am 18. Februar 1941 wurde Lajos Dudas in Budapest geboren und ist mittlerweile in Deutschland längst heimisch geworden. Lange wohnte und unterrichtete der agile Künstler im linksrheinischen Neuss, vor wenigen Jahren siedelte er nach Baden-Württemberg um. Als versierter Klarinettist ist Dudas variabel geblieben. Zu seinem 70. Geburtstag machte er sich selbst das größte Geschenk: Ein CD-Doppelalbum mit historischen und neueren Aufnahmen. Hans Kumpf befragte seinen Klarinetten-Kollegen zu diesem Tondokument.
Du ha(tte)st am 18. Februar 2011 genau 70 Jahre auf dem Buckel. Auf der zu diesem Anlass erschienenen Doppel-CD steht „50 years with jazzclarinet“. Hast Du wirklich mit 20 Jahren erst angefangen, auf der Klarinette zu jazzen? Wann hast Du erstmals zur Klarinette gegriffen?
Während meiner Studienzeit, zumindest am Anfang, habe ich mich nur mit klassischer Klarinette beschäftigt. Mit 15 oder 16 Jahren bekam ich ein Altsaxophon von meinen Eltern. Zwei, drei Wochen später stand ich schon mit meinem Toneking auf die Bühne und habe „gejazzt“. Ich habe mir irgendwie alles selbst beigebracht, scheinbar war das gar nicht so schwer. In den 50er Jahren wurde überall Jazz gespielt, obwohl Jazzunterricht gänzlich unbekannt war. Unser Pianist hämmerte im Proberaum stundenlang Akkorde, bis wir die „changes“ drauf hatten. Jazz durch das Hören zu lernen – da muss man schon eine gesunde Portion eigenes Feeling mitbringen, sonst kannst du es vergessen. Später wurde dann alles „kaputt gerockt“. Wenn heute jemand erzählt, er sei ein alter Rock’n’Roller, dann kannst Du Dir vorstellen, was ich dabei denke… Auf Deine Frage zurückkommend: Ich kann die CD schlecht „52 oder 53 Jahre mit Jazzklarinette“ nennen!
Was ist Dein persönliches Lieblingsstück auf den beiden Silberscheiben?
Es geht hier um nicht weniger als 50 Jahre Jazzgeschichte, vom Swing über Bebop, von Fusion bis hin zur Avantgarde und so genannter E-Musik. Ich habe wochenlang Dutzende von Aufnahmen angehört, verglichen, selektiert… Jedes aussortierte Stück hat mir wehgetan! Wenn Du so fragst, es gibt nur Lieblingsstücke auf dieser CD. Meine Musik-Empfehlung für die einsame Insel, die ultimative Silberscheibe!
Ich habe Dich ja 1989 im Südwestfunk-Studio Baden-Baden erlebt. Da spieltest Du auch mit dem polnischen Bassisten Vitold Rek und mit dem in Litauen lebenden russischen Schlagzeuger Vladimir Tarasov zusammen. Das klangliche Resultat dieser Session kann man sowohl auf Deiner Doppel-CD mit Deinem Stück „Change of Time“ als auch auf Youtube rezipieren. Dieses Stück kommt doch ziemlich progressiv daher?
Wenn Du das so siehst, dann habe ich erreicht, was ich wollte! Von den beiden Jungs habe ich ja dafür den optimalen Rhythmusteppich bekommen, einen offenen, nervös-dichten und doch unterschwellig swingenden Rhythmus. Und Vitold kann auch anders. Hör doch seine Basslinien auf die 2. CD, Track 6, „Cool Getz“, an… Man oh man! Bass-Player mag ich, Du kannst auf meinem Doppelalbum eine Reihe großartiger Bassisten hören!
Gelegentlich greifst Du auch zum Altsaxophon – wie beispielsweise beim vertrauten „Summertime“ auf der Doppel-CD. Was ist bei diesem Instrument das Interessante für Dich?
Saxophon interessiert mich nicht besonders, obwohl ich damit in den „Goldenen Sechziger Jahren“ in US-Clubs meine Brötchen verdient habe. Ich habe sogar 1973/74 Glasunovs Saxophonkonzert einige Male mit dem Neusser Kammerorchester aufgeführt, und das Stück ist wirklich schwer… Damals gab es viele gute Saxophonspieler, heute sogar schon zu viele, und ich wollte nicht einer von vielen sein. Ich wollte zu den handvoll Besten gehören und wusste, das kann ich nur mit der Klarinette erreichen.
Du hast jetzt die Attila-Zoller-Komposition „Rumpelstilzchen“, aufgenommen 1982, wieder veröffentlicht. Was verband Dich mit dem Gitarristen besonders?
Die Begegnung mit ihm war äußerst fruchtbar. Attila spielte damals einen sehr freien, coolen Swing, ich einen aggressiven Bebop – wir haben uns glänzend ergänzt. Ein Kritiker schrieb 1983: „Er (Dudas) liefert sich hitzige Duelle mit dem Gitarristen Attila Zoller. Sie strapazieren ihre Instrumente, erkunden wildes, offenes Terrain, ohne sich auf erprobte Schemata einzulassen.“ Zwei Stücke standen zur Auswahl: Mein Monaco-Winner „Urban Blues“ und sein „Rumpelstilzchen“. In meinem Stück kam ich irgendwie besser rüber, aber Attila spielt im „Rumpelstilzchen“ ein geradezu geniales Solo – da wusste ich, das muss ich auf meiner CD verewigen!
„Alte“ liebe Kollegen von Dir sind auch der Schlagzeuger Kurt Billker und der Gitarrist Philipp van Endert. Bei mehreren Stücken sind sie mit Dir zu hören. Was schätzt Du an den Beiden?
Beide stießen noch als blutjunge Musiker zu mir, Kurt etwa Mitte der 70er Jahre, Philipp 1993. Beide sind ausgezeichnete und wandlungsfähige Musiker, die bereit sind, auf meine Wünsche einzugehen. Dabei lasse ich natürlich Platz für deren Kreativität. Kurt macht zum Beispiel einige Vorschläge, spielt ein paar Rhythmus-Licks vor, und ich entscheide mich. Er vergisst die Arrangements nie mehr, auch, wenn wir ein Stück fünfzehn Jahre lang nicht spielen! Philipp bietet eine ganze Reihe interessante Sounds an, die mich oft überraschen und inspirieren. Im Übrigen habe ich meistens eine genaue Vorstellung, wie das Stück klingen muss und mag darüber keine langen Diskussionen führen.
Johann Sebastian Bach hat ja bekanntlich nicht speziell für die (damals noch nicht existierende) Klarinette komponiert. Was fasziniert Dich an diesem Barockmeister – vier Bach-Titel sind ja auf der neuen CD-Veröffentlichung zu hören?
Bach ist eine wichtige Inspirationsquelle für mich. Die drei großen „Bs“: Bach – Bartok – Blues. Ich kann viele Bach-Kompositionen mit wenigen Griffen zu einem Jazzstück machen und habe bereits in den 70er Jahren Bachmusik aufgenommen. Man muss allerdings die oft pausenlose Melodieführung auflockern, die gnadenlose Linie abspecken und das alles mit Jazzfeeling würzen. Meine „Reflection of Bach“ als LP und später auf CD war mit drei Auflagen recht erfolgreich!
Ziemlich neutönerisch klingt ja Dein „Wiegenlied“. Von welchen kompositorischen Prinzipien hast Du Dich da leiten lassen?
Das stimmt. So etwas kommt halt hinten raus, wenn man vorne Rhythmus und teilweise die Melodie weglässt… Eine spröde, sehr ruhige, eine auf konzentriertes Zuhören aufgebaute freie Improvisation. Ich habe sehr darauf geachtet, dass die Musik zum Titel passt und nicht von wilder Rumtröterei einem die Haare zu Berge stehen… Irgendwie ist doch melodisch und damit zumindest ein Kriterium von Miles Davis erfüllt: Wenn Melodie und Rhythmus fehlen, können wir nicht von Musik sprechen, punkt! – sagt Miles.
In Budapest hast Du am Bela-Bartok-Institut studiert. 1978 brachtest Du die LP „Contrasts“ heraus. Hast Du auch Bartoks Komposition „Contrasts“, die er bekanntlich für Benny Goodman schrieb, interpretiert?
Ich habe einst die LP mit Bartok-Goodman-Szigeti gehabt. Wieder mal ein Beweis, was für ein großartiger Klarinettist doch Goodman war. Das Stück habe ich in meiner Hochschulzeit durchgearbeitet – der Klarinetten-Part ist sehr anspruchsvoll! Der LP-Titel war eine Anlehnung an Bartok. In den 70er habe ich öfters Volksmusikthemen verwendet – in einer Zeit also, wo der Begriff „Ethno-Jazz“ noch gar nicht existierte. Die Themen waren hier allerdings zuerst über „professionelle Hände“ – von Franz Liszt und Bela Bartok – gegangen. Wenn Du also liest, „Csardas“… das hat mit einem ungarischen Csardas kaum etwas zu tun. Track Nr. 11 („Csardas Obstine“ nach Franz Liszt) ist eher ein Hardbop-Stück durch das scharf Altosax-Solo und den treibenden Rhythmus. Damals haben schon Musiker mit den Kontrast Jazz und Folklore experimentiert. Der Klarinettist Tony Scott, Gabor Szabo, Michal Urbaniak oder das geniale Gespann Don Ellis / Milcho Leviev. Wie die Beiden Jazz mit bulgarischen Rhythmen zusammenbrachten, dies bleibt bis heute unerreicht. Oder denke an Milchos Formation „Focus 65“, vor fünfundvierzig Jahren! Sein Bassist, Teodossi Stojkov, spielte bei mir mit Unterbrechungen etwa 20 Jahre. Er ist u.a. auf Track 3 („Benny“) mit einem furiosen Solo zu hören.
Bist Du in Deiner ungarischen Heimat von Zigeuner-Klarinettisten und von jüdischer Musik inspiriert worden?
Nein! Aufgewachsen bin ich mit amerikanischem Jazz, mit Mulligan, Kenton, Art Pepper, Charles Lloyd, Jimmy Giuffre… Aber auch mit Klassik, und dann kam, unvermeidlich, Ethno dazu. Aber ein rumänisches Hirtenlied oder ein norwegisches Schlaflied interessiert mich nicht wirklich, inspiriert mich nicht. Leider kann ich nicht verhindern, dass manche Kritiker aus meiner Musik immer mal wieder „ungarische Wurzeln“ herauszuhören glauben. Ich gestalte die Melodie von Track 12/CD2 („Children at Play““) aus einer pentatonischen Skala. Könnte einen ungarischen Hintergrund haben – oder römischen, altgriechischen – muss aber nicht. Die Musik entwickelt sich mit allem, was dazu gehört zu einer echten Jazznummer. Oder ist das jetzt Weltmusik?
Du spielst auf Deinen Selmer-Klarinetten das Boehm-System. Hast Du auch mal das Deutsche System ausprobiert?
Nun ja, da ich Selmer-Endorser bin, spiele ich Selmer-Klarinetten, die mir seit 20 Jahren zur Verfügung gestellt werden. Mit zwölf Jahren bekam ich eine Klarinette mit dem Deutschen System in die Hand gedrückt, kurze Zeit später musste ich mich davon befreien. Der damalige Professor und ungarische „Klarinettengott“ gab die neue Richtung an: Studienplatz nur für Boehmspieler!
Dein Mundstück ist nach Dir benannt. Kannst Du mir diese spezielle Konstruktion erläutern?
Ja, ich benutze mein eigenes Mundstück, entwickelt bei ESM (Ernst Schreiber Michelstadt). Rolf Kühn hatte schon bei ESM ein eigenes Mundstück, und ich sollte mit dem technischen Direktor Paul Kinzelmann ein zweites Spezialmundstück herausbringen. Unser Ziel war: Der Klang darf nicht schrill sein, es muss dunkel und voll klingen. Es gibt das Mundstück in blauem Acryl, die Bahnöffnung beträgt 1,15 Millimeter. Dazu benütze ich Vandoren-Blätter in der Stärke 2 bis 2 ½.
Du hast schon Experimente mit Dodekaphonie gemacht. Ich denke da an ein Konzert im April 2005 in Neuss, wo Du auf Original-Webern-Musik „jazzig“ reagiertest. Hast Du auch mal versucht, irgendwie zwölftönig zu improvisieren?
Ich habe einige charakteristische Motive aus Anton Weberns Partitur entnommen und zwischen die Sätze eingebracht. Die Rheinische Post schrieb 2005: “Hier trafen permanent komplizierteste Rhythmik und schroffe Atonalität eine melodisch und emotional erstaunlich nahe, fast ergänzende Improvisation der Klarinette.“ Ob das irgendwie zwölftönig war – schwer zu sagen.
Welche Klarinettisten haben Dich am meisten beeinflusst?
Die Antwort kennst Du sicher, möchtest Du die Bestätigung?! Den Gefallen tue ich Dir nicht… Ich höre sie zwar an, die Klarinettisten, um mich zu informieren, beeinflussen lasse mich aber schon lange nicht mehr von dem, was die spielen. Ich finde es auch wichtig, andere Instrumente zu hören. Und es ist auch langsam Zeit, dass ich andere Klarinettisten beeinflusse…
Auch mit unserem gemeinsamen Klarinettenkollegen Theo Jörgensmann hast Du gespielt. Wie war es?
„Cl-4“ – ein fast schon legendäres Ensemble, vielleicht das Beste seiner Art. Bei der Kritik hoch angesehen, kommerziell hat’s allerdings nicht viel gebracht. Erfolgreicher waren wieder einmal die Amerikaner um Jimmy Hamilton („Clarinet Summit“). Wir haben um die richtige Richtung viel diskutiert. Ich wollte einfach mehr Jazz und weniger Kammermusik spielen und bin etwa nach zwei Jahren ausgestiegen. Aufnahmen von „Cl-4“ gibt es bei meiner aktuellen CD nicht. Wohl aber auf meiner „Music for Clarinet” (Pannon Classic CD). Dort bilden die Aufnahmen mit anderen Titeln eine wunderbare musikalische Einheit, die ich nicht auflösen wollte.
Wie beschreibst Du selbst Deinen stilistischen Werdegang in den letzten 50 Jahren? Prägnant bleibt bei Dir meines Erachtens doch das rhythmisch akzentuierte, vorwärts drängende sowie großintervallige Spiel im oberen Register….
Ich könnte nachblättern, was andere über mich schreiben, es gibt annähernd 500 Kritiken, Analysen, Besprechungen weltweit über mich in meinem Archiv. Du hast es sehr treffend auf den Punkt gebracht! Mehr brauche ich dazu nicht sagen.
Meditativ-Lyrisches im Tieftonbereich scheint Dir weniger zu liegen?
Das stimmt nicht ganz! Hör doch bitte die Balladen an! Aber als Klarinettist weiß Du sicher auch, der Druck der „rhythm section“ zwingt den Klarinettenspieler, immer weiter im Register hochzuklettern.
Jahrelang hast Du in Neuss gelebt und unterrichtet. Jetzt wohnst Du in Überlingen am Bodensee. Wie kam es zu dem Umzug nach Süddeutschland?
Eigentlich wollte ich dorthin, wo es richtig warm ist, also mindestens noch 1000 Kilometer gen Süden. Doch beruflich habe ich auch hier zu tun, hier bin ich zu Hause. Noch einmal ein neues Land? Nein, danke! Immerhin bin ich hier am südlichsten Punkt Deutschlands!
Auch mit 70 gehst Du musikalisch nicht in Rente. Was sind Deine Zukunftspläne?
Für eine handvoll Musiker ist „Wirtschaftskrise“ ein Fremdwort, und auch diesen Satz haben sie sicher nie gehört: „Bei uns wurde der Kulturetat gekürzt“. Leider gehöre ich nicht zu diesen wenigen! Gerne würde ich schon etwas öfter spielen, über einige Angebote allerdings würde sogar mein Hausmeister herzhaft lachen! Dann setze ich mich lieber auf meine Terrasse am Bodensee mit einem Glas Wein und einer guten Zigarre, und das war es…
Lajos Dudas „50 years with jazzclarinet – The Best of Lajos Dudas/ 2CD“, Jazzsick Records 5037 JS, Düsseldorf, www.jazzsick.com
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