Interview und alle Fotografien: Hans Kumpf
Mit dem polnischen Komponisten sprach Hans Kumpf 1974 über Jazz
Krakau/Donaueschingen/Stuttgart.- Am 23. November wird Krzysztof Penderecki 80 Jahre alt. Der in Krakau residierende Komponist und Dirigent genießt in seiner polnischen Heimat enormen Kultstatus – Straßen wurden nach ihm benannt, und wenn der Hobby-Dendrologe in aller Öffentlichkeit einen Baum pflanzt, ist auch das Fernsehen dabei. Mit der lieblichen C-Dur hat der vormalige Geräuschexperimentator längst seinen (kommerziell ergiebigen) Frieden geschlossen. Immer noch ist und bleibt der 1933 geborene Künstler weltweit aktiv.
Am 17. Oktober 1971 präsentierte Krzysztof Eugeniusz Penderecki bei den Donaueschinger Musiktagen mit „Actions“ ein nicht unumstrittenes Uraufführungswerk für ein internationales Free-Jazz-Orchester, dem u.a. Peter Brötzmann, Manfred Schoof, Tomasz Stanko, Gunter Hampel und Han Bennink angehörten. Ende Februar 1974 sprach Hans Kumpf in Stuttgart mit ihm.
Hans Kumpf: Ich interessiere mich für Ihr Verhältnis zum Jazz. Sie haben ‚Actions‘ zusammen mit europäischen Jazzmusikern gemacht. Was fasziniert Sie an den Musikern und was denken Sie nach der Aufführung? Waren Sie zufrieden?
Krzysztof Penderecki: Das war mein erster Versuch überhaupt, also nicht mit Jazz, direkt aber mit Jazzmusikern zu arbeiten. Ich habe auch einmal gespielt, aber vor 20 Jahren vielleicht…
Hans Kumpf: Dixieland?
Krzysztof Penderecki: Ja, natürlich…
Hans Kumpf: Welches Instrument?
Krzysztof Penderecki: Zuerst Posaune – ein bisschen, nicht sehr gut. Dann habe ich Geige – ich war eigentlich Geiger – gespielt. Aber das ist schon sehr lange her. Jazz hat mich immer sehr interessiert. Und ich glaube, die Erfahrung, die ich mit ‚Actions‘ gewann, habe ich in ‚Partita‘ integriert. Sie haben sicher festgestellt: hier ist einiges von ‚Actions‘ übernommen, das heißt die Einfälle und die Art. Zuerst die Zusammensetzung der Instrumente – also Cembalo, die beiden Gitarren – die elektrische und die Bassgitarre -, Harfe, Kontrabass und Schlagzeug. Ich habe auch an zwei oder drei Stellen einige Elemente von ‚Actions‘ übernommen, die ich ausgearbeitet habe. Aber ich glaube, ohne die Erfahrung mit ‚Actions‘ hätte ich das Stück nicht schreiben können.
Hans Kumpf: Nochmals die Frage: Waren Sie mit der Aufführung von `Actions‘ zufrieden?
Krzysztof Penderecki: Ich glaube schon, ja. Das war, wie ich sagte, mein erster Versuch. Ich war damals nicht ganz sicher, was ich wollte. Als ich Zeit dazu hatte, komponierte ich das Stück, und dann waren wir zwei oder drei Tage zusammen. Ich war eigentlich nicht zufrieden mit der Aufführung. Und da habe ich die Platte gehört – nach zwei Jahren erst – und habe festgestellt, dass doch einiges drin ist, was mir jetzt noch gefällt. Also ich glaube, die Platte ist wirklich gut geworden.
Hans Kumpf: Die Musiker vermissten eben doch ihre Freiheit, die sie vom Jazz her kennen.
Krzysztof Penderecki: Naja, wissen Sie: ich bin Komponist. Und wenn ich das mache, möchte ich es so haben, wie ich es mir denke. Das heißt: Ich habe die Art des Spielens übernommen. Aber die Tonhöhen habe ich geschrieben und auch die Rhythmik, die im Jazz für mich immer ziemlich primitiv ist – die acht Takte. Ich habe das locker gemacht, weil ich glaube, es geht leider nicht mit diesen acht Takten, weil mir dies zu einfach ist. Ich bin immer vom Stereotypen abgerückt. Das, was mich am Jazz am meisten fasziniert, ist gerade, dass die einzelnen Musiker, die spielen, viel freier, einfallsreicher sind als Orchestermusiker, dass sie auch technisch – möchte ich behaupten – besser sind. Das heißt, die Art ist etwas begrenzt – doch gibt es eigentlich keine technischen Schwierigkeiten, die ich festgestellt habe. Es gab da überhaupt keine Probleme, das heißt, keiner der Musiker sagte: `Es geht nicht‘ oder so, obwohl ich Dinge verlangte, die auf den Instrumenten nicht leicht zu spielen sind.
Hans Kumpf: Sie haben oft ziemlich präzise notiert. Musiker wie Peter Brötzmann aber können nun einmal nicht so routiniert vom Blatt spielen.
Krzysztof Penderecki: Gut, aber meine Notation ist auch etwas grafisch. Er spielte, was er sah. Die Noten hat er doch gespielt, vielleicht nicht hundertprozentig, aber darum geht es mir auch nicht…
Hans Kumpf: Das wollten Sie gar nicht verlangen…
Krzysztof Penderecki: Ja, das ist natürlich auch nicht so wichtig. Aber doch die Art war wichtig – ich glaube, das ist das Wichtigste für mich.
Hans Kumpf: Michal Urbaniak erzählte mir, dass Sie schon 1964 in Warschau mit Jazzmusikern zusammengearbeitet hätten – mit polnischen Jazzmusikern und einem Sinfonieorchester.
Krzysztof Penderecki: Nein, ich nicht. Ich habe in Polen, wie ich schon gesagt habe, nur ein bisschen gespielt. Später habe ich mich überhaupt nicht interessiert. 1966 habe ich ein Stück komponiert, in dem auch eine Passage drin ist: `De Natura Sonoris I‘. Es ist sehr einfach gehalten, nur als Witz gemeint. (Penderecki zeigt auf die mitgebrachte ‚Actions‘-Partitur): Erst mit diesem Stück fing es an … Ich habe eigentlich zwei Versionen, die erste habe ich neunzehnhundert…
Hans Kumpf: ,,…siebzig fertiggemacht?
Krzysztof Penderecki: Ja. Die Aufführung wurde verschoben, weil ich nicht fertig war. Ich war mir eigentlich nicht sicher mit diesem Stück.
Hans Kumpf: Dann haben Sie es aber umgeändert für 1971.
Krzysztof Penderecki: Ja. – Die erste Version ist eigentlich weit weg von dem, was ich später ge¬macht habe.
Hans Kumpf: In Ihrer Lukas-Passion haben Sie auch eine kurze Passage drin, wo es heißt `jazzartig‘.
Krzysztof Penderecki: Das sind die pizzicati zum Beispiel, die ich von den Kontrabässen und auch vom Chor verlange. Sie sollen diese jazzartig pizzicato zu spielen versuchen; auch für den Chor habe ich `quasi pizz.‘ geschrieben. (Penderecki singt vor)… dass sie so singen, Und auch in – doch das stimmt: 1964 – also in `Sonata per Cello‘ gibt es im zweiten Satz einen Kontrabass, der so spielen soll. ‚
Hans Kumpf: Also es stimmt nicht, dass Sie etwas gemacht haben für Sinfonieorchester und…
Krzysztof Penderecki: ,,… Nein, nie. Ich glaube auch, dass es nicht geht. Ich bin auch dagegen, dass man ein Tonband – Elektronische Musik – mit Normalem – live – mischt.
Hans Kumpf: Joachim-Ernst Berendt hat auf der Plattenhülle zu `Actions‘ geschrieben, dass Sie in Zukunft weiterhin mit Jazzmusikern zusammenarbeiten wollen.
Krzysztof Penderecki: Ja, ich möchte ein Stück schreiben. Vielleicht für ein paar Instrumente so wie in der `Partita‘, also Harfe, zwei Gitarren, vielleicht Cembalo oder Kontrabass und vielleicht Schlagzeug oder so was. Diese Instrumente werde ich vielleicht benutzen. Vielleicht noch zwei Bläser, Blechbläser.
Hans Kumpf: Haben Sie da schon einen Auftrag?
Krzysztof Penderecki: Nein, nein. Wissen Sie, es ist schlimm, wenn man immer unter Druck arbeitet. Ich möchte es gerne machen. Aber der einzige Weg dazu ist, Termine zu haben, damit Musiker zusammenkommen, drei, vier Tage zu arbeiten und dann aufzunehmen. Sonst kriegt man das nicht hin. Bei Proben kann man auch etwas ändern. Ich ändere nie etwas in der normalen, also sinfonischen Musik; ich bin ganz sicher, wenn ich da was schreibe. Aber hier natürlich nicht, da fehlt mir die Erfahrung, das heißt, dass mich die Musiker mehr beeinflussen als normal; die können mir noch was zeigen, was ich noch nicht weiß.
Hans Kumpf: Also, Sie wollen bei dem Konzept bleiben, dass Sie den Musikern – auch den Jazzmusikern – ziemlich genau vorschreiben, was sie zu tun haben?
Krzysztof Penderecki: Ja. Sonst ist es nicht mein Stück.
Hans Kumpf: Das möchten die Jazzmusiker halt nicht gern!
Krzysztof Penderecki: Naja, aber ich glaube, da kann man irgendwie Mittel finden. Ich bin dafür, dass man doch ziemlich präzise schreibt: Thema und nachher die Wiederholungen, oder sagen wir – wie man das nennt – Improvisation. Ich werde es nie Improvisation nennen, weil es mir dann schon zu weit weg von mir ist. Das heißt, dass ich die Wiederholungen, die ziemlich frei sind, prä¬zise schreibe. Und auch rhythmische Verschiebungen, das ist in all meinen Partituren so. `Partita‘ ist genau so notiert, wie diese Jazz-Partitur.
Hans Kumpf: Was glauben Sie, kann die Neue Musik vom Free Jazz lernen und was der Free Jazz von der Neuen Musik? Sie haben ja jetzt Erfahrungen mit allen Musiken…
Hans Kumpf: Ich glaube, ich habe wirklich noch zu wenig Erfahrung. Ich habe schon Bassgitarre in fast allen meinen Partituren als normales Instrument, das hat mich natürlich beeinflusst. Und auch die elektrische Gitarre, die auch bei `Canticum‘ eine große Rolle spielt, obwohl man das natürlich nicht soli¬stisch hört. Und dann die Rhythmik – ich glaube, der Aleatorismus in dieser Form, die man jetzt benutzt, kommt auch vom Jazz, diese Freiheit. Das heißt: Diese nicht ganz absolute Art, die begrenzt ist, so dass man Dinge schreibt und es dann frei wiederholen lässt. Das kommt auch vom Jazz. Ich glaube, umgekehrt ist das anders: Der Jazz lernt wenig von Neuer Musik, zu wenig, würde ich sagen.
Hans Kumpf: Und was müsste der Jazz lernen, Ihrer Meinung nach?
Krzysztof Penderecki: Der Schematismus, der im Jazz immer sehr stark ist, ist, was mich wirklich stört. Und das sollte man überwinden. Obwohl es jetzt gelockert worden ist.
Hans Kumpf: Sind Sie informiert, was im Free Jazz läuft?
Krzysztof Penderecki: Ja, ich kenne natürlich einiges, aber nicht genau. Was mich jetzt sehr interessiert, ist Rockmusik. Das finde ich wirklich großartig – technisch gesehen. Ich habe jetzt eine Gruppe gehört – ich weiß nicht, wie die heißt, es war in New York – das war technisch phantastisch. Die sind nicht mehr so laut, die spielen einfach, die improvisieren. Und auch nicht nur mit Akkorden, wie es früher war, sondern sie sind auch viel freier geworden.
Info: Das Interview ist entnommen aus dem Buch von Hans Kumpf „Postserielle Musik und Free Jazz – Wechselwirkungen und Parallelen. Berichte, Analysen, Werkstattgespräche. Erschienen 1975 (1. Auflage) und 1981 (ergänzte 2. Auflage).
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