Das Tomasz Stanko Nordic Quintett in Rüsselsheim am 07.11.2008

Und immer wieder diese finale Harmonie: Tomasz Stanko bläst sie auf der Trompete. Anhaltend und weit schwingend. Warm und mit leichtem Vibrato verschwebt sie beim Konzert des Jazzfabrik im Dunkel des Rüsselsheimer Theaters. Ansonsten ist in Stankos Musik nichts fest. Sie muss gesucht und gefunden werden. Up-Tempo-Teile, in denen die vier jungen Skandinavier des Nordic-Qintetts dem Bebop auf einer bereits vielfach gehörten Weise ihre Referenz erweisen, sind selten. In der Regel fügen sie sich einfühlsam und gut geleitet in das Konzept des 66-jährigen polnischen Altmeisters ein.

Stanko liebt offensichtlich Kontraste. Charakteristisch für sein Spiel sind die reife, lyrische Eleganz, die weiche Tonbildung mit einem Schuss Tristesse, die er aus der polnischen Folklore zieht. Sein Spiel kann aber auch bei freieren Passagen in stählerne Stakkati mit überblasenen High-Notes davoneilen. Doch stets bewahrt der Virtuose subtile Dynamik in seinen ökonomisch ausgerichteten Improvisationen. Es lässt freien Raum für die Einwürfe seiner Mitmusiker sowie die Assoziationen der intensiv lauschenden Zuhörer.

An diesem Abend interpretiert das Quintett mit Ausnahme der Krysztof-Komeda-Komposition „Dirge for Europe“ ausschließlich Stücke des Trompeters – unter anderem „Nice One“, „The Dark Eyes of Martha Hirsch“ und nach den jüngsten Konzerten in Sao Paulo sowie Rio des Janeiro „Samba Nova“. Schon im Opener „The Dark Eyes“ wird die Stanko´sche Liebe zum kontrastierenden Spiel in der Reibung seines warmen Trompetensolos mit weit schwingenden Linien zu der nordischen Kühle eines zunächst filigranen Gitarrenlaufes, dann aber auch verzerrt flächigen Sounds auf den Saiteninstrumenten hörbar. Das Stück gewinnt an Drive, Stanko produziert mit ostinaten Melodiefragmenten pastellartige Klangfarben, findet sich unisono mit dem Gitarristen zusammen und dann das Ende mit diesem lang gehaltenen, sanft verwehenden Ton auf der Trompete.

Wie hier stechen beim Rüsselsheimer Konzert vor allem die Duos mit dem Gitarristen Jacob Bro hervor, unisono ebenso wie in der Mehrstimmigkeit. Nicolas Thys erhält die Gelegenheit zu einem ausgiebigen, harmonisch finessenreichen Bass-Solo, während er später sein Instrument gitarrengleich in schnellen melodischen Läufen zupft. Alexi Tuomarila wechselt zwischen perlenden Läufen und sparsamen Akkordeinwürfen, Schlagzeuger Olavi Louhivuori besticht mit starken dynamischen Abstufungen bei Balladen wie bei schnellen Stücken.

Dass sich ältere Musiker mit jungen Mitspielern einlassen, ist keine Seltenheit. Der Pianist Marcin Wasilewski, Bassist Kurkiewicz und Schlagzeuger Michal Miskiewicz waren 18 und 16 Jahre alt, als sie 1994 erstmals mit dem fast vierzig Jahre älteren Stanko spielten. 

In seinem „Nordic Quintet“ ist der Altersunterschied kaum geringer. Es mag das inspirierende Aufeinandertreffen von Altersreife und jugendlicher Unbekümmertheit sein, die das Spiel befruchtet. Kein Wunder, dass der Schlagzeuger und Landsmann Janusz Stefanski sowie der Bassisten Vitold Rek in der Garderobe ihren alten Freund Stanko zu dessen „wundervollem Konzert“ beglückwünschten.

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