(updated Juni 2009)
Nach wie vor gilt Tomasz Stanko (Jahrgang 1942) als der führende polnische Jazzmusiker, der auf seiner Trompete einen ganz individuellen Sound pflegt, den ich gerne als „rau und herzlich“ bezeichne. Zwischen einem USA-Aufenthalt und einem Trip nach Neuseeland hatte der viel beschäftigte Künstler in Warschau eine Stunde kostbare Zeit für ein Interview mit angehängtem Fototermin. Er lud mich in seine gleich beim Parlamentsgebäude gelegene Wohnung ein, in die der Blechbläser eine mit Perserteppichen ausgelegte schalldichte Übekabine eingebaut hat. Bei einer Tasse Tee sprach er über Obara und Obama, über Aktualitäten in der Jazzszene und in seinem Leben. Besonders stolz ist er momentan auf sein „Nordic Quintet“, in dem noch Alexi Tuomarila (Piano), Jakob Bro (Gitarre), Anders Christensen (Bass) und Olavi Louhivuori (Schlagzeug) mitwirken.
1991, also zwei Jahre nach dem gesellschaftspolitischen Wechsel in Polen, befragte ich Dich beim JazzBaltica-Festival in Kiel, nach der ökonomischen Situation in Deinem Heimatland. Damals sagtest Du, dass die Menschen bei ihrem Geldmangel ganz genau überlegen müssten, was sie sich finanziell leisten können. Wie sieht es heute aus?
Stanko: Bei mir ist es eine ganz besondere Situation. Für mich ist es jetzt sehr viel besser. Anfang der 1990er Jahre begann für mich ein neuer Lebensabschnitt, Der Wechsel war wirklich eine ernsthafte Angelegenheit. Da gab es auch keine Möglichkeit mehr, Westdevisen auf dem Schwarzmarkt umzutauschen. Das ist vorbei, diese Art von Unterstützung gibt es nicht mehr. Polen als armes Land hatte nicht die Möglichkeit, Künstler wie mich groß zu subventionieren. Deshalb änderte ich meine Lebensweise – ich hörte auf mit Aufputschmitteln, ich stoppte das Trinken. Ich war am Entscheidungspunkt angelangt – entweder abzustürzen oder aufzusteigen. Dies war für mich ein guter Schritt für mich. Da fing ich an, mein Leben genau zu kontrollieren, auch vom ökonomischen Aspekt meiner Kunst her. Ich kam zum Label ECM zurück und arbeitete hart. Ich sprach viel mit dem Plattenproduzenten Manfred Eicher, konkrete Pläne wurden entwickelt. Ich übte intensiv. Meine Situation änderte sich also total. Seite Mitte der 90er Jahre habe ich mir international einen Namen machen können. Die Musiker und die Fachleute wussten schon immer, dass meine Musik sehr originell ist, dass ich einen ganz individuellen Sound habe. In den letzten 15, 20 Jahren profitiere ich nun davon. Dank ECM war mir eine große internationale Karriere vergönnt. Diese Jahre waren für mich sehr erfolgreich. Auch in Polen konnte ich meine Position festigen, ich bin einer der angesehensten Künstler hier…
…Du wurdest von den „Jazz Forum“-Lesern erneut zum „Jazzmusiker des Jahres“ gewählt….
Ich bin aber nicht nur im Sektor Jazz erfolgreich. Ich bin wohl der einzige Jazzmusiker hierzulande, der auch außerhalb dieses Genres wirklich populär ist. Ich komme oft im Fernsehen, komponiere, schreibe Musik fürs Theater. Wie gesagt, als ich einsah, wie gefährlich es werden kann, habe ich mein Leben vollständig umgekrempelt. Nun gehe ich sehr diszipliniert vor. Ich liebe das Leben eines Reisenden. Am Ende meines Erdendaseins läuft alles fast perfekt. Ich lebe manchmal in New York, ich habe eine Wohnung in Warschau, ich habe auch eine Unterkunft in der wunderschönen Stadt Krakau, in der ich aufgewachsen bin und studiert habe. Überall herrscht eine andere Atmosphäre, das gefällt mir.
Spielst Du noch in Clubs?
In Warschau spiele ich nicht in Clubs, in Polen habe ich weitaus bessere Gigs. Der „Tygmont“ hier ist ein sehr guter Club, aber er kümmert sich doch nicht so sehr um die Musik, das Piano dort bist nicht in Schuss. Lieber trete ich in New Yorker Clubs auf….
Im Warschauer „Tygmont“ mögen die Leute lieber palavern als zuzuhören…
Doch im „Tygmont“ hören die Besucher der Musik zu. Der „Tygmont“ ist ein sehr guter Club!
Ich war jetzt drei Mal dort….
…. und sie redeten? Natürlich… Club ist eben Club. Der „Tygmont“ ist seit einigen Jahren eines der besten Jazzlokale. Aber die besten Jazzclubs gibt es jetzt in New York, wirklich professionell geführte Einrichtungen. Die Leute hören nun genau zu beim Free Jazz. Es gibt jetzt viele Clubs mit freier Musik: im „Village Vanguard“, auch im, im…
…„Blue Note“?
„Blue Note“ – dort nicht so sehr.
Aber „The Knitting Factory“ machte dicht…
Ja, die ist jetzt zu. Auf der Eastside existiert ein guter Club, dessen Namen mir gerade nicht einfällt. In Brooklyn ist man jetzt sehr aktiv. Es bestehen viele Spielmöglichkeiten. Mit meiner amerikanischen Band konzertiere ich bald mit meiner amerikanischen Band in der „Merking Hall“, in der meist klassische Musik geboten wird.
Hast Du genügend Zuhörer in New York?
Ja, doch. Im Mai 2008 spielte ich im „Moma“ Filmmusik von Krzysztof Komeda und eigene Kompositionen.
Dies war also im „Museum of Modern Art“?
Ja, und das war wirklich voll.
Als ich 1990 in New York Urszula Dudziak im Konzert erlebte, verloren sich in dem Lokal nur dreißig Leute….
Wirklich? In New York trete ich gerne im „Birdland“ auf. Die haben eine gute Bühne, ein guter Club. Ich spielte da mal drei Tage mit jeweils zwei Shows hintereinander. Es war jeweils voll. Da kamen eine Menge Leute. Nun wartet der Clubmanager auf ein neues Angebot von mir, vermutlich komme ich mit meinem neuen Quintett. Sie zahlen gut, auch in der „Merking Hall“. In den letzten Jahren konzertierte ich oft in New York. Das ist eben ECM, die machen gute Promotion und sind in New York ganz gut aufgestellt.
Wie sieht es derzeit mit der Jazzszene in Polen aus?
Die ist sehr interessant. Da gibt es einige gute junge Musiker, und da gibt es einen besonders talentierten Saxofonisten: Maciej Obara. Er brachte soeben eine exzellente Platte heraus. Manfred Eicher machte mich auf ihn aufmerksam. Eigentlich kenne ich die polnischen Szene und die Newcomer, weil ich gerne mit jungen Musikern zusammen arbeite. Aber er war mir nicht begegnet, Und Manfred sagte mir, ich solle auf diesen Typ achten. Der Kerl ist wirklich spitze. Ich engagierte ihn für Theatermusik, ich nahm mit ihm ein paar Gigs wahr. Aber ich setze derzeit nicht so viel Saxofon ein. Er hat mir kürzlich seine CD zugeschickt – eine fantastische Musik, voller Originalität. Dann gibt es in einer kleinen Stadt einen hervorragenden Pianisten: Dominik Wania. Auch mit ihm hatte ich ein paar Gigs, im April werde ich mit ihm in Wien musizieren, dort veranstaltet der berühmte Club „Porgy & Bess“ ein kleines Festival. Da trete ich an drei Abenden auf, zusammen mit österreichischen Musikern, meinem Nordic Quintet und meiner Gruppe mit Wania, dem Bassisten Slawomir Kurkiewicz und dem finnischen Schlagzeuger Olavi Louhivuori. In Polen gibt es eine Menge talentierter Musiker. Zusammen mit meiner Tochter Anna organisiere ich übrigens im Süden Polens, in Bielsko-Biala, ein Festival. Wir müssen in Kontakt bleiben, vielleicht kannst Du mit Deiner Frau kommen!
Welche persönlichen Beziehungen hast Du zur Musik von Frédéric Chopin?
Es fing damit an, dass meine jüngere Schwester, eine klassische Pianistin, in unserer Krakauer Wohnung spielte. Sie übte die ganze Zeit, und ich hörte die Klänge vom Nebenzimmer. Dieses Einüben von Chopin-Musik hat sich in meinem Gedächtnis verankert.
Diese Art der Erinnerung ist die eine Sache. Generell ist er unser großer Komponist. Als Künstler hatte ich eigentlich keinen Kontakt zu seiner Musik. Vor zwei Jahren improvisierte ich bei dem Festival „Chopin in Europa“ über eine Art von Chopin mit diesem japanischen Pianisten, das war ein interessanter Gig.
Makoto Ozone?
Ja, Makoto Ozone. Kennst Du ihn?
Ja ich war in den Ludwigsburger Bauer Studios mit dabei, als er 1984 zusammen mit Gary Burton Aufnahmen abmischten, die sie zuvor in Los Angeles gemacht hatten.
Dort habe ich auch meine Platte „Balladyna“ aufgenommen, ich kenne das Studio.
Ozone wollte eigentlich die Sache mit Chopin weiter verfolgen und in den USA eine CD für Sony oder einem anderen Label damit einspielen, aber ich bin an Manfred Eichers ECM gebunden.
Du spieltest aber auch Chopin zusammen mit Leszek Mozdzer!
Das war ja nur ein einziges Stück. Jetzt wollen sie mich überreden, wieder etwas zu machen. Aber es sehr schwierig, eine Verbindung zwischen meiner Art von Improvisation und Chopin-Musik herzustellen. Da besteht doch ein Unterschied. Einige Balladen und Nocturnes könnten sich dafür wohl eignen, aber ich weiß nicht, was daraus werden kann. Vielleicht mache ich etwas, vielleicht auch nicht.
Du hast keine speziellen Angebote für nächstes Jahr, wenn Chopins 200. Geburtstag gefeiert wird?
Derzeit habe ich da keinerlei Vorhaben. Ich finde es wirklich schwierig, eine Verbindung zwischen Chopin-Musik und dem, was ich mache, herzustellen.
1971 hörte ich Dich in Donaueschingen bei den „Actions“ von Krzysztof Penderecki. Hast Du mit ihm in den letzten Jahren nochmals zusammen gearbeitet?
Nein. Für Herrn Penderecki war das ein einmaliges Zusammentreffen mit dem Jazz. Aber der Chef des Musikverlags PWM in Krakau möchte diese Komposition wieder aufführen. Vielleicht werden wir ein weiteres Mal diese Musik interpretieren.
Ich möchte wieder auf die mittlerweile verschiedentlich als CD herausgebrachte Komeda-Platte „Astigmatic“ zu sprechen kommen…
Eine sehr berühmte und schöne Platte, sie bedeutete den Beginn meiner Karriere….
…1965…
…mit Günter Lenz, ein sehr guter Bassist.
Wie war es? Am gleichen Abend spielte doch bei der „Jazz Jamboree“ im Komeda-Quartett ein polnischer Bassist.
Ja. An dem Abend spielte Janusz Kozlowski.
Er spielte im Konzert, aber dann nicht im Studio.
Er war nicht gut genug. Komeda wollte als Bassisten eigentlich Roman Dylag haben, aber dieser war international zu sehr beschäftigt. Er spielte mit dem Saxofonisten, der die „European Rhythm Machine“ hatte…
…Phil Woods.
Ja, Phil Woods. Günter ist ein dufter Musiker.
Wie sieht es in Polen aus mit der Unterstützung des Jazz durch die Behörden?
Immer noch werden Festivals und Konzerte subventioniert. Jedes Land ist da anders strukturiert. Wir Musiker bekommen nicht Geld wie in Skandinavien, wie in Schweden. Oft helfen die Städte oder beispielsweise Banken. Ich lebe davon. Ich habe hier einen guten Namen. Überall ist es anders. Die amerikanischen Musiker finden ihren Support in Europa! Sie sind bekannt, und sie werden hier verlangt.
Im Oktober 2008 war ich zusammen mit dem Jugendjazzorchester Baden-Württemberg in Abu Dhabi. Der deutsche Botschafter dort ist ein Jazzfan, und die Band spielte für Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der ebenfalls ein Jazzkenner und freundschaftlich mit Till Brönner verbunden ist…
… ein sehr guter Trompeter!
Meine Frage nun: Gibt es auch in Polen Politiker, die Jazzfans sind?
Viele. Beispielsweise Marek Borowski, der frühere Parlamentspräsident. Kwasniewski etwas.
Bei den rechten Parteien gibt es keine Jazzfans?
Nein, da nicht. Doch: Kaczynski, weil seine Tochter Jazz liebt. Sie war mein Fan.
Also Lech Kaczynski, der Präsident?
Ja. Und in Amerika liebt Obama die Musik von Miles Davis.
Interviews im Februar und Juni 2009