Text & Fotografie: Klaus Mümpfer
Das Piano ist ein melodisches Instrument, dient der japanischen Pianistin Hiromi Uehara gleichzeitig aber auch als Percussions-Vehikel. „Deshalb spielen zusätzlich zu den lyrischen Phrasen auch die Rhythmen eine wichtige Rolle in meiner Musik“, sagt die zierliche 35-jährige Künstlerin. Beim Solokonzert in Frankfurter Hof tippt sie den Rhythmus mit dem rechten Fuß, windet sich hinter der Tastatur, steht in den wuchtigen Passagen hinter dem Yamaha-Flügel, ihrem Lieblingsinstrument.
„Meine eigene Stimme zu finden und gleichzeitig den richtigen Groove beizubehalten, fällt mir auf dem Yamaha am leichtesten“, stellt die geschäftstüchtige Künstlerin fest. Beim Mainzer Solokonzert fliegen die Finger geradezu über die Tasten und verlieren sich in einem Feuerwerk aus berauschenden Tönen und schier endlosen Phantasien. Solche kreative Improvisationskunst beweist Hiromi nicht nur bei eigenen Kompositionen, sondern auch bei ihrem Parforceritt durch die Weite der Jazzwelt mit ihren Standards, die sie während der Zugaben dem begeisterten Publikum im nahezu ausverkauften Saal präsentiert.
Hiromi hat einer Vorliebe für ostinate Akkordgerüste in den tieferen Lage, auf die sie quirlige Singelnote-Trauben und Triller setzt. In ihrem Repertoire wechseln sich lyrische und verspielte Kompositionen wie „Place to be“ mit hart angeschlagenen Up-Tempo-Improvisationen ab, die sich kristallklar aufschaukeln, bevor die Pianistin sie diszipliniert im Tempo reduziert, um schließlich augenzwinkernd und lächelnd abrupt zu kurzen und swingenden Melodielinien zu wechseln. Ein anderes Mal schiebt sie ein klassisches Zwischenspiel ein, lässt eine Komposition mit hingetupften Single-Notes ausklingen oder endet später mit einem wuchtig gehämmerten Akkord. Nahezu poetisch wie manche ihrer Stück sind auch die Titel – etwa „Old castle, by the river, in the middle of a forest“.
Hiromi ist eine charmante Entertainerin und virtuose Technikerin. Sie kokettiert mit dem Publikum, wenn sie mit Überraschungen in ihrem Spiel fasziniert und damit spontanen Beifall erntet. Komposition „BQE“ erscheint als eine schwindelerregende Hommage an den hektischen Brooklyn-Queens-Express mit zeitweilig motorisch wirkenden repetitiven Passagen in den tieferen Lagen des Instruments. Hin und wieder dämpft die Pianistin bei den Tastenausflügen die Saiten im Flügel, reißt sie metallisch an oder präpariert das Instrument für bestimmte Cembalo-ähnliche Soundeffekte. Dabei stöhnt und singt Hiromi, lacht breit und amüsiert mit gymnastischen Übungen. In dem dreiteiligen Las Vegas-Opus kostet die Japanerin bei „Show City-Joker“, „Daytime in Las Vegas“ und „The Gambler“ die gesamte Breite ihrer Stimmungen und Ausdrucksmöglichkeiten aus: von den lyrisch hingetupften Einzelnoten über die perlenden Linien eines Oscar Peterson, den sperrigen Akkorden des Thelonious Monk sowie den extrem schnellen Läufen des Bebop-Vorbereiters Art Tatum, von der Klassik und Romantik bis zur Avantgarde. Dass dabei manchmal der Swing zu kurz kommt und die technische Virtuosität Vorrang erhält, verzeiht ihr das von der ungeheuren Energie und kreativen Kraft begeisterte Publikum gerne.
Zum Ende des mitreißenden Solo-Konzertes feiern die Zuhörer die Künstlerin stehend mit frenetischem Beifall und werden mit mehreren Zugaben belohnt.