Interview mit Steffen Schorn

Hans Kumpf: 1990 waren wir zusammen mit dem Jugendjazzorchester Baden-Württemberg auf Bali. Hast Du Dich von asiatischer Musik beeinflussen lassen?

Steffen Schorn: Auf jeden Fall. Auf meiner ersten Tour nach Indonesien, Thailand und Philippinen hat mich absolut geprägt, von der ganzen Art, wie ich mich fühle. Mit der Kölner „Saxofon Mafia“ war ich in Indien. Das war ein großer Durchbruch, weil ich da tiefer in diese Musik eingetaucht bin – in die indische klassische Musik, die mich sehr begeistert. Ich versuche mich dem nicht von der oberflächlichen „weltmusikalischen“ Seite zu nähern. Vielmehr möchte ich von der Struktur her da heran zu gehen.

Du warst mit Claudio Puntin zusammen im Auftrag vom Goethe-Institut in Südamerika. Hast Du da auch etwas vom südamerikanischen Raum mitgenommen?

Natürlich! Ich hatte das Glück, dass ich als Musiker sehr viel reisen konnte. Bislang war ich in 62 Ländern. Da gibt es ein großes Vorbild für mich, nämlich Hermeto Pascoal, dem ich 1992 erstmal begegnet bin. Es gibt ganz viele südamerikanische Musik, die mich inspiriert hat. Insbesondere aber die Musik von Hermeto, weil diese unglaublich tiefe Wurzeln hat in so genannter Folklore, aber auch harmonisch, rhythmisch und klanglich überaus reichhaltig ist.

Hast Du mit Hermeto Pascoal auch zusammen gearbeitet?

Ja. Ich bin 1992 einfach rüber, einer inneren Stimme folgend, weil mich die Musik, die ich live und auch auf Platten gehört hatte, so begeisterte. Ich hatte gehört, dass man dort mit diesem Musiker leben und auch spielen kann. Das habe ich zusammen mit Claudio gemacht, zuerst allerdings alleine. Ich habe dort mehrere Monate verbracht. Noch heute bin ich mit den Musikern in Kontakt und habe mit denen auch viele Konzerte in Europa gespielt.

Claudio hast Du kennen gelernt beim „BuJazzO“, dem damals von Peter Herbolzheimer geleiteten Bundesjugendjazzorchester?

Nein – vorher schon an der Kölner Musikhochschule. Wir waren dann im BuJazzO zusammen. Gegründet wurde das Duo 1991 auf einer BuJazzo-Tournee in Lissabon, als wir bei einem nicht so toll organisierten Konzert in der Umkleidekabine uns quasi frei gespielt haben. Dies war die Initialzündung.

Wie kam er als Schweizer in das Bundesjugendjazzorchester? Weil er eben in Köln studierte?

Weil er in Köln studierte und eben Teil der bundesdeutschen Jazzszene ist.

Du wohnst jetzt in der Nähe von Köln, in Brühl?

Genau, ich wohne in Brühl, zwischen Köln und Bonn, weil meine Frau dort wohnt und an der Musikschule tätig ist. Ihre Eltern wohnen auch dort. Unsere Tochter ist jetzt sechs Jahre alt. Weil ich viel reise ist dies so einfacher zu machen. Das ist also ein guter Standort.

Geboren bist Du aber in Aalen und aufgewachsen am Bodensee…

Aufgewachsen am Bodensee, zunächst die ersten zwölf Jahre in Litzelstetten bei Konstanz und dann in Stetten bei Meersburg.

Du bist mittlerweile tätig in Nürnberg als Jazz-Professor. Was ist da Deine Aufgabe?

Die Jazz-Kompositionsklasse zu führen, auch Saxofon zu unterrichten, auch Ensembleunterricht zu machen, auch künstlerisch verantwortlich für den gesamten Jazzunterricht zu sein.

Wie siehst Du die Möglichkeit, dass die Jazzstudenten später dann im Jazzbereich ein berufliches Auskommen haben?

Es ist einerseits sehr schwer geworden für einen jungen Musiker, der eindimensional denkt und nur etwas Bestimmtes machen will. Das wird mit großer Sicherheit so nicht funktionieren, weil es nur ganz wenige klar definierte Arbeitsmöglichkeiten gibt wie Rundfunk-Big-Bands oder Studioarbeit. Man muss seine eigenen Nischen finden. Wenn man sehr kreativ ist, gibt es nach wie vor gute Möglichkeiten, Andererseits sagte man noch vor zehn oder fünfzehn Jahren, man würde Jazzmusiker ausbilden, die dann selbst wieder Jazzer ausbilden würden. Das ist immer noch so ähnlich. In der freien Wirtschaft ist es wieder unklarer geworden. Insgesamt hat es sich jedoch relativ verbessert. Von den Saxofonisten der Nürnberger Musikhochschule haben in den letzten sieben Jahren alle gute Unterrichtsjobs in der Umgebung und können davon leben. Seine Musik selbst an den Mann zu bringen, ist natürlich ein anderes Thema. Musikerberuf heißt ja nicht nur: „Ich lerne mein Instrument gut, und das war’s dann“, Sondern: „Ich muss überhaupt mal zu mir selber finden, meine Stimme finden. Was möchte ich machen? Inwieweit kann ich mich musikalisch verbiegen, um Geld zu verdienen. Unterrichte ich gerne? Was ist meine Musik, wie kann ich diese organisieren und verkaufen?“. Dies sind alles zusammen vier, fünf Jobs. Wie kreativer und flexibler jemand ist, wird er auch seinen eigenen Markt und seine eigene Musik finden.

Du bist ein „tief tönender Einfachrohrblattbläser“. Was ist eigentlich Dein Lieblingsinstrument?

Mein Lieblingsinstrument und mein Hauptinstrument ist nach wie vor das Baritonsaxofon. Das ist meine tiefste Wurzel. Aber dann habe ich Phasen, in den ich sehr viel Flöten spiele. Ich habe jetzt eine Kontraaltklarinette, mit der ich sehr viel in Ensembles spiele, nächste Woche konzertiere ich auf diesem Instrument mit Geir Lysne in Norwegen. Dann spiele ich mit Helge Sunde auf dem Bremer Festival „Jazz Ahead“ das Basssaxofon.

Wie kamst Du zum Bariton? Warst Du vielleicht von Gerry Mulligan angetan?

Ich habe mit Trompete angefangen, musste aber aus zahntechnischen Gründen aufhören. Mit vier Jahren habe ich die „West Side Story“ im Fernsehen erlebt. Ich kann mich genau erinnern – da gab es Bariton- und Basssaxofon. Das hat mich total gekickt. Mein Vater spielt hobbymäßig Klarinette und Saxofon. Er hatte auch ein Bariton zu Hause. Das hat mich zunächst überhaupt nicht beeinflusst. Da ich aber mit Trompete aufhören musste, ging es dann sehr schnell – vom Alt- übers Tenorsaxofon zum Baritonsaxofon. Das war dann klar, dass das ideal für mich war.

Bariton hast Du natürlich in der NDR Big Band gespielt. Was für ein Instrument spieltest Du beim Bundesjugendorchester – also nicht Jazz, sondern Klassik?

Im Bundesjugendsinfonieorchester habe ich sowohl Baritonsaxofon gespielt als auch Bassklarinette. In der 2. Sinfonie von Karl Amadeus Hartmann stellt das Baritonsaxofon ein wichtiges Thema, eine jüdische Gebetsmelodie, vor. Es ist ein spätimpressionistisches Nachkriegswerk, das wir auch in Israel aufführten. Die Bassklarinette setzte ich bei „Der wunderbare Mandarin“ von Bela Bartok ein.

Wie ist das Verhältnis Komposition und Improvisation bei Dir – besonders im Duo mit Claudio Puntin?

Es geht fließend ineinander über. Es sind beide verschiedene Aggregatszustände derselben Sache. Wenn ich improvisiere, muss ich meine Ideen aus dem Moment schöpfen. Aber natürlich kann ich das umso besser, wenn ich mich mit Komposition auseinander gesetzt habe und auch Strukturen vor mir sehen kann, die nicht irgend etwas sind, sondern einen bestimmten Gehalt haben. Es soll für den Hörer nicht beliebig klingen, sondern wie komponiert. Andererseits ist es in der Komposition auch gut, dem Fluss der Ideen zu vertrauen und oft die erste Idee zu nehmen, die einen ereilt. Es sind zwei Aggregatszustände, ein Spannungsfeld, in dem ich mich gerne bewege. In meinen mittelgroßen Gruppen und in den Big Bands versuche ich, neue Wege zu finden, um Spontaneität und Improvisation mit Struktur zu verbinden jenseits von Mainstream-Pfaden. Auch jenseits von Free-Jazz-Klischees.

Du erwähntest, dass du viel mit skandinavischen Musikern kooperierst. Die skandinavische Szene ist ja in Deutschland derzeit sehr präsent. Ist dies nicht eine Marketing-Sache von Plattenfirmen und Konzertagenturen?

Ich sag mal: Beides. Es ist sicherlich eine Marketinggeschichte, weil wir Deutschen einfach auf Exoten stehen. Sehr viel Gutes kommt auch aus Skandinavien. Das was wir auf den Festivals haben sind of von Plattenfirmen „gehypte“ Topacts. Es gibt aber auch sehr viele fantastische Musiker, die man hier gar nicht kennt. Es gibt in Norwegen unglaublich tolle Musiker, die hier niemand gehört hat, Was ich interessant finde ist, dass sich Norwegen von Schweden und Dänemark unterscheidet, weil in Norwegen die ganze Nachkriegsgeschichte nicht stattfand. Die ganzen US-Stars haben in den Fünfzigern in Kopenhagen gespielt, aber nicht in Oslo. Die reden heute noch von dem einen John-Coltrane- oder einen Cecil-Taylor-Konzert in fünfzig Jahren. Das heißt, dass sie einen ganz anderen und natürlichen Zugang zu ihrer eigenen Volksmusik haben. Da ist eine viel größere Originalität da. In Dänemark und Schweden gibt es starke amerikanische Wurzeln – wie auch in Deutschland, aber Norwegen ist unglaublich originell. Außerdem gibt es dort eine sehr gute staatliche Förderung. Wenn dort Geir Lysne oder Helge Sunde Großprojekte machen, dann kriegen sie das finanziert und können diese realisieren. Es gibt also einen Nährboden, um kreative Großensembles am Leben zu erhalten. Das ist hier in Deutschland so gut wie gar nicht gegeben.

Hast Du schon im berühmten Rainbow Studio in Oslo aufgenommen?

Ja, die letzte Scheibe von Geir Lysne ist gerade herausgekommen, im Januar nahmen wir diese dort auf.

Ich habe im Internet auf Deiner „My Space“-Seite gelesen, dass Dich Leute von Warschau gegrüßt haben. Warst Du in letzter Zeit dort und hast gespielt?

Nein, noch nicht. Ich habe demnächst mit der Kölner Saxofon Mafia ein Konzert in Polen, auch in der Tschechei. Es ist sehr interessant: Wie gesagt, war ich schon in sehr vielen Ländern – und ich habe böhmische Roots, meine Mutter kommt aus Böhmen. Zu den slawischen Völkern habe ich immer eine unglaubliche Affinität gespürt, war aber noch nie dort. Nur in Jugoslawien war ich mal in Urlaub. Weder in Polen, Weder in Polen, noch in der Tschechei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien war ich – in Russland schon, mit George Gruntz. Ich freue mich jetzt auf Polen und die Tschechei, das ist für mich sehr spannend.

Wo hast Du dann mit dem polnischen Trompeter Tomaz Stanko zusammen gespielt?

Tomasz Stanko hat mitgespielt bei dem „Ellingtonia“-Projekt der NDR Big Band. Da gab es eine Plattenaufnahmen und Festivalauftritte, wo er zusammen mit Heinz Sauer gespielt hat.

Was sind Deine anderen zukünftigen Projekte?

Ich habe gerade eine sehr aufwändige Produktion mit meinem Septett abgemischt. Das heißt „Tiefenträume“ und ist eine Suite, die teilweise auch auf Duo-Wurzeln zurückgeht. Da habe ich viele Sachen „overdubbed“. Dafür suche ich noch ein Plattenlabel. Ich habe dabei das 5.1-Surround-Aufnahmeverfahren eingesetzt. Auf dem baden-württembergischen Jazzfestival im Oktober in Konstanz bin ich „artist in residence“ und gefragt worden, Combos zusammen zu stellen. Das wird sehr spannend, weil ich da eine volle Besetzung habe, ein Nonett mit zwei bis drei Schlagzeugern, fünf Tieftönern, also Georg Wittmann am Cello, Claudio an der Bassklarinette, Libor Sima am Fagott. Lars Andreas Haug aus Norwegen an der Tuba – ein fantastischer Tubist. Wenn es klappt, Bodek Janke, den letztjährigen Jazzpreisträger, Percussion, und Eric Schäfer am Schlagzeug. Also eine Band ohne Saiten-Bass, aber mit sehr vielen Bassinstrumenten. Da wird es also sehr viele komplexe Rhythmen geben. Außerdem ist gerade an der Mache eine CD mit der „hr Big Band“, bei der ich Musik von Hermot Pascoal arrangiert habe. Diese wird im Spätsommer heraus kommen.

Das Interview wurde am 4. April 2009 in Schwäbisch Hall geführt

Hermeto Pascoal

Steffen Schorn mit Claudio Puntin

1999

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