Alle Photos auf dieser Seite: Hans Kumpf
Schon im vorigen Jahrhundert gab es in Deutschland immer wieder Festivals, die jazzenden Frauen gewidmet waren – beispielsweise in Frankfurt und in Stuttgart. Bereits damals zeigte sich, dass in der (vermeintlichen) Männerdomäne auch Frauen swingend und improvisatorisch bestens mithalten können. Das von Redakteur Reinhard Kager verantwortete obligatorische Jazzkonzert der Donaueschinger Musiktage für Zeitgenössische Tonkunst kam jetzt global reichlich weiblich daher: neun Improvisatorinnen aus Norwegen, USA, Großbritannien, Japan, Frankreich und der Schweiz.
Furios und musikalisch unverbraucht traten geradezu „taktlos“ drei alte Damen zwischen 60 und 70 an. Unter dem Namen „Les Diaboliques“ entfachte das seit drei Jahrzehnten bestehende Team von Joëlle Léandre (Kontrabass), Maggie Nicols alias Nicholson (Stimme) und Irène Schweizer (Piano) eine zeitlose Performance mit vielen dynamischen Abstufungen, dichter Kommunikation und dezenten Klangsensibilitäten. Diese Alt-Avantgardistinnen wirkten überhaupt nicht antiquiert – sondern interagierten munter miteinander.
Alles unprovozierend freitonal und auch mal mit metrischen Gleichheiten und südafrikanischen Melodien. Viele nuancierte Sounds, rein akustisch, ohne elektronischen Firlefanz. Irène Schweizer griff gerne ins Flügelinnere und die Eidgenossin sparte nunmehr mit Cluster-Attacken auf der Tastatur. Die Französin Joëlle Léandre zupfte und bestrich ihren Bass vehement und war auch opernhaft und vibrierend vokal aktiv. Reguläre Sängerin des Trios ist mit tiefem Timbre freilich die Schottin Maggie Nicols, die noch ad hoc als gestikulierende Geschichtenerzählerin auftrat.
Akteurinnen und das Publikum beiderlei Geschlechts hatten gleichermaßen Spaß an der Sache, erst recht bei theatralisch-szenischen Momenten samt selbstironischem Weibergezänk. Dies geschah allerdings naturgemäß unsichtbar für die „live“-Radiohörer des Südwestrundfunks.
Dann die bei Reinhard Kager eben unvermeidliche Elektronik und Apple-Notebooks auf der Bühne. Im jungen norwegischen Quartett „SPUNK“ bediente die aparte Sopranistin Maja Solveig Kjelstrup Ratkje ein Steve-Jobs-Geschöpf. Doch die Steckdosen-Sounds dominierten bei diesen Damen nicht. Kristin Andersen trompetete ihre „dirty notes“ minimalistisch sowie staccatohaft wie der Afroamerikaner Bill Dixon und blies außerdem eine zarte Blockflöte, Cellistin Lene Grenager erinnerte mit ihrem geräuschhaften Saiten-Schaben und –Reiben an den großen Interpreten Siegfried Palm. Hild Sofie Tafjord schließlich trickste virtuos, delikat und klappengeräuschhaft mit dem Waldhorn. Freilich: Viel mehr Neue Musik als Jazz-Traditionelles.
Weniger freie Improvisation als festgelegte „Songs“ beim dem amerikanisch-japanischen Duo „Phantom Orchard“. Zeena Parkins ließ auf Harfen und Celesta eine liebliche Tschaikowsky-Idylle aufleben und imitierte zudem die japanische Wölbbrett-Zither Koto, während Ikue Mori, die zuvor 2002 in Donaueschingen mitgewirkt hatte, stoisch aus ihrem Apple digital hohes Gezirpe und breites Gewummere herausholte. Eine bislang ungehörte Originalität kann man diesen zwei Frauen wahrlich nicht absprechen.
Schlussendlich formierte sich das Duo mit den Norwegerinnen zu einem internationalen Sextett. Für 40 Minuten geplanter Spielzeit hatte man sich exakt 37 Märchen als Impulsgeber für die „strukturierte Improvisation“ vorgenommen. Dies garantierte für Abwechslung – vom fast nervigen Hochgetöns und puren Luftgebläse bis zu romantischen Niedlichkeiten. Genregrenzen existieren nicht, schon gar nicht in Donaueschingen bei den Musiktagen.
Bei den „normalen“ Uraufführungen tauchten erneut Bezüge zum Jazz auf. Ganz offensichtlich geschah dies in den Fürstenbergischen Sammlungen bei einer Videoinstallation innerhalb der „Enzyklopädie des Professor Glacon“ von François Sarhan. Da erklangen zu alten amerikanischen Filmschnipsel aus der Retorte coole Jazzklänge.
Wolfgang Mitterer musizierte 2002 bei einem Jazz-Wandelkonzert elektronisch im Kontext mit Ikue Mori und wurde dann als Noten schreibender Komponist eingeladen. Bei seinem Ensemble-Stück „Little Smile“ saß der Österreicher als Interpret in eigener Sache mit den Akustik-Instrumentalisten auf der Bühne und nahm sich die Freiheit zur Improvisation. Auch seine Mitspieler hatten die Möglichkeit zur kreativen Mitgestaltung. Eine Klarinetten-Kantilene und zeitweilige Beharren auf einem Zentralton könnte man dem Jazz-Idiom zuordnen.
Begonnen hatte das diesjährige Festival mit der einstündigen „Séraphin“-Symphonie für Ensemble und Orchester des Großmeisters Professor Wolfgang Rihm, der 2012 seinen 60. Geburtstag zelebrieren wird. Rihm erwies sich jetzt wieder als Neo-Romantiker. Absolut Innovatives und noch nie Dagewesenes ist für Donaueschingen kein “must have“ mehr. In der Vergangenheit des nunmehr seit 90 Jahren bestehenden Festivals verhielt es sich anders. Da gab es noch Provokationen und Skandale.