Kreisende Akkorde münden in ein Ruf-Antwort-Spiel, während das Schlagzeug pulsierenden Breaks einschiebt und der Bass mit einer erdigen Linie die Basis legt. Dann treffen sich Bassklarinette und Trompete in einem Stakkato, das sich in Akkordfetzen auflöst. Die Bassklarinette schreit auf, die Trompete schnellt in die hohen Lagen. „Euthanasie 1-5“ hat das Quartett „Die Enttäuschung“ um den Trompeter und Träger des Jazzpreises, Axel Dörner, diese Komposition treffend genannt. Doch bei aller Freiheit im Spiel bewahren Dörner, Klarinettist Rudi Mahall, Bassist Jan Roder und Schlagzeuger Uli Jennessen die Tradition des Hardbop. In manchen Passagen swingt die Band richtiggehend konventionell, blasen die Solisten eingängig melodisch.
Dann wiederum schnattern und kreischen die Instrumente in überblasenen Tönen. Axel Dörner greift zu seiner Trompete mit dem Posaunenauszug, um die Klänge in feinsten Abstufungen schleifen zu lassen. Hin und wieder finden sich die Bläser zu einem vertrauten Zwiegespräch oder Unisono-Passagen, dann wiederum streiten sie sich in einem chaotisch wirkenden Free-Jazz-Ausbruch. Skurril, humorvoll und abgründig lotet „Die Enttäuschung“ die Freiheit in der Tradition aus – wie es schon die deutschen Free-Jazzer bei ihrem Aufbruch in der Mitte der 60er Jahre erprobt hatten.
Doch diese dialektische Übernahme der Tradition in den zeitgenössischen Jazz ist nur eine Seite von Axel Dörner, der für seine Vielseitigkeit und Kreativität an diesem Abend im Foyer des Mainzer SWR-Funkhauses mit dem Jazzpreis ausgezeichnet wurde, den das Land Rheinland-Pfalz und der Südwestrundfunk mit insgesamt 10.000 Euro dotieren. Heidi Schumacher vom Kulturministerium überreichte den Scheck, den ein ausgesprochen sprachloser Axel Dörner entgegennahm, bevor er sich mit dem Trio „Toot“ auf den Weg zur experimentellen Elektronik machte.
Geräusche bestimmen den Sound. Die Trompete atmet buchstäblich, der Vokalist Phil Minton entlockt der Kehle und der Mundhöhle nahezu unhörbare und doch klingende Luftsäulen, windet sich in selteneren Fällen mit fast menschlichen Schreien, rundet die Geräusch-Collagen der Trompete von Dörner und des analogen Synthesizers von Thomas Lehn mit einem Grundton ab, der an eine dunkle Schiffssirene erinnert. Hier verschwimmen die Grenzen des Jazz und der Avantgarde. Die Trompete wird Teil der menschlichen Lunge, die „Stimme“ wird zum Instrument. Der Synthesizer knallt und kreischt, weckt mit Sinustönen und Zwitschern Assoziationen an die Sendersuche bei alten Radioapparaten. Die Sounds pendeln zwischen einem durch Zirkularatmung anhaltend schwebenden Trompetenton und einem attackierenden Soundgewitter aus der Elektronik. Das Stück hat kein Ende, gebiert und entwickelt sich immer wieder neu, um schließlich in einem gehauchten Nichts auszu“klingen“.
Doch eines verbindet „Enttäuschung“ und „Toot“: Quartett und Trio sind Kollektive gleichberechtigter Stimmen, die vor allem im Zusammenklang wirken und die deshalb auch ein sensibles Aufeinandereingehen der Musiker erfordern. Um im Wortspiel zu bleiben: Das Konzert war keinesfalls eine Enttäuschung.