Der polnische Pianist brachte auf ECM die Platte „Live“ heraus
Bereits als Teenager ließ der 1975 geborene Pianist Marcin Wasilewski aufhorchen – nicht nur in seinem Heimatland Polen, sondern auch schon international bei Wettbewerben.
Sein Trio wurde spätestens weltweit bekannt, als es als „Begleitband“ des legendären Trompeters Tomasz Stańko (1942-2018) fungierte. Dadurch erregte Wasilewski beim Münchener Label ECM Aufmerksamkeit, das nach etlichen Studioaufnahmen nun einen Mitschnitt vom Festival „Jazz Middelheim“ im belgischen Antwerpen veröffentlichte. Am 12. August 2016 konzertierte er dort zusammen mit seinen beiden alten Freunden Sławomir Kurkiewicz (Bass) und Michał Miśkiewicz (Schlagzeug) in einem riesigen Zelt. Symptomatisch für diese Gruppierung im konventionellen Klaviertrioformat ist die stete Gleichberechtigung der Instrumente, wobei auf extravagante Solo-Eskapaden verzichtet wird. Ende Oktober 2018 beantwortete der vielbeschäftigte Marcin Wasilewski einige an ihn gerichtete Fragen – die überlange „release tour“ führte ihn und sein Ensemble außer durch Polen noch nach Island, Kroatien, Katar, Deutschland, Rumänien, Spanien, Italien, Luxemburg und die Niederlande, wo jeweils die „Live“-Scheibenkonserve eben „live“ präsentiert wurde…
Dein Trio besteht schon seit rund 25 Jahren. Erzähle mir etwas von der Bandgeschichte. Warum wurde der Bandname gewechselt?
Ich fragte einst den Kontrabassisten Slawomir Kurkiewicz, der wie ich das Musik-Lyzeum in Koszalin besuchte, ob er mit mir zusammen spielen wolle. Das war wohl 1989.
Schon im Jahre 1989 besuchten wir als einfache Zuhörer das sehr bedeutende Festival Jazz Jamboree in Warschau auf. Wir waren noch sehr jung und lernten erst, wie man eigene Musik macht. Nach dem Auftritt beim Warschauer Festival entschlossen wir uns, sich ernsthafter mit der Musik auseinanderzusetzten und mehr über die Musik zu erfahren. Bei der Jamboree traten ja große Jazzmusiker aus den Vereinigten Staaten und Europa auf. Wir luden noch unseren Kollegen Sebastian Demydzuk ein, eine Gruppe zu formieren. Er spielte Schlagzeug – und wir legten uns den Namen „Simple Acoustic Trio“ zu.
Kurz danach baten wir den Saxophonisten Cezariusz Gadzina, der Band beizutreten, und fortan nannten wir uns „Simple Acoustic Quartet“. Dann hatten wir bei einem Wettbewerb im französischen Sorgues 1992 großen Erfolg und eröffneten die Jazz Jamboree 1993 als Quartett-Formation. Anschließend wollten wir eigentlich unser Debut-Album aufnehmen – doch der Saxophonist und der alte Drummer, der nach Belgien ging, quittierten die Band. So fanden wir Michał Miśkiewicz. Das war vor einem knappen Vierteljahrhundert. 2019 werden wir unser 25-jähriges Jubiläum feiern.
Das erste ECM-Album unter dem Titel „Trio“ nannte auf dem weißen Cover als Urheber nur unsere drei Namen. Produzent Manfred Eicher mochte den Begriff „Simple Acoustic Trio“ nicht. Aber die Wörter waren außerhalb Polens zu schwierig zu merken und auszusprechen – für das internationale Marketing war dies schlecht. Weil das Piano die führende Rolle einnahm und ich selbst die meisten Kompositionen beisteuerte, wurde die Gruppe nach mir benannt. Trotzdem bilden wir als Musiker eine Einheit, da spielt der Name keine wichtige Rolle.
Wie kamst Du mit Tomasz Stańko in Kontakt?
1994 trafen wir Tomasz Stańko. Er kontaktierte Michał Miśkiewicz, der jünger war als ich. Tomasz telefonierte bei unserem Schlagzeuger Michał an und wollte, dass er kurzfristig in seiner „rhythm section“ einsprang. Der in Polen bestens bekannte Altsaxophonist Henryk Miśkiewicz ist ja der Vater von Michał. Vermutlich hatte Tomasz uns 1994 beim Warschauer Festival gehört, als wir Musik von Krzysztof Komeda spielten. Unsere Performance im Oktober 1994 stieß auf große Resonanz. Dann erkundigte sich Tomasz noch nach einem Bassisten und einem Pianisten. So begann schließlich das gesamte Trio, mit Tomasz Stanko zu kooperieren. Unser erstes Konzert fand dann am 8. März 1995 statt.
Wann spieltest Du zuletzt mit ihm?
Der letzte gemeinsame Auftritt mit Stańko war vor über einem Jahr am 16. November 2017 in Warschau.
Auf Fotos und Videos vom Friedhof sah ich, wie Henryk Miśkiewicz am Grab spielte. Warst Du auch bei der Zeremonie?
Ja, der Vater von Michał spielte bei der Beerdigung. Es war eigentlich meine Idee, dass dieser das Hauptthema der Stańko-Platte „Farewell to Maria“ spielte. Natürlich nahmen alle vom Trio am 10. August 2018 an der Trauerfeier teil.
Wie verlief das Konzert Antwerpen 2016? Wie fühltest Du Dich, vor Tausenden von Leuten aufzutreten?
Die Sache in Antwerpen lief ziemlich spontan ab. Mir war nicht genau bewusst, dass es sich um so ein riesiges Festival handelt. Es fand inmitten der Sommerferien statt. Wir hatten im Juli viel zu tun, und im August wollte ich mich eigentlich etwas erholen. Zwei Wochen lang hatte ich nicht Klavier geübt. Ich meinte, es sei nur ein kleines Konzert in Belgien. Erst am Vortag erfuhr ich, dass „Jazz Middelheim“ ein berühmtes Festival ist. Ich dachte, dass ich mich bei einem einstündigen Soundcheck warmspielen könnte. Aber so viel Zeit gab es nicht, und ich wurde etwas nervös. Es blieb nach 14 Tagen Spielpause nur eine Viertelstunde Zeit, mal wieder die Finger zu bewegen. Eine riskante Angelegenheit. Vor uns spielte der Trompeter Avishai Cohen mit seinem Quartett. Während des Auftritts einer anderen Band konnte ich noch kurz auf einem Fender-Rhodes üben.
Unser eigenes Konzert verlief schließlich wirklich gut. Wir waren informiert, dass sich das belgische Radio beteiligte. Wir dachten nicht mehr an den Mitschnitt, aber drei Monate später erhielten wir eine selbstgebrannte CD mit unserer Musik. Wow! – Wir waren ganz begeistert davon. Wir spielten wirklich gut, der Sound war okay. Da überlegte ich mir, ob man den Mitschnitt doch auf einem Tonträger veröffentlichen könnte. Ich fragte Manfred Eicher, und er stimmte zu. So kam es, dass ECM sowohl eine CD und als auch eine Doppel-LP herstellte.
Beim Middelheim-Festival hörte ich im Park „Den Brandt“ 1974 Bill Evans – sechs Jahre vor seinem Tod. Wie schätzt Du diesen einzigartigen Pianisten ein?
Bill Evans ist ein sehr wichtiger Pianist in der Jazzwelt. Er war einer der ersten, die die Triomusik revolutionierte – mit speziellen Voicings und Harmonien, der bekannten Standards einen eigenen Stempel aufdrückte. Gleichzeitig führte er die Tradition der großen Pianisten fort. Global, und nicht nur in Amerika, war er ein Highlight. Ich erinnere mich, wie er einmal gefragt wurde, wie er zu den speziellen Akkordgriffe und Harmonien käme. Er antwortete, dass er sich selbst erforschen würde. Jeder müsse seine eigene Stimme finden. Es gäbe keinen Sinn, wenn man sich gegenseitig kopieren würde.
Ich befasste mich intensiv damit, wie er zusammen mit Scott LaFaro und Paul Motian und anderen großartigen Musikern agierte. Auch seine Soli begeisterten mich, die ganze Atmosphäre – er war so faszinierend und einzigartig. Er war eine Inspiration für andere Pianisten wie Keith Jarrett, die seine Ideen mit dem American Songbook fortführten. Außerdem inspirierte er Paul Bley, der avantgardistischer als Bill Evans war. Bill Evans war ein unheimlich grandioser Meister und ein sehr bedeutender Pianist.
In Middelheim spieltest Du eine Komposition von Herbie Hancock. Wie findest Du ihn an den elektronischen Keyboards? Oder magst Du mehr, wenn er rein akustisch vorgeht?
Bei Herbie Hancock verhält es sich anders. Wir spielen Kompositionen von ihm, so ja auch „Actual Proof“ auf unserer neuen Platte. Er spielt mehr funky, wir mehr jazzig. Am elektronischen Keyboard als auch am akustischen Gerät ist er bezaubernd und innovativ. Sein künstlerisches Wirken ist vielfältig. Besonders angetan bin ich von der 1964 in New York aufgenommenen Platte „My Funny Valentine“ zusammen mit Miles Davis. Er verfügt über einen weiten musikalischen Horizont. Er verbindet auf hervorragende Weise Traditionelles und Modernes miteinander. Er ist für mich ein wahrhaft vollkommener Künstler. Für viele Leute aus dem gesamten Kulturleben übt Herbie Hancock einen wesentlichen Einfluss aus – so wie es auch bei Bill Evans der Fall war und ist.
Welche Stücke Deiner neuen Platte favorisierst Du?
Meine Lieblingsstücke davon sind „Night Train to You“, „Austin“ und „Message in a Bottle“ nach der Komposition von Sting.
Hast Du (oder Manfred Eicher) an dem vorhandenen Tonmaterial noch Veränderungen vorgenommen?
Wir erhielten eine fertige Abmischung, bei der einschneidende Veränderungen nicht mehr möglich waren.
Was behagt Dir mehr – Studioarbeit oder vor Publikum zu konzertieren?
Ich mag beide Möglichkeiten. Man muss wissen, wie Studioarbeit vor sich geht und wie man vor Publikum spielt. Im Studio ist die Atmosphäre irgendwie intimer und „klinisch rein“. Für die Musiker dort besteht eine stete Herausforderung und man ist sehr konzentriert und spielt kompakt. Etwaige Fehler können leicht bereinigt werden. Mit den Mitmusikern muss man sich blindlings verständigen, um ein gutes Ergebnis zu erzielen
Wenn man vor Publikum spielt, muss man die Energieströme der einzelnen Zuhörer aufnehmen und spielt deshalb wohl etwas kraftvoller. Man muss bei den Rezipienten Interesse wecken und diese einladen, sich unserem Musizieren zu öffnen. Wenn man eine Masse Leute vor sich hat, ist man schon irgendwie aufgeregt. Im Konzert hat man quasi nur einen einzigen Take, und dieser muss dann funktionieren.
Eine Frage, die ich immer wieder an polnische Musiker stelle: Wie hältst Du es mit Chopin?
Ich begann im Gymnasium mit klassischer Musik. Er war ein begnadeter Virtuose und schrieb Kompositionen, die von seinen Improvisationen herrührten. Er machte in seinem kurzen Leben einen „great job“. Ich spielte seine Musik zu Beginn meiner Ausbildung. Aber als Jazzer adaptieren wir aktuell nicht Chopin.
Wie war die Zusammenarbeit mit dem „techno man“ Mr Krime? Wäre diese Art von Musik interessant für ECM?
Es war für mich interessant, auf einem Fender-Rhodes zu spielen gemeinsam mit Mr Krime als Scratcher und mit elektronischen Sounds vom Keyboard. Es war eine besondere Erfahrung, aber ich glaube nicht, dass wir dies fortsetzen werden. Also auch nichts mit ECM.
Was kannst Du zu Manfred Eicher sagen? Gibt es konkrete Pläne für die Zukunft?
Manfred Eicher ist ein großartiger Produzent und ein feiner Mensch, der alles weiß – nicht nur über die Musik. Er kennt sich auch in der Kunst aus, mit hervorragenden Leuten arbeitete er schon zusammen. Wenn man seinen Plattenkatalog anschaut, erfährt man, welch ein bedeutender Producer er ist. Er ist sehr kreativ. Ich erinnere mich, wie wir erstmals ihn wegen der Stańko-Musik trafen. Da war mir klar, dass er auch unser Trio betreuen sollte. Von Beginn an stimmte die Chemie. Er unterbreitete uns dann das Angebot, eine Studio-Session zu bestreiten. Manfred ist sozusagen ein weiteres Bandmitglied, ein faszinierender Mann. Anfang 2019 soll für ECM neue Studioaufnahmen gefertigt werden.
Ich denke, die Gleichberechtigung der Instrumente ist typisch für Dein Trio – da gibt es keine egozentrischen Trips, alle drei Musiker reagieren und kommunizieren fortwährend miteinander. Ist dies korrekt? Wie würdest Du selbst das Profil Deiner Band beschreiben?
Schon so lange spielen wir zusammen… Auch das ist eine „matter of chemistry“, die seit Beginn stimmte, als Sławomir und ich mit Michał begannen. Von Anfang an passierte da was, es herrschte eine positive Spannung. Die rhythmischen Parts waren da, wo wollten alle in die gleiche Richtung. Wir sind Freunde, wir harmonieren in den Charakteren, wir mögen uns. Wir spielen gut auf der Bühne, und die Herangehensweise von Sławomir mit dem Kontrabass an den Rhythmus entspricht meinem Gefühl, er agiert voller Energie. Michał dagegen nimmt den „pulse“ etwas zurück. Das klingt zusammen sehr gut. Die rhythmische Konzeption und unsere Persönlichkeiten sind stimmig, und ich hoffe, dass dies noch geraume Zeit oder hoffentlich für ewig anhalten wird.
Wenn wir Musik machen, so bemerkte ich, ist das Tempo elastisch. Niemand handelt stur, sondern ist flexibel. Die Musik soll atmen. Die „time“ ist nicht alles. So haben wir Spaß daran.