Hans Kumpf traf den Pianisten 1997 bei Heilbronn
Am 3. Februar 2006 verstarb der Jazzpianist und Duce-Sohn Romano Mussolini nach kurzem Krankenhausaufenthalt. Als der Künstler mit dem berüchtigten Nachnamen im Oktober 1997 in der Nähe von Heilbronn, zusammen mit dem österreichischen Trompeter Oscar Klein und dem aus der Slowakei stammenden Kontrabassisten Jan Jankeje auftrat, nahm Hans Kumpf die Gelegenheit wahr, mit dem Italiener zu sprechen und ein Foto-Shooting zu machen. Nachfolgend sein damals verfasster Bericht.
„Er ist der Sohn vom Duce, der viel Schaden angerichtet hat. Die Eltern kann man sich nicht aussuchen…“.
Trompeter, Gitarrist und Mundharmoniker Oscar Klein, ein österreichischer Jude, stellt so seinen Freund Romano Mussolini vor. Der Jazz hat den Klavier spielenden Faschisten-Filius und den gebürtigen Grazer, der zusammen mit seinen Eltern in Arsiero interniert war und 1943 dank italienischer Hilfe vor den Deutschen in die Schweiz fliehen konnte, vereint. „Vor zehn Jahren holte ich Romano erstmals nach Deutschland und Österreich“, erzählte mir Klein vor dem Konzert, „bis zu seinem sechzigsten Lebensjahr hat in den deutschsprachigen Ländern kein Hahn nach ihm gekräht“. Kein ruhesames Rentnerdasein für Oscar Klein, Jahrgang 1930, und Romano Mussolini, der am 26. September 1927 in Forli als jüngster und dritter Sohn des Diktators das Licht der Welt erblickte.
Die vierhundert Jahre alte Dorfkelter in Löwenstein-Hößlinsülz ist nur mäßig gefüllt, doch die Musiker ficht das nicht an: gejazzt wird auch zur eigenen Freude. Ein wirklich europäisches Quintett swingt und bluest hier: der zwischen Tradition und Avantgarde wandelnde Bassist Jan Jankeje stammt aus dem slowakischen Bratislava, und der sich an Gene Krupa orientierende Schlagzeuger Gregor Beck wuchs bei Regensburg auf. Oscar Klein lässt auf der Trompeter hot intonierend Wild Bill Davis als einer seiner Vorbilder erkennen, greift verblüffend polyphon im negroiden „finger picking style“ in die Gitarrenseiten und lässt noch schwärzer seine Mundharmonika erklingen. Im hohen Klarinettenregister freilich, da hat der Multi-Instrumentalist doch noch seine intonatorische Schwierigkeiten. Der Swing markiert die stilistische Mitte, Ausfranzungen gibt es zum Dixieland und zu gedämpft moderneren Spielweisen.
Besondere Aufmerksamkeit genießt der Mann am Klavier, der sein Instrument autodidaktisch erlernte und des Notenlesens unkundig ist. Ein gutes Gehör und Improvisationsgabe machen dieses vermeintliche Manko allerdings wett. Gerne verwendet Romano Mussolini Standards von Duke Ellington und George Gershwin, und vor einem fantasiereich verjazzten und mit Allerweltsmusikzitaten verzierten „O Sole Mio“ schreckt er nicht zurück. Ein elegantes Pianospiel zwischen Stride, Blockakkorden und Lyrismen, die zuweilen in minimalistische Patterns übergehen. Mehr als in einem „live“-Auftritt kann Romano Mussolini sein instrumentaltechnisches Vermögen und seine Improvisationslust im Studio vorführen, so wie bei der CD „Oscar Klein’s Jazz Show“ (jazzpoint records jp 1043), die 1994 in Stuttgart aufgenommen wurde.
In der Konzertpause stellt sich Romano Mussolini gerne einem Tonbandinterview. Zuvor hatte ich von ihm und seinen Kollegen im Freien bereits einige Fotos gemacht, und das Abendessen hatten wir gemeinsam eingenommen. Wann er erstmals Jazz gehört habe, lautet meine erste – unverfängliche – Frage. „Mit vier oder fünf Jahren“, erinnert er sich, „mein um elf Jahre älterer Bruder Vittorio war einer der ersten Jazzplatten-Sammler Italiens“. Im Hause von Benito Mussolini, der ja seit 1922 Italien beherrschte, ging es also wenigstens musikalisch tolerant zu. Besonders fasziniert war der kleine Romano von den Schellackscheiben Duke Ellingtons, Louis Armstrongs, Fletcher Hendersons und Django Reinhardts. Als Satchmo 1934 in Turin gastierte, war der damals siebenjährige Romano noch zu jung für einen Konzertbesuch. „1948 oder 1949 hörte ich in der Schweiz dann James Moody mit Bebop“, erinnert er sich. Dass wenigstens für Soldaten der Jazz in Hitler-Deutschland nicht verboten war, stellte Romano Mussolini 1944 in München fest, wo italienische Landsleute auftraten.
Eine heikle Sache: Bedeutet Jazz doch nicht eo ipso Humanität sowie Widerstand gegen Unterdrückung, Willkür und Mord? Schließlich haben sich auch SS-Schergen in Auschwitz von Zigeuner-Swing und Jazz unterhalten lassen, bevor sie die gepeinigten Künstler ins Gas schickten. Man kann es dem 70jährigen nicht verübeln, dass er nicht ständig auf seinen Vater angesprochen werden will. Ein anderes unliebsames Thema ist Tochter Alessandra, die als Schauspielerin gerne die Hüllen fallen ließ, bevor sie als treibende Kraft der neofaschistischen „Alleanzo Nationale“ in das italienische Parlament gewählt wurde. Und sich nach Sophia Loren, seiner Schwägerin zu erkundigen, dies wäre zuviel Klatsch und Tratsch…
Romano Mussolini geht im Jazz auf, obgleich noch etliche andere kulturelle Interessen pflegt. Er betätigt sich als Kunstmaler, Film und Theater sind ihm wichtig, vor allem lese er Bücher über Geschichte und Biografien, bekennt er.
1943 habe er im Alter von 15 Jahren mit dem Klavierspielen begonnen. „In der Öffentlichkeit spielte ich erstmals 1956 in San Remo auf dem Jazz-Festival – nicht beim Schlagerwettbewerb“, betont er. Besonders stolz ist er, dass er in der Folgezeit mit so namhaften amerikanischen Stars wie Lionel Hampton und Chet Baker spielen konnte. Auch mit dem als Jazz Messenger von Art Blakey bekannt gewordenen Trompeter Valery Ponomarev musizierte er, nachdem dieser 1974 trickreich die Sowjetunion verlassen hatte. Gerne erinnert sich Big-Band- und Blues-Fan Mussolini an die persönliche Bekanntschaften mit Duke Ellington und Oscar Peterson.
Ins Schwärmen kommt Romano Mussolini auch, wenn die Rede auf Wynton Marsalis oder die von Philip Morris gesponserte Big Band mit dem australischen Multiinstrumentalisten James Morrison kommt. In Italien gebe es wundervolle Musiker, mit denen er gerne nach Deutschland kommen würde.
Betrübt zeigt sich Mussolini über die mangelnde Akzeptanz des Jazz. „Es kommt selten vor, dass ein nettes Mädchen Jazz mag – es geht lieber in die Disco“, meint der vornehme Herr in hellem Anzug und mit folkloristischer Künstlermütze auf dem Kopf, und er fügt hinzu: „Der Jazz ist nicht so populär, weil er eine diffizile Musik ist.“ Dass es im Mutterland des Jazz monetär mitunter schlimmer aussieht als in dem Land, in dem Zitronen blühen, musste Romano Mussolini selbst erfahren: „Vor zehn Jahren war ich erstmals in New York, und die Clubs zahlten für einen Auftritt nur 40 Dollars – weniger als in Italien!“
Das Interview findet ein rasches Ende, weil die Zuhörer in Hößlinsülz durch einen freundlichen wie bestimmten Applaus die Musiker zur zweiten Spielzeit bitten. Eine Zugabe ist unvermeidlich, und da klatscht der Saal bei einem deftigen Blues unbeirrt auf die Zählzeit eins und drei: einen Marsch-Trott – und nichts mit „off-beat“ . Das tut einer Jazzer-Seele mächtig weh…