Jacques Loussier (* 26. Oktober 1934 in Angers; † 5. März 2019) war Pianist und Arrangeur aus Frankreich. Er wurde vor allem für seine Reihe „Play Bach” bekannt.
Jazzpages Kolumnist Hans Kumpf hat Jacques Louissier mehrfach gehört und in seinen Kumpfs Kolumnen darüber geschrieben. Zwei Artikel aus dem Archiv der Jazzpages sind hier mit einigen Fotos Kumpfs von Jacques Louissier wiedergegeben.
Mit und ohne Bach (2010)
Nach dem Geiger Jean-Luc Ponty ist Pianist Jacques Loussier der zweite (in Deutschland oft präsente) Franzose, der in Stuttgart die „German Jazz Trophy“ erhielt. Die Auszeichnung vergibt seit einem Jahrzehnt die Stiftung Kunst und Kultur der Sparda-Bank Baden-Württemberg zusammen mit der in Regensburg erscheinenden „Jazzzeitung“ und der Kulturgesellschaft Musik+Wort e.V. für das Lebenswerk eines Künstlers. Preisend mit viel schönen Reden wurde der „Play Bach“-Erfinder ausgiebig gewürdigt, ehe dieser mit seinem Trio nochmals sein Erfolgskonzept präsentierte und im ausverkauften Konzertsaal der erlauchten Musikhochschule stehende Ovationen erhielt.
Ich erinnere mich noch ganz genau: Vor 45 Jahren hörte ich – als angehender Teenager – im Stuttgarter Beethovensaal erstmals „live“ Jacques Loussier und sein Bach-Spiel „Play Bach“. Eine Langspielplatte mit im Trio verswingten Werken des Thomaskantors war der Hit der in feines Holz gehüllten Musiktruhe unseres gutbürgerlichen Wohnzimmers. Zu dieser Zeit empfand man das Tun des Franzosen als Protest gegen einen allzu musealen Musiktrieb. Die – freilich nicht von Loussier erfundene – Vermengung von Bach und Jazz erregte die Gemüter; deswegen oder trotzdem stellte sich mit diesem Rezept so großer finanzieller Erfolg ein, dass er sich alsbald in der Provence ein prosperierendes Weingut samt feudalem Herrensitz und hochtechnisiertem Tonstudio leisten konnte.
Als Jacques Loussier 1985, zum weltweit zelebrierten 300. Geburtstag von Johann Sebastian Bach, sein Trio-Konzept reanimierte, wurde er nicht von der Bach-Akademie zum Europäischen Musikfest nach Stuttgart verpflichtet, sondern trat separat im kleineren Mozartsaal der Liederhalle auf. Erst 1999 erhielt er mit einem glanzvollen Konzert in der Württembergischen Staatsoper die Weihen der renommierten Helmuth-Rilling-Institution. Heutzutage gilt Jacques Loussier längst nicht mehr als „enfant terrible“ und Bach-Blasphemiker, sondern als akzeptierte Crossover-Figur.
Agierten anfangs im Trio die damals in der Jazz-Szene vielfältig aktiven Pierre Michelot (Bass) und Christian Garros (Schlagzeug), so bilden nun mit Loussier seit 1997 der Saitenvirtuose Benoît Dunoyer de Segonzac und der Schlagwerker André Arpino ein bestens eingespieltes Team. Die größten kreativen Spontaneitäten entfaltete jetzt im Stuttgarter Konzert Benoît Dunoyer de Segonzac, als er in Soli polyphon mit glissandierenden Doppelgriffen und quasi flamenco-gitarristisch vorging und mit Fremdzitaten nicht geizte. Als Begleiter und gelegentlicher Solist gefiel André Arpino durch dezentes Spiel, wobei er traditionsgemäß gerne bedächtig die Becken mit den Besen behandelte.
Außerhalb der Norm mal eine Piano-Solokadenz innerhalb des 5. Brandenburger Konzerts in D-Dur BVW 1050: Da schwelgte Jacques Loussier nachhalltig pedalsierend in Impressionismen und verblieb modal – gar nicht funktionsharmonisch – in der phrygischen Tonskala. Die schön-traurige „Air“ aus der 3. Orchestersuite in D-Dur BWV 1068 durfte auch bei dieser Performance nicht fehlen – genauso wenig wie das Italienische Konzert F-Dur BWV 971 im furiosen Calypso-Gewand.
Der Meister aus Frankreich konzentrierte sich in der Stuttgarter Musikhochschule vor versammelter Festgemeinde gänzlich auf ohrwurmige Werke des thüringisch-sächsischen Compositeurs. Loussier hätte ja auch noch auf seine vielmals nicht minder originell gefertigten Bearbeitungen von Vivaldi, Mozart, Beethoven, Ravel, Satie oder Chopin zurückgreifen können.
Den 1934 geborenen Jacques Loussier mögen mittlerweile die Alterszipperlein plagen, aber musikantisch ist der neue „German Jazz Trophy“-Preisträger noch ziemlich fit. Unbestritten ein würdiges Finale der diesjährigen Jazzopen Stuttgart.
„Play Bach“ und mehr in der Staatsoper (1999)
Stuttgart – In den sechziger Jahren erregte Jacques Loussier mit seiner Vermengung von Johann Sebastian Bach und swingendem Jazz die Gemüter. Da empfand man das Tun des 1934 geborenen Pianisten als Protest gegen einen musealen Musikbetrieb – oder als Blasphemie wider die heilige Kuh der europäischen Kultur. Sogar im Fernsehen war es ein Diskussionsthema, ob es überhaupt statthaft sei, mit klassischer Musik derart umzugehen. Längst hat sich „Play Bach“ etabliert und viele Epigonen gefunden. Von Provokation ist keine Rede mehr. Jacques Loussier gibt mittlerweile Konzerte in der Dresdner Semper-Oper und im Salzburger Mozarteum gleichermaßen. Immerhin reicht sein Repertoire inzwischen über Johann Sebastian Bach hinaus. Kommerziell überaus erfolgreich war seine Bearbeitung der „Vier Jahreszeiten“ von Antonio Vivaldi. Loussiers Versionen von Maurice Ravels „Bolero“ und von Satie-Klavierstücken riefen in Rezensionen unterschiedliche Bewertungen hervor.
Helmuth Rilling von der Bachakademie hatte keine Berührungsängste mit dem einstigen „enfant terrible“. Zum Abschluss der diesjährigen Sommerkurse durfte Jacques Loussier mit Benoit Dunoyer de Segonzac (Kontrabass) und André Arpino (Schlagzeug) im Großen Haus der Württembergischen Staatstheater aufspielen (im Bach-Jubel-Jahr 1985 konzertierte Loussier noch separat vom Medien-Rummel im Mozartsaal). Geradezu euphorisch geriet der Beifall der internationalen Bach-Kenner bereits nach dem ersten Stück, dem C-Dur-Präludium aus dem Wohltemperierten Klavier. Schon hier war das Symptomatische der Play-Bach-Masche erkennbar: keine bloße Abfolge von Original, jazziger Improvisation und Reprise, sondern ein durchkalkuliertes Arrangement von Bach-Partikel mit eigenen Zwischenspielen. Zudem: viel Freizügigkeit in den Tempi sowie romantische Rubati und Dynamikanschwellungen. Ganz leicht tupft Loussier die Tasten an (und kontrastiert dann in seiner nicht so sehr spontanen Improvisation die vorgegebenen Akkordbrechungen mit prallen Blockakkorden), dezent agiert Arpino mit eleganter Besenarbeit am Schlagzeug, und Benoit Dunoyer de Segonzac setzt oft kreative Kontrapunkte. Der „neue“ Bassist von Loussier brachte in das eingefahrene Konzept immerhin viele frische Momente ein. Freilich: Unmittelbares gab es nur in unbegleiteten Soli der Virtuosen, nicht jedoch bei etwaigen Interaktionen.
Neuerdings vollführt Loussier gerne ein Crossover zwischen dem thüringisch-sächsischen Bach-Barock und karibischem Calypso – beim Stuttgarter Konzert des französischen Trios wurde nun das „Italienische Konzert“ derart fusioniert. Zum ständigen Repertoire gehört auch das triolige „Jesus bleibet meine Freude“ aus der Kantate „Herz und Mund und Tat und Leben“ (BWV 147).Doch nicht alleine dem Thomaskantor huldigte Jacques Loussier, von Venedigs „rotem Priester“ interpretierte er und seine zwei Begleiter den „Frühling“ aus den „Vier Jahreszeiten“. Im Allegro-Satz zitierte der Pianist nun „live“ humorvoll „La Cuceracha“, das Lied von der mexikanischen Küchenschabe, und im „Largo“ den Sound von George Gershwin, während bei der CD-Fassung lediglich Calypso-Einsprengsel auszumachen sind. Nett anzuhören ist dies allemal – so wie auch die lieblich dargestellte Gymnopédie Nr. 1 von dem verqueren Komponisten Erik Satie. Satie wurde ja schon von etlichen Rock- und Jazzmusikern bemüht, und Jazz-Solisten wie Larry Coryell (Gitarre) und Yosuke Yamashita (Piano) brachten verblüffende Versionen von Ravels Orchesterinstrumentationsstudie „Bolero“ zustande. Jacques Loussier ließ mit seiner Trio-Besetzung in das mächtige Crescendo einzelne Solo-Exkursionen einfließen – und vermittelte somit eigene Spannungssteigerungen. Benoit Dunoyer de Segonzac zupfte rasant im spanischen Flamenco, und André Arpino durfte froh sein, dass er nicht ständig das rhythmische Triolen-Ostinato auf die Konzerttrommel zu schlagen hatte, sondern variantenreich die Cymbals und Tom-Toms bedienen durfte.
„Play Bach“ und mehr – anstatt Provokation nun nette Unterhaltungsmusik. Die Zuhörer hatten zur mitternächtlichen Stunde viel Spaß – auch an den gewohnt launigen Ansagen von Loussier, der nach dem Kräfte zehrenden Auftritt bereitwillig CDs signierte.
Text und Fotografie von Hans Kumpf – Kumpfs Kolumnen