Interview mit dem Harmonica-Player Jens Bunge anlässlich des Erscheinens seiner neuen CD „Shanghai Blue“ (2009)
Jens Bunge gehört zu den führenden Harmonica-Playern im Jazz und ist als passionierter Reisender auch im asiatischen Raum ein Begriff.
FS: Du
stellst am 17. Mai in Mannheim im Chinesischen Garten im Luisenpark in Mannheim
deine neue CD „Shanghai Blue“ vor.
Der spezielle Auftrittsort kommt nicht von ungefähr…
JB: Genau, das Ambiente könnte besser nicht zur Musik passen, da wir – neben einigen Eigenkompositionen – verjazzte chinesische bzw. taiwanesische Volkslieder und populäre Songs aus dem Shanghai der 30er Jahre aufführen.
FS: …und speziell für das CD-Release Konzert lässt du sogar einen chinesischen Gaststar einfliegen…
JP: Richtig! Coco Zhao, der als Protagonist des modernen Jazzgesangs in China gilt, kommt extra für die insgesamt drei Konzerte – Saarbrücken, Mannheim und Frankfurt – nach Deutschland.
FS: Wie kommt es zu deiner intensiven Zusammenarbeit mit Musikern „vom anderen Ende der Welt“?
JB: Schon seit meiner ersten Reise nach Hong Kong im Jahre 1993 fasziniert mich Asien. Singapur und Malaysia sind weitere Orte, in denen ich seit vielen Jahren intensive Kontakte pflege, zu Jazzmusikern, aber auch zu Mundharmonikaspielern, die in anderen Stilen, vor allem der Klassik, zu Hause sind. Das Instrument ist dort sehr viel populärer als hier in Europa, man könnte es als die „Blockflöte Asiens“ bezeichnen.
2004 kam ich zum ersten Mal nach Shanghai und war sofort von dieser Stadt und der dortigen Jazzszene begeistert. Schon damals entstand die Idee, ähnlich wie Ende der 90er mein Projekt in Chicago, diese Eindrücke auf einer CD zu dokumentieren. Aber ich wusste, dass ich diesmal keine amerikanischen Jazzstandards aufnehmen würde, sondern eben chinesische Melodien und Gesang die Hauptrolle spielen sollten, eben das, was das Typische an der Shanghaier Jazzszene darstellt.
FS: Erzähle uns doch bitte etwa zur neuen CD. Wie würdest du die Musik beschreiben?
JB: Ein Freund sagte mir, wenn ihn jemand fragen würde, was Jazz sei, dann würde er ohne Zögern die Musik auf der CD „Shanghai Blue“ als Beispiel nennen. Es war mein Anliegen, die Melodien und bei manchen Liedern auch die chinesische Sprache in den Stil des modernen Jazz zu überführen. Diese Vorgehensweise, Lieder aus ihrem teils folkloristischen Kontext zu entnehmen und als Swing oder Bossa Nova zu arrangieren, entstand im Grunde aus der Frage meiner chinesischen Freunde in Singapur und Malaysia: wie würdest du als Jazzmusiker diese Melodien spielen oder darüber improvisieren?
Im Falle des wohl bekanntesten chinesischen Volkslieds „Molihua“ (Jasminblüte) habe ich getan, was schon Charlie Parker mit Stücken wie „How High The Moon“ oder „I Got Rhythm“ gemacht hat: nach einer umfassenden Re-Harmonisierung schrieb ich eine komplett neue Melodie im Bebop-Stil, die das ursprüngliche Stück nicht mehr erkennen lässt, und nannte den Titel dann „Moli-Bop“
Was ist für dich der besondere Reiz in der Zusammenarbeit mit den asiatischen Kollegen?
JB: Viele asiatische Musiker sind extrem gute Techniker auf ihren Instrumenten, denen es aber oft schwer fällt, sich kreativ zu betätigen. Das liegt meiner Meinung nach an der konfuzianistisch geprägten Mentalität, in der ein Schüler auf Jahre oder gar Jahrzehnte der ergebene Untertan seines Lehrers und Meisters ist. Das akribische Nachahmen/Kopieren hat in Asien einen wichtigen Stellenwert, das fängt ja schon beim Erlernen des Schreibens der chinesischen Schriftzeichen an und ist beim Musizieren nicht anders. Aber allmählich emanzipieren sich die dortigen Musiker vom amerikanischen Jazz und entdecken ihre eigene Kreativität, ihre eigene Sprache. Dadurch entsteht eine neue, authentische Musik, die es so nicht überall gibt.
Bei den Musikern, mit denen ich dort zusammenarbeite, ist dies ganz besonders der Fall. Die Songs etwa, die Coco Zhao in seinen Konzerten singt, sind zum Teil Volkslieder, Lieder aus dem alten Shanghai vor der Kulturrevolution, aber auch eigene Texte und Vertonungen. Die Art und Weise, wie er diese Titel interpretiert unterscheidet sich dabei sehr von dem früheren, recht biederen Swingstil der 30er Jahre, wie er z.B. noch von ein paar älteren Herren in der Bar des Peace-Hotels aufrecht erhalten und den dort absteigenden Gästen und Touristen angeboten wird.
Jasmine Chen, die auf meiner CD einen Titel singt, schreibt chinesische Lyrics auf amerikanische Jazz Standards, genau wie es z.B. auch Joanna Dong in Singapur tut. Und vor 2 Jahren wurde ich, ebenfalls in Singapur, von der Popsängerin Ruth Ling eingeladen, bei einem Titel ihrer CD mitzuwirken, der einen chinesisch gesungenen Rap-Teil beinhaltet. Das ist schon etwas, was über das übliche Standardprogramm eines Jazzmusikers hinausgeht.
FS: Glaubst du, dass zukünftig auch eigenständige Impulse für den Jazz aus China kommen werden, oder ist das eher eine Einbahnstraße?
JB: Aufgrund der Experimentierfreude dieser jungen Musiker, die allesamt erst um die 30 Jahre alt sind, entwickelt sich da im Moment etwas Eigenständiges, wobei die Chinesen nicht im eigenen Saft kochen, sondern vielfältigen Einflüssen von Musikern aus anderen Ländern ausgesetzt sind, da auch Amerikaner, Franzosen, Italiener u.a. kräftig in der dortigen Szene mitmischen. So konnte ich z.B. bei einem Konzert der „Lions of Puxi“ eine originelle, verjazzte Reggae-Version von Sting’s „Englishman in New York“ mit französisch und chinesisch gesungenen Strophen hören.
FS: Du
trittst regelmäßig in Asien auf. Wie nimmt das lokale Publikum Jazz auf? Gibt
es eine stabile Jazzszene?
Wirst du außer als „Langnase“ auch speziell als Mundharmonikaspieler
dort als „Exot“ wahrgenommen?
JB: Im Vergleich zu meinem ersten Aufenthalt im Jahre 2004 kommen zu den Konzerten im „JZ Club“ nun wesentlich mehr chinesische Zuhörer als Ausländer – ich würde den Anteil der Einheimischen auf etwa 3/4 schätzen – und auch der Geräuschpegel ist merklich zurückgegangen, da diese nun aufmerksamer zuhören, und nicht nur dorthin gehen, weil es „in“ ist, dort gesehen zu werden. Coco Zhao wurde, als er vor über 10 Jahren zu improvisieren und zu scatten anfing, von den meisten chinesischen Zuhörern belächelt. In einer Großstadt wie Shanghai wissen die meisten Einheimischen mittlerweile, was es mit dem Jazz auf sich hat, für einen einfachen Bauern auf dem flachen Land wird ein improvisierter Jazztitel aber sicher genauso fremd klingen wie für uns die Gesänge aus der Pekingoper.
Natürlich wirkt bei mir sicherlich der Exoteneffekt wegen des Instruments, das zwar wie gesagt in China sehr populär ist, aber eben eher im volkstümlichen Bereich oder im Blues eingesetzt wird, nicht jedoch im Jazz.
FS: …gibt es eigentlich gelegentlich auch einen musikalischen Einluss in umgekehrter Richtung, also deutsche Volksmusik-Elemente bei deinen Auftritten in China?
JB: Ja, durchaus. Um zu demonstrieren, wie man Volkstümliches „verjazzen“ kann, habe ich in einer Fernsehshow und bei Workshops an der „JZ School“, bei der örtlichen Harmonica Association und in einer Elementary School das auch in China bekannte Kinderlied „Hänschen Klein“ gespielt – einmal in der kindgemäßen, dann in einer swingenden Version. In Konzerten habe ich solche Titel allerdings noch nicht aufgeführt.
FS: Als Mundharmonika-Spieler bist du im Jazzbereich ja schon ein Exot, mit deiner Synthese von westlichem Jazz und asiatischer Musik besetzt du eine Nische in der Nische. Wie kommt das an? Gibt es schon Stimmen zur neuen CD?
JB: Ja, und das Feedback ist überwiegend positiv. Einige Rezensenten, die mit mir Interviews führten, etwa fürs „Jazz Podium“ und die „Jazzthetik“, sagten mir, dass sie positiv überrascht waren, dass sich die chinesischen Melodien so gut mit dem Jazz verbinden. Nur ein Kritiker warf mir vor, der chinesischen Volksmusik meinen europäisch-amerikanischen Jazzstil „übergestülpt“ zu haben und damit ein eher älteres Publikum anzuvisieren – damit kann ich aber gut leben, da ich mit meinem Projekt ja genau das im Sinn hatte, und als Jazzer eben keine Folkloreplatte oder eine Wischi-Waschi-World Music aufnehmen wollte.
FS: Die „deutsche Version“ von Shanghai Blue erscheint bei Olaf Schönborns Rodenstein Records, wie sieht es mit der Vermarktung der Aufnahme in China aus? Der chinesische Markt ist ja potentiell riesig…
JB: Es gibt eine chinesische Lizenzpressung, die über das JZ Label in Shanghai vertrieben wird. Das Internetforum www.chinaharp.com hat ca. 2 Millionen User, nicht auszudenken, wenn nur 1 % davon die CD kaufen würden…
FS: Was sind deine weiteren Pläne in diesem Jahr?
JB: Im Sommer geht es zu einem Harmonika Festival nach Malaysia, zu Konzerten und CD-Aufnahmen mit dem Gitarristen Rick Smith in Singapur, und von dort aus noch zu Auftritten nach Hongkong und Shenzhen. Außerdem arbeitet mein Duopartner, der Gitarrist Uli Wagner, an Material für eine CD, an der ich auch mitwirken werde.
FS: …und die nächste Reise nach China ist schon gebucht?
JB: Hong Kong, das im August auf der Reiseliste steht, gehört ja faktisch zur Volksrepublik China, hat aber immer noch einen Sonderstatus; um nach Shenzhen zu kommen, brauche ich ein Visum, daran merkt man dann, dass man im „richtigen“ China ist..
FS: Besten Dank für das Interview und viel Erfolg bei den Release Konzerten und mit der neuen CD!